EU legt Ziele für Russland-Sanktionen im Fall Nawalny fest

Europäischer Rat. Foto: epa/Olivier Hoslet
Europäischer Rat. Foto: epa/Olivier Hoslet

BRÜSSEL/MOSKAU: Im Fall der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny verhängt die EU im Eiltempo neue Russland-Sanktionen. Die Reaktion aus Moskau kommt prompt.

Die EU wird nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sechs Personen und eine Organisation aus Russland mit Sanktionen belegen. Darauf einigten sich Vertreter der EU-Staaten am Mittwoch in Brüssel, wie die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten erfuhr. Der russische Außenminister Sergej Lawrow reagierte in einem Interview mit einem Moskauer Radiosender prompt und kündigte «spiegelgenaue» Gegensanktionen an. Diese gleichwertige Antwort - also ebenfalls eine Liste mit Namen - sei Praxis in der Diplomatie, sagte Lawrow.

Die EU-Strafmaßnahmen, die Einreiseverbote und Vermögenssperren umfassen, sollen nun im schriftlichen Verfahren formell beschlossen werden. Sie könnten damit bereits an diesem Donnerstag in Kraft treten.

Bei den betroffenen Personen wird es sich nach Informationen aus EU-Kreisen um Verantwortungsträger aus dem Kreml und aus dem russischen Sicherheitsapparat handeln. Namen wurden allerdings zunächst nicht genannt, um zu verhindern, dass die Betroffenen möglicherweise in der EU vorhandene Vermögenswerte vor dem offiziellen Sanktionsbeschluss in Sicherheit bringen können.

Die «New York Times» veröffentlichte eine bislang nicht bestätigte Liste mit Namen: Sergej Kirijenko, erster Vizechef der russischen Präsidialverwaltung; Alexander Bortnikow, der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB; Andrej Jarin, der im Kreml für die Innenpolitik zuständige Beamte; Sergej Menjailo, der Gesandte des Präsidenten im Föderationskreis Sibirien und Vizeadmiral der Reserve sowie Mitglied im Förderationsrat. Genannt werden zudem die beiden Vizeverteidigungsminister Pawel Popow und Alexej Kriworutschko.

Als betroffene Organisation wird das staatliche russische Forschungsinstitut für organische Chemie und Technologie genannt. Es war bereits im Fall des Anschlags auf den früheren russischen Geheimdienstler Sergej Skripal in Großbritannien mit dem international verbotenen Nervenkampfstoff Nowitschok in Verbindung gebracht worden. Nach Untersuchungsergebnissen mehrerer Labors in der EU wurde nun auch Nawalny mit dem von Russland entwickelten militärischen Nervenkampfstoff vergiftet.

Moskau behauptet, dass alle Nowitschok-Vorräte auf russischem Gebiet vernichtet worden seien, aber das Nervengift auch in ausländische Hände geraten sei.

Der russische Kremlkritiker Nawalny war am 20. August während eines Inlandsflugs in Russland zusammengebrochen. Nach einer Notlandung in der sibirischen Stadt Omsk wurde er auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt. Dort lag er wochenlang im Koma. Der 44-Jährige hat das Krankenhaus mittlerweile verlassen, ist aber noch nicht vollständig genesen und macht in der deutschen Hauptstadt eine Reha-Maßnahme.

Hauptinitiatoren der Sanktionen sind Deutschland und Frankreich. Sie begründen ihr Vorgehen damit, dass Moskau Aufforderungen zu einer lückenlosen Aufklärung der Tat nicht nachgekommen sei. Bislang sei von Russland keine glaubhafte Erklärung zu dem grausamen Mordversuch geliefert worden, hatte es zuletzt in einer Erklärung von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und seinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian geheißen. Daher sei man der Ansicht, «dass es keine andere plausible Erklärung für die Vergiftung von Herrn Nawalny gibt als eine russische Beteiligung und Verantwortung».

Die Strafmaßnahmen zielen der Erklärung zufolge auf Einzelpersonen ab, «die aufgrund ihrer offiziellen Funktion als verantwortlich für dieses Verbrechen und den Bruch internationaler Rechtsnormen gelten, sowie auf eine Einrichtung, die in das Nowitschok-Programm eingebunden ist».

Nawalny vermutet, dass der russische Präsident Wladimir Putin hinter dem Giftanschlag auf ihn steckt. Der Kreml weist solche Schuldzuweisungen allerdings als «absolut nicht zulässig» zurück. Die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt. In dem Radio-Interview warf Lawrow den deutschen Behörden erneut vor, keine Beweise für eine Vergiftung Nawalnys vorgelegt zu haben. Damit verstoße das Land gegen internationale Rechtsvorschriften.

Bereits am Vortag hatte Lawrow mit Blick auf die Spannungen im Fall Nawalny die EU vor einer zeitweiligen Beendigung des Dialogs gewarnt. Die für die Außenpolitik in der EU verantwortlichen Amtsträger verstünden nicht die Notwendigkeit eines von gegenseitiger Wertschätzung geprägten Gesprächs. «Vielleicht sollten wir für eine Zeit einfach aufhören, mit ihnen zu sprechen - vor allem, wenn (EU-Kommissionspräsidentin) Ursula von der Leyen mitteilt, dass mit dem gegenwärtigen russischen Apparat eine geopolitische Partnerschaft nicht gelinge», sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax zufolge am Dienstag bei einem Expertenforum.

Nach Angaben des Außenministeriums in Moskau sprach Lawrow am Dienstag auch mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell über den Fall Nawalny. Es sei nicht klar, ob die EU derzeit überhaupt noch etwas mit Russland zu tun haben wolle, hieß es in Moskau. Russland hatte verschiedene Versionen gestreut zu dem Fall. Besonders verbreitet ist weiter die Behauptung, westliche Geheimdienste hätten Nawalny womöglich vergiftet, um Russland international an den Pranger zu stellen und mit Sanktionen zu bestrafen, um es so politisch und wirtschaftlich zu schwächen.

Nach einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» (Donnerstag) soll auch der Kreml-Vertraute Jewgeni Prigoschin von der EU mit Sanktionen belegt werden. Hintergrund sind Verstöße gegen das Waffenembargo gegen Libyen. Dem Milliardär werden Medienberichten zufolge Verbindungen zu der Söldner-Gruppe «Wagner» nachgesagt werden, die er jedoch abstreitet. Diese Söldner sollen in den Bürgerkriegsländern Libyen und Syrien im Einsatz sein.

Der ehemalige Koch von Kreml-Chef Wladimir Putin hatte am Mittwoch auch angekündigt, Nawalny wegen Rufschädigung zu verklagen. Hintergrund sind Recherchen von Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds zu Prigoschin, der von den russischen Behörden immer wieder lukrative Aufträge erhält. Prigoschin hatte Nawalny schon mehrfach verklagt.

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