Europarat beschließt Schadensregister

nicht alle Länder dabei

Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs des Europarates. Foto: epa/Anton Brink Hansen
Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs des Europarates. Foto: epa/Anton Brink Hansen

REYKJAVIK: Einigkeit und Solidarität mit der Ukraine wollte der Europarat bei seinem ersten Gipfel seit fast 20 Jahren demonstrieren. Aber bei manchen Themen ist es dann doch nicht so weit her mit der Geschlossenheit.

Zum Abschluss ihres Gipfeltreffens in Reykjavik haben sich die 46 Staaten des Europarats klar an die Seite der Ukraine im Kampf gegen Russland gestellt. Sie verabschiedeten ein Register für Kriegsschäden in der Ukraine, forderten die Rückkehr aller nach Russland deportierten Kinder und machten sich für ein Sondertribunal stark. Die gewünschte Geschlossenheit beim ersten Gipfel nach 18 Jahren war jedoch vor allem beim Schadensregister löchrig.

Insgesamt haben sich 40 der 46 Staaten des Europarats dazu bereit erklärt, dem Schadensregister beizutreten oder dies in der Zukunft zu tun. Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Ungarn und die Türkei werden vorerst nicht dabei sein. Dafür beteiligen sich die EU, Kanada, Japan und die USA. Es sei vorhersehbar gewesen, dass sich nicht alle Länder von Anfang an beteiligen würden, sagte die isländische Premierministerin Katrin Jakobsdóttir, die den Vorsitz für den Gipfel innehatte. Die hohe Zahl an Unterstützern sei trotzdem ein Erfolg.

Der Europarat wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat in Europa gegründet. Er ist von der Europäischen Union unabhängig. Ihm gehören auch deutlich mehr Länder an als der EU - fast alle europäischen Staaten. Die Ukraine ist seit 1995 Mitglied. Russland wurde nach der Invasion in der Ukraine ausgeschlossen. Das gemeinsame Nachbarland Belarus ist suspendiert und bei dem Gipfel nur noch als Beobachter dabei.

Mit dem Schadensregister sollen die Zerstörungen in der von Russland angegriffenen Ukraine dokumentiert werden, um Russland dafür zur Rechenschaft ziehen zu können. Das Register gilt als erster Schritt auf dem Weg zu möglichen Entschädigungszahlungen an die Ukraine. Die Idee geht auf eine Resolution der Vereinten Nationen zurück und soll nun unter dem Dach des Europarats umgesetzt werden. Dabei sollen Informationen und Beweise über alle Schäden, Verluste und Verletzungen gesammelt werden, die der Ukraine seit dem russischen Angriff zugefügt wurden.

Das Schadensregister wird im niederländischen Den Haag angesiedelt, mit einer Außenstelle in der Ukraine. Es soll zunächst für die Dauer von drei Jahren eingerichtet werden. An dem Register können alle Mitglieder und Beobachter des Europarates teilnehmen sowie andere Länder, die dies beantragen und zugelassen werden. Sie zahlen dann voraussichtlich Beiträge, um das Register zu finanzieren.

Die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric, bezeichnete die Entscheidung für das Register als «historisch». Es sei eines der ersten rechtlich bindenden Instrumente, um Russland für seine Taten zur Verantwortung ziehen zu können.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die Haltung in seiner allabendlichen Videoansprache am Mittwoch: «Der Europarat hat eine wichtige Entscheidung getroffen: Die endgültige Entschließung des Gipfels in Island unterstützt die ukrainische Friedensformel.» Es sei wichtig, dass Europa im Interesse eines ehrlichen Friedensplans so geeint sei, sagte er. Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen markierte das vergangene Jahr vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Wendepunkt auf dem Weg vieler Länder in die EU. Das betreffe etwa die westlichen Balkanstaaten, Georgien oder die Ukraine, sagte sie in Reykjavik.

Es soll aber auch noch ein zusätzliches Instrument geben, das künftige Entschädigungen möglich machen soll. Dafür könnte eine Kommission eingesetzt werden und ein Entschädigungsfonds. Ein genaues Format gibt es dafür noch nicht. Unklar ist außerdem, wie ein solcher Entschädigungsfonds aufgebaut sein müsste. Immer wieder wird ins Spiel gebracht, dafür beschlagnahmte russische Vermögenswerte im Ausland heranzuziehen. Das gilt aber als juristisch sehr schwierig. Ebenso kompliziert ist die Forderung nach einem Sondertribunal für die russischen Verbrechen, die die Europaratsmitglieder unterstützten. Ein weiterer zentraler Punkt in der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens war die Rückkehr aller Kinder, die aus der Ukraine nach Russland deportiert wurden.

Es war erst das vierte Gipfeltreffen der Staatengruppe in ihrer mehr als 70-jährigen Geschichte. Mehr als 30 Staats- und Regierungschefs nahmen teil. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) waren auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Rishi Sunak dabei. Russlandfreundliche Staats- und Regierungschefs wie der serbische Präsident Aleksandar Vucic und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kamen dagegen nicht nach Island.

Der Europarat hat, obwohl älter und mit mehr Mitgliedern, im Schatten der EU in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. Der Gipfel sollte angesichts des russischen Angriffskriegs die Bedeutung der Organisation wieder mehr ins Bewusstsein rufen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte in Reykjavik zehn Millionen Euro zusätzlich zum deutschen Pflichtbeitrag für den Europarat an. Und von der Leyen wollte sich dafür einsetzen, dass die EU endlich der Europäischen Menschenrechtskonvention beitrete.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 18.05.23 14:40
Im Laufe der Zeit wird erkennbar werden, das die Hilfen für die UKR broeckeln werden. Auf Dauer ist keinem Staat zuzumuten, einen groeßeren Teil der Steuern für ein Land aufzubringen, das bisher als korruptes Land bekannt war. Auch milit. ist der Westen, insbesondere in Europa, inzwischen ziemlich entbloeßt. Wenn jetzt noch Mißerfolge oder verlorene Schlachten hinzu kommen, siehe Bachmut, wo die ukr. Armee verliert, wird es um so schwerer, Unterstützung zu erlangen. Die Geber verlangen schon Erfolge für ihre guten Taten.