Europawahlkampf in der Schlussphase

Tschechen und Iren stimmen ab

Landeswahlleiter Oliver Rudolf zeigt in einer Niederlassung der Deutschen Post den 96 Zentimeter langen Wahlzettel für die Europawahl. Foto: Axel Heimken/Dpa
Landeswahlleiter Oliver Rudolf zeigt in einer Niederlassung der Deutschen Post den 96 Zentimeter langen Wahlzettel für die Europawahl. Foto: Axel Heimken/Dpa

BRÜSSEL/DUBLIN/PRAG (dpa) - Sie geben noch einmal alles: Zum Endspurt des EU-Wahlkampfes trommeln die Spitzenkandidaten in Deutschland und Europa für ihre Parteien. Schon jetzt ist klar: Nach der Wahl wird der Poker um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Juncker hart.

Die großen Parteien in Deutschland beenden am Freitag den Europawahlkampf. In mehreren Städten sind zum Endspurt große Kundgebungen mit viel Parteiprominenz geplant. Dabei werben die Spitzenkandidaten für ihre Parteien - und wollen die Menschen zugleich dazu mobilisieren, am Sonntag zur Wahl zu gehen. Iren und Tschechen können bereits am Freitag, dem zweiten Tag der Europawahl, abstimmen. Ergebnisse soll es für beide Länder erst am Sonntagabend nach Abschluss der Wahl in allen EU-Ländern geben.

Den Auftakt machten am Donnerstag Großbritannien und die Niederlande. Dort wurde die Partei des Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten, Frans Timmermans, nach einer Prognose mit 18,4 Prozent der Stimmen überraschend stärkste Kraft, wie der staatliche niederländische Sender NOS unter Berufung auf Daten des Instituts Ipsos berichtete. Thierry Baudet, der neue Shootingstar der Rechten in dem Land, und sein Forum für Demokratie (FvD), landeten demnach nur auf Rang vier.

Nach der Wahl soll möglichst rasch über das künftige Spitzenpersonal der EU entschieden werden. Wie Timmermans will auch der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Deutsche Manfred Weber (CSU), Nachfolger des scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker werden.

Insgesamt können in den 28 EU-Staaten bis zum Sonntag mehr als 400 Millionen Wahlberechtigte über die 751 Abgeordneten des neuen Europaparlaments mitentscheiden. Amtliche Länder-Ergebnisse und eine erste Hochrechnung des EU-Parlaments zum Wahlausgang in ganz Europa werden erst am Sonntagabend kurz nach 23 Uhr erwartet - nach Schließung der letzten Wahllokale in Italien.

In Irland können die rund 3,7 Millionen Wahlberechtigten am Freitag bis 23.00 Uhr ihre Stimmen abgeben. Anschließend will die irische Rundfunkanstalt RTÉ eine erste Prognose veröffentlichen.

In Tschechien, wo zwei Tage lang abgestimmt wird, sind die Wahllokale am Freitag von 14.00 bis 22.00 Uhr geöffnet. Die rund 8,5 Millionen Wahlberechtigten können ihre Stimmen dort auch noch am Samstag zwischen 8.00 Uhr und 14.00 Uhr abgeben. Prognosen und Hochrechnungen sind in Tschechien nicht geplant.

In mehreren deutschen Städten gibt es am Freitag große Kundgebungen. In München wollen (16.30 Uhr) unter anderem EVP-Spitzenkandidat Weber, Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz reden. In Bremen, wo am Sonntag auch die Bürgerschaft - also der Landtag des Stadtstaates - gewählt wird, trommelt (15.30 Uhr) die SPD für sich. Erwartet werden dort Spitzenkandidatin Katarina Barley, Parteichefin Andrea Nahles, Vizekanzler Olaf Scholz und Bremens Regierungschef Carsten Sieling.

Die Linke plant ihren Wahlkampfendspurt am Freitag (16.00 Uhr) in Berlin: Neben den Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Özlem Demirel soll dort auch Parteichef Bernd Riexinger sprechen. Ebenfalls in der Hauptstadt treten (16.30 Uhr) im Wahlkampfendspurt der Grünen die Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold auf, zudem die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck. FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer und -Parteichef Christian Lindner kommen am Abend (19.00 Uhr) nach Frankfurt/Main, zeitgleich ist in der Stadt ein Auftritt von AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen geplant.

Die europäischen Sozialdemokraten sprechen trotz der schlechten Umfragewerte der deutschen SPD von guten Chancen, dass ihr Spitzenkandidat Timmermans nach der Wahl EU-Kommissionspräsident wird. «Im europäischen Gesamtkontext sieht es sehr gut für uns aus», sagte der bisherige Fraktionschef im Europaparlament, Udo Bullmann, der Deutschen Presse-Agentur. Die Lücke zum Lager der Christdemokraten werde nach Umfragen immer kleiner.

Zudem gelte im EU-Parlament nicht das Prinzip, dass derjenige, der eine Stimme Mehrheit habe, automatisch die Spitzenpositionen besetzen könne. Stattdessen gehe es darum, Allianzen für seine Politik zu finden, sagte Bullmann. «Ich bin mir sicher, dass wir eine Allianz für den Kommissionspräsidenten Frans Timmermans finden werden.» In Umfragen lag die deutsche SPD jüngst nur bei Werten um die 15 Prozent. Sie könnte damit im Vergleich zu ihrem Ergebnis im Jahr 2014 zwölf ihrer zuletzt 27 Sitze im EU-Parlament verlieren.

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok plädiert für rasche Absprachen aller demokratischen Parteien nach der Wahl, um einen ihrer Spitzenkandidaten als neuen EU-Kommissionschef durchzusetzen. Der Spitzenposten dürfe nicht wie früher von den Staats- und Regierungschefs ausgeklüngelt werden, sagte Brok der dpa. «Alles andere wäre ein Rückschritt. Es geht nicht zurück ins Hinterzimmer.»

Das Europaparlament will nur einen der Europawahl-Spitzenkandidaten zum EU-Kommissionspräsidenten wählen. Doch das Vorschlagsrecht liegt beim Rat der EU-Staats- und Regierungschefs, der die Ergebnisse der Europawahl nur «berücksichtigen» muss. Letztlich braucht ein erfolgreicher Kandidat Mehrheiten in beiden Institutionen.

Wegen des erwarteten Erfolgs rechtsnationalistischer und populistischer EU-Kritiker kommen Mehrheiten im Europaparlament künftig wohl nur mit breiten Bündnissen der übrigen Parteien zustande. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne hätten auch künftig zusammen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, betonte Brok. «Umso mehr sollten sich alle Demokraten ihrer Verantwortung bewusst sein und bei den Personalfragen zu Potte kommen», fügte der EU-Abgeordnete hinzu, der infolge parteiinterner Querelen nach knapp 40 Jahren im Parlament nicht mehr kandidiert.

Die deutschen Spitzenkandidaten für die Europawahl sind auch nach wochenlangem Wahlkampf relativ unbekannt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gaben 38 Prozent an, keinen einzigen der neun Kandidaten zu kennen, die für die sieben im Bundestag vertretenen Parteien antreten. Auf den höchsten Bekanntheitsgrad kommt noch SPD-Spitzenkandidatin und Justizministerin Barley mit 49 Prozent.

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