EU-Kommission beantragt Sanktionen gegen Polen

Streit um die Justiz  

Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für Werte und Transparenz, Vera Jourova. Foto: epa/John Thys
Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für Werte und Transparenz, Vera Jourova. Foto: epa/John Thys

BRÜSSEL: Die polnische Regierung gerät im Streit um ihre Justizreform immer mehr unter Druck. Jetzt sollen sogar Sanktionen her, um Warschau zur Einhaltung von EU-Recht zu bewegen. Polens Justizminister spricht von einer «Aggression» und einem «juristischen hybriden Krieg».

Die EU-Kommission verschärft mit einem Antrag auf finanzielle Sanktionen gegen Polen ihr Vorgehen gegen die Justizreformen des Landes. Hintergrund ist insbesondere die fortgesetzte Tätigkeit der Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern, wie die Brüsseler Behörde am Dienstag mitteilte. Sie ist nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht mit EU-Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz vereinbar.

«Die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (...) wurden in Polen nicht vollständig umgesetzt», erklärte die zuständige Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova zur Beantragung der Finanzsanktionen. Deswegen gehe man nun den nächsten Schritte, um der Situation Rechnung zu tragen. «Die Justizsysteme in der gesamten Europäischen Union müssen unabhängig und fair sein», kommentierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Polens Justizminister Zbigniew Ziobro rügte den Schritt der EU-Kommission mit scharfen Worten. «Unter dem Vorwand des Rechts haben wir es hier mit einer Aggression gegen Polen zu tun», schrieb Justizminister Zbigniew Ziobro am Dienstag auf Twitter. Man könne das nur in diesen Kategorien kommentieren, als «juristischen hybriden Krieg», schrieb Ziobro weiter.

Über den Antrag auf finanzielle Sanktionen muss nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden. Ihre Höhe könnte sich theoretisch auf ein tägliches Zwangsgeld in sechsstelliger Höhe belaufen. In einem anderen Fall hatte der EuGH Polen 2017 eine Strafzahlung in Höhe von mindestens 100.000 Euro pro Tag angedroht. Damals hatte der Gerichtshof Polen angewiesen, die Abholzung des geschützten Urwalds Bialowieza einzustellen.

Wann die EU-Kommission mit einer Entscheidung im aktuellen Fall rechnen kann, wollte der EuGH am Dienstag nicht sagen. Ein Sprecher wies auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur allerdings darauf hin, dass Entscheidungen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel sehr zügig ergehen.

Die Kommission hatte der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau zuletzt ein Ultimatum bis Mitte August gesetzt, um eine weitere Eskalation des Streits zu verhindern. Davor hatte der EuGH Mitte Juli geurteilt, dass Polen mit der Disziplinarkammer gegen europäisches Recht verstößt. Zudem wurde das Land mit einer einstweiligen Anordnung aufgefordert, die Bestimmungen auszusetzen, mit denen die Disziplinarkammer ermächtigt wird, über Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität sowie über Fragen zur Beschäftigung und Pensionierung von Richtern zu entscheiden. Der Beschluss betraf zudem noch weitere Bestimmungen des polnischen Rechts, die die Unabhängigkeit von Richter betreffen.

Polen hatte daraufhin angekündigt, dass die umstrittene Disziplinarkammer in ihrer derzeitigen Form abgeschafft werden soll. Sie arbeitet derzeit aber noch weiter alte Fälle ab. Nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP gab es bei der Kammer im August 66 bereits laufende Verfahren gegen Richter, davon 19 Disziplinarverfahren und 24 Verfahren um die Aufhebung der richterlichen Immunität.

Erst am Montag stand ein solches Verfahren gegen einen Richter des Obersten Gerichtshofs auf der Agenda der Kammer. Die Sitzung wurde jedoch abgesagt, da einer der zuständigen Richter abwesend war. Wie aus der Webseite des Obersten Gerichtshofes hervorgeht, sind in den kommenden Wochen weitere Sitzungen der umstrittenen Kammer geplant.

Sie galt bislang als das Herzstück der von der PiS-Regierung initiierten Justizreformen. Die Kammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Kritiker befürchten, sie könne dazu dienen, Richter für unliebsame Entscheidungen zu maßregeln.

Aus dem Europaparlament und dem Bundestag kamen positive Reaktionen auf die Ankündigungen der Behörde von Ursula von der Leyen. Der SPD-Politiker Achim Post sagte: «Es ist ein guter, überfälliger Schritt, dass die Europäische Kommission nun auch mit finanziellen Sanktionen die Kontrolle der polnischen Justiz durch die rechtsgerichtete PiS zu verhindern sucht.»

Der Grünen-Abgeordneten Daniel Freund und Franziska Brantner nannten das Vorgehen ebenfalls richtig. Solche Strafmaßnahmen seien schmerzhaft und das wirksamste Mittel, um den Rechtsstaat in Europa durchzusetzen, hieß es. Der FDP-Politiker Moritz Körner kommentierte: «Die polnische Regierung muss mit allen Mitteln gezwungen werden, die Demokratie im eigenen Land nicht zu zerstören.»

Als ein weiteres Mittel gilt dabei das Zurückhalten von EU-Geldern. Derzeit verweigert die EU-Kommission Polen unter Verweis auf Rechtsstaatlichkeitsprobleme die Zustimmung zu Plänen zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen. Dies führt dazu, dass dem Land bislang kein Geld ausgezahlt werden konnte. Für Polen stehen eigentlich rund 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen bereit.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Alexandre 09.09.21 04:10
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Einfach Polen mit einer letzten Fristsetzung verwarnen, danach Antrag auf Suspendierung der EU-Mitgliedschaft eines Staats, then is time say goodbye.