EU verzichtet auf Sanktionen gegen Patriarch Kirill

Der Moskauer und gesamtrussische Patriarch Kirill nimmt am orthodoxen Ostergottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau teil. Foto: epa/Alexander Zemlianichenko
Der Moskauer und gesamtrussische Patriarch Kirill nimmt am orthodoxen Ostergottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau teil. Foto: epa/Alexander Zemlianichenko

BRÜSSEL/LUXEMBURG/BUDAPEST/KIEW: Ungarn legt sich erneut bei den EU-Sanktionen gegen Russland quer und erreicht dabei Zugeständnisse der anderen Mitgliedstaaten. Beim Ziel der Unterstützung für die Ukraine positioniert sich Bundesaußenministerin Baerbock unterdessen sehr klar.

Drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird die Verständigung auf weitere Sanktionen des Westens gegen Moskau immer schwieriger. Am Donnerstag erreichte Ungarn mit einer zeitweisen Blockade des nächsten EU-Sanktionspakets, dass keine Strafmaßnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill eingeführt werden.

Die Vertreter der EU-Staaten einigten sich aber auf die weiteren Teile des Sanktionspakets, darunter ein weitgehendes Embargo gegen Öl-Lieferungen aus Russland. Die US-Regierung verhängte weitere Sanktionen gegen russische Oligarchen und Regierungsbeamte, darunter der Milliardär Alexej Mordaschow und die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Am Freitag ist Tag 100 seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Aus dem Osten der Ukraine wurden weiter heftige Kämpfe gemeldet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte erneut eine lange militärische Auseinandersetzung voraus. Russische Truppen halten nach Worten des ukrainischen Staatschefs Wolodymyr Selenskyj inzwischen ein Fünftel seines Landes besetzt.

Keine EU-Sanktionen gegen Patriarch Kirill

Der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill sollte nach dem Willen der EU-Staaten mit Ausnahme Ungarns wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg auf die Sanktionsliste. Er pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin und zeigte sich bislang sehr kremltreu. Der 75-Jährige stellte sich in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt sogar, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe.

Wichtigster Teil des mittlerweile sechsten Sanktionspakets ist ein Embargo gegen den Import russischen Öls. Es wurde am Donnerstag von Vertretern der EU-Staaten ohne die eigentlich geplante Strafmaßnahme gegen Kirill gebilligt, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten.

Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öl-Lieferungen aus Russland sieht vor, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollen wegen ihrer großen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die Druschbba-Pipeline importieren dürfen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge wird die EU trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres rund 90 Prozent weniger Öl aus Russland beziehen.

Anhaltende Kämpfe um Sjewjerodonezk

Die Kämpfe um das Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine dauern nach Angaben aus Kiew an. Wie viele Bezirke der einstigen Großstadt die Ukrainer noch halten, ist unklar. Schon am Mittwoch hatten die Russen das Stadtzentrum eingenommen. Auch nach britischer Einschätzung rücken russische Truppen weiter vor und haben inzwischen den Großteil von Sjewjerodonezk eingenommen. Allerdings hätten sie erhebliche Verluste erlitten, hieß es unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse.

Das ukrainische Militär will Sjewjerodonezk nicht aufgeben. «Die Lage ist schwierig, aber sie ist besser als gestern. Und sie ist unter Kontrolle», sagte der stellvertretende Generalstabschef Olexij Hromow am Donnerstag vor Journalisten in der Hauptstadt Kiew.

Selenskyj: 20 Prozent der Ukraine von russischen Truppen besetzt

Die Ukraine sieht im Zuge des Angriffskriegs inzwischen ein Fünftel ihres Staatsgebiets von russischen Truppen besetzt. «Stand heute sind 20 Prozent von unserem Gebiet unter Kontrolle der Besatzer», sagte Selenskyj nach Angaben der Präsidialverwaltung in Kiew bei einer Video-Schalte vor dem luxemburgischen Parlament. Fast 125.000 Quadratkilometer seien der ukrainischen Kontrolle entrissen.

Er betonte, sein Land werde den Kampf gegen die Eindringlinge nicht aufgeben. «Wir haben sie gestoppt und teils zurückgedrängt, die Armee der Invasoren, die einst als zweitstärkste der Welt galt.»

Ukrainischer Parlamentspräsident fordert deutsche Kampfpanzer

Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk forderte bei einem Besuch in Berlin die Lieferung deutscher Leopard- und Marder-Panzer. «Natürlich brauchen wir vor allem moderne Waffen. Wir können auch mit alten Waffen aus alten Beständen kämpfen und standhalten, aber die neueren Waffen sind effizienter», sagte er am Donnerstag nach einem Treffen mit Bundestagsabgeordneten laut offizieller Übersetzung. «Deshalb erwarten wir sowohl die Marder als auch die Leoparden.»

Stefantschuk begrüßte zwar, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag die Lieferung weiterer schwerer Waffen in die Ukraine angekündigt hat. Er betonte aber, dass diese nun schnell geliefert werden müssten.

Kreml sieht noch keine Basis für Beitrittsreferendum in Südukraine

Kurzfristig wird es nach Angaben aus dem Kreml in den besetzten Gebieten der Südukraine kein Referendum zum Anschluss an Russland geben. «Wenn die Sicherheit nicht völlig gewährleistet ist - und wir sehen die andauernden Schläge der ukrainischen Militärs und Nationalisten auf zivile Ziele in diesen Gebieten - ist es natürlich kaum möglich, davon (von der Abhaltung eines Referendums - Red.) zu sprechen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. Damit widersprach er Forderungen der prorussischen Verwaltung in den Gebieten Cherson und Saporischschja sowie einigen Moskauer Politikern nach einem schnellen Anschluss der Region an Russland.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 03.06.22 13:20
Es zeigt sich in der letzten Zeit verstärkt, Despoten setzen sich mit ihrem Willen immer mehr durch. Dank teils zu großer Liberalität und selbstgewählter Mitgliedschaft in einem "Verein", der Kündigungen, es sei denn, man kündigt sich selbst, nicht vorsieht. So werden, als Beispiel, Orban die EU und Erdowahn die NATO weiterhin an der Nase herumführen.
Frank Filser 03.06.22 13:10
Orbans Haltung
Ich kann mir schwer vorstellen, dass diese Ausnahme in Zukunft keine Auswirkungen auf Ungarns Stellung und Foerdermittel haben werden.

Die Einzelstaaten der EU koennen evaluieren, ob das Rechtssystem die Einfuehrung der Sanktionen gegen diesen Herrn Kirill auf Ebene der Einzelstaaten erlaubt. Das unterstuetze ich.

In jedem Fall ist das teilweise Oelembargo schon ein wichtiger und richtiger Schritt nach vorne. Danke!
Beat Sigrist 03.06.22 07:10
Diktatoren gibt
es nicht nur in Russland, China und Nordkorea, sondern leider auch in der EU. Darum wird der Tag kommen, an welchem die ganze EU wie ein Kartenhaus zusammen fallen wird.
Beat Sigrist 02.06.22 23:09
Ausgerechnet Kirill
er mag wohl der Vorsteher seiner Religionsgruppe sein, aber gleichzeitig ist er auch ein Oligarch, mit einem privaten Vermögen von über 10 Milliarden US-Dollar umgerechnet! Welche Firma gehört diesem Kirill wohl?