Mindestens 22 tote türkische Soldaten

​Eskalation in Idlib

Foto: epa/Yahya Nemah
Foto: epa/Yahya Nemah

ISTANBUL/IDLIB/MOSKAU (dpa) - Die Lage in der Rebellenhochburg Idlib in Syrien eskaliert rasant. Offiziellen Angaben zufolge sterben dort unter syrischem Beschuss mindestens 22 türkische Soldaten. Erdogan beruft eine Sondersitzung ein. Gleichzeitig sind fast eine Million Menschen auf der Flucht.

Bei einem syrischen Luftangriff sind offiziellen Angaben zufolge in der nordsyrischen Provinz Idlib mindestens 22 türkische Soldaten getötet worden. Das sagte der Gouverneur der südtürkischen Grenzprovinz Hatay, Rahmi Dogan, am frühen Freitagmorgen (Ortszeit). Zuvor war von neun Toten sowie Schwerverletzten die Rede gewesen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan leitete nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am späten Donnerstagabend eine Sondersitzung zu Idlib in Ankara. Auch die größte Oppositionspartei CHP soll eine Sitzung zu Idlib einberufen haben. Nach Angaben von Anadolu telefonierte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der türkische Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun drohte laut Anadolu: «Das Blut unserer heldenhaften Soldaten wird nicht ungesühnt bleiben, unsere Aktionen, die auf dem Feld in Syrien andauern, werden fortgesetzt, bis die Hände, die sich nach unserer Fahne strecken, gebrochen werden.»

Der Vorsitzende der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte der Deutschen Presse-Agentur, 34 türkische Soldaten seien getötet und zehn weitere verletzt worden. Syrische Kampfflugzeuge hätten einen Konvoi der Soldaten südlich der Stadt Sarakib bombardiert. Der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham forderte angesichts der Eskalation eine Flugverbotszone in Idlib.

Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Situation dort war jüngst eskaliert. Die Türkei unterstützt in dem Konflikt islamistische Rebellen. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet. Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen war das syrische Militär mit russischer Unterstützung aber weiter in dem Gebiet vorgerückt. Hunderttausende sind auf der Flucht.

US-Senator Graham richtete seinen Aufruf am Donnerstag an die Adresse von US-Präsident Donald Trump: «Es ist jetzt an der Zeit, dass die Internationale Gemeinschaft eine Flugverbotszone einrichtet, um Tausende unschuldige Männer, Frauen und Kinder vor einem schrecklichen Tod zu retten.»

Bei Zusammenstößen zwischen syrischem und türkischem Militär waren bis zum Donnerstagmorgen innerhalb rund eines Monats bereits rund 20 türkische Soldaten in der Region getötet worden.

Erdogan hat wiederholt mit einem Militäreinsatz gedroht, sollte sich das syrische Militär nicht zurückziehen. Ein entsprechendes Ultimatum in Richtung syrische Regierung soll Ende Februar auslaufen. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit Russland.

Angesichts der Eskalation hatte Bundesaußenminister Heiko Maas zuvor das Vorgehen der syrischen Armee und Russlands als Kriegsverbrechen gebrandmarkt. «Als Konfliktparteien stehen sie in der Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen. Stattdessen bombardieren sie zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen», sagte Maas am Donnerstag vor dem UN-Sicherheitsrat. «Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus sprechen niemanden von der Einhaltung des humanitären Völkerrechts frei.»

Vor der Sitzung hatte der SPD-Politiker im ARD-«Mittagsmagazin» erneut eine sofortige Waffenruhe gefordert. «Das Leid der Menschen vor Ort ist unbeschreiblich», sagte Maas.

Nach UN-Angaben sind seit Anfang Dezember fast 950 000 Menschen vor der Gewalt geflohen. Helfer beklagen eine katastrophale humanitäre Lage. Es fehlt an Unterkünften, Lebensmitteln, Heizmaterial und medizinischer Versorgung. Hilfsorganisation sprechen vom schlimmsten Flüchtlingsdrama seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor fast neun Jahren.

Kremlchef Wladimir Putin dämpfte am Donnerstag die Hoffnungen auf einen vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgeschlagenen Syrien-Gipfel, an dem auch Deutschland und Frankreich teilnehmen sollen. Erdogan wolle dort mit Putin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron über die Lage in Idlib reden.

Das Außenministerium in Moskau sah zunächst keine Notwendigkeit, über einen Vierer-Gipfel zu sprechen. «Wenn wir über bilaterale Probleme sprechen, sollten sie in einem bilateralen Format gelöst werden», sagte Sprecherin Maria Sacharowa. Gespräche dazu liefen bereits.

US-Verteidigungsminister Mark Esper habe mit seinem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar über die «brutale Aggression des Assad-Regimes» in Idlib gesprochen, das von Russland und dem Iran unterstützt werde, teilte Pentagon-Sprecherin Alyssa Farah mit. Die USA prüften Möglichkeiten, wie sie mit der Türkei und der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten könnten.

Im Nordwesten Syriens gingen die Kämpfe unterdessen weiter. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, sei es den Rebellen gelungen, die strategisch wichtige Stadt Sarakib wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie hatten den Ort erst in diesem Monat an syrische Regierungstruppen verloren. Der Ort liegt an zwei Verbindungsstraßen, die der oppositionellen Syrischen Nationalarmee zufolge beide unterbrochen wurden. Dazu zählt auch eine Achse zwischen der Hauptstadt Damaskus und Aleppo. Türkische Artillerie habe die Truppen Assads massiv beschossen, meldeten die Menschenrechtsbeobachter.

Russische Militärkreise dementierten die Einnahme der Stadt allerdings. Alle Angriffe seien von den syrischen Truppen abgefangen worden, hieß es der russischen Staatsagentur Tass zufolge.

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