BRÜSSEL: Nach der Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes mit Beschränkungen der Zivilgesellschaft wächst der Druck auf Georgiens Führung. Aus Brüssel kommt scharfe Kritik. Ist der EU-Beitritt gefährdet?
Nach der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Einschränkung des ausländischen Einflusses auf die Zivilgesellschaft in Georgien haben EU-Spitzenvertreter Tiflis dazu aufgerufen, das Gesetz zurückzuziehen. «Die Verabschiedung dieses Gesetzes wirkt sich negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg in die EU aus», erklärten der Außenbeauftragte Josep Borrell und der zuständige Kommissar Oliver Varhelyi am Mittwoch. Die Entscheidung über den weiteren Weg liege in Georgiens Händen. «Wir fordern die georgischen Behörden nachdrücklich auf, das Gesetz zurückzuziehen, ihr Bekenntnis zum EU-Beitritt aufrechtzuerhalten und die in den neun Schritten beschriebenen notwendigen Reformen voranzutreiben.»
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend. In einer Pressekonferenz mit der Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd verwies er auf sein Treffen mit Georgiens Ministerpräsident Irakli Kobachidse Mitte April in Berlin. Er habe damals klar und deutlich gesagt, dass er dieses Gesetz für einen Fehler halte, und dass es nicht beschlossen werden sollte, sagte der SPD-Politiker. «Daran hat sich, nachdem es nun beschlossen worden ist, nichts geändert.»
Georgien hat seit Ende vergangenen Jahres den Status eines Beitrittskandidaten in der EU. Der Mitteilung zufolge hatten die EU-Staaten Georgien diesen Status unter der Voraussetzung zuerkannt, dass das Land neun Schritte aus einer Empfehlung der Kommission umsetzt. Dazu gehören unter anderem, dass die Menschenrechte geschützt werden und die Zivilgesellschaft sowie die Medien frei agieren können.
Ungeachtet wochenlanger Massenproteste hatte die Regierungsmehrheit der Partei Georgischer Traum am Dienstag das umstrittene Gesetz gebilligt, das den ausländischen Einfluss auf Nichtregierungsorganisationen begrenzen soll. Verschärft wird die Rechenschaftspflicht für Hilfsorganisationen und unabhängige Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland erhalten. Zur Begründung heißt es, mehr Transparenz sei nötig.
Hunderttausende Gegner der «russisches Gesetz» getauften Regelung fürchten aber, dass damit wie in Russland kritische Organisationen mundtot gemacht werden sollen. Mit dem autoritären Kurs der Partei Georgischer Traum sehen sie den angestrebten EU-Beitritt der Ex-Sowjetrepublik in Gefahr. Nach der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament hielten die Massenproteste aus der Bevölkerung an. Auch am Dienstagabend waren Medienberichten zufolge wieder Tausende Menschen in der Hauptstadt Tiflis auf die Straßen gegangen.
Belgien bedauere die Verabschiedung des Gesetzes sehr, das das Land von den europäischen Werten entfernt, schrieb die belgische Außenministerin Hadja Lahbib am Mittwoch auf der Plattform X. «Wir fordern die georgischen Behörden dringend auf, diese Maßnahme zu überdenken und ihr Engagement für die EU aufrechtzuerhalten.» Belgien unterstütze das georgische Volk und seine Entscheidung für die Demokratie, den Schutz der Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit. «Die Georgier streben nach einer europäischen Zukunft. Ihre Stimme muss gehört werden.»