Erinnerung an Nemzow-Mord vor sechs Jahren und Ehrung für Nawalny

Trauermarsch für den ermordeten Putin-Kritiker Boris Nemzow in Moskau. Foto: epa/Yuri Kochetkov
Trauermarsch für den ermordeten Putin-Kritiker Boris Nemzow in Moskau. Foto: epa/Yuri Kochetkov

MOSKAU: Im Gedenken an den 2015 ermordeten russischen Oppositionellen Boris Nemzow steht ein Gegner von Präsident Putin diesmal besonders im Fokus: Alexej Nawalny. Nur knapp überlebte er einen Anschlag - und erhält nun eine Ehrung. Aber wo ist der inhaftierte Kremlgegner?

Sechs Jahre nach der Ermordung des russischen Oppositionellen Boris Nemzow hat die nach ihm benannte Stiftung den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny für seine Zivilcourage ausgezeichnet. Der 44-Jährige erhalte in diesem Jahr den Nemzow-Preis für seinen Mut bei der Verteidigung der demokratischen Werte in Russland, teilte die Stiftung zum Jahrestag der Ermordung des früheren Vize-Regierungschefs am Samstag mit.

Am Tatort, wo Nemzow am 27. Februar 2015 in Kremlnähe erschossen worden war, legten Tausende Menschen Blumen nieder, darunter der deutsche Botschafter Géza Andreas von Geyr und sein US-Kollege John J. Sullivan.

Nawalnys Frau Julia Nawalnaja kam mit einer schwarzen Jacke und Gesichtsmaske zum Tatort , um an das Verbrechen in Sichtweite zum Amtssitz von Kremlchef Wladimir Putin zu erinnern. Viele Trauernde machen Putin für die tödlichen Schüsse auf Nemzow ebenso verantwortlich wie für das Attentat auf Nawalny im August mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok. Der 44-jährige Nawalny überlebte den Giftanschlag nur knapp - und wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er behandelt wurde, zu Straflagerhaft verurteilt.

Doch wo hält Nawalny sich auf? Dazu machten die Behörden weiter keine Angaben. Bestätigt ist nur, dass er nicht mehr im Untersuchungsgefängnis in Moskau ist. Mehrere russische Medien berichteten, dass der Gegner Putins ins Straflager 2 der Stadt Pokrow rund 100 Kilometer östlich von Moskau im Gebiet Wladimir gebracht worden sei.

Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow, der im Ausland lebt, wies aber darauf hin, dass die Information nicht bestätigt sei. Weder Nawalnys Ehefrau Julia noch andere Familienmitglieder hätten bisher eine Nachricht über seinen Aufenthalt - oder darüber, wo er die gut zweijährige Haftstrafe absitzen soll.

Das Team Nawalnys fürchtet um sein Leben, weil die Straflager in Russland als «Hölle auf Erden» in der Kritik stehen. Der Oppositionsführer Nawalny gilt für viele Menschen in Russland nach dem Tod Nemzows als neue Hoffnung für ein Ende der Präsidentschaft Putins, der seit mehr als 20 Jahren an der Macht ist.

In Moskau und vielen anderen Städten Russlands sowie im Ausland erinnerten indes Menschen an den politischen Mord an Nemzow. In einigen Städten gab es Festnahmen. Die Behörden hatten wegen der Corona-Pandemie die traditionellen Gedenkmärsche verboten. US-Außenminister Antony Blinken kritisierte eine «wachsende Intoleranz» gegenüber Andersdenkenden in Russland. Wer sich für Freiheit einsetze in dem Land, werde das Ziel von «Attacken und Attentaten». «Das russische Volk hat Besseres verdient.»

Der Mord an Nemzow wirft noch immer viele Fragen auf. Die EU drängte Russland wiederholt dazu, den Fall weiter aufzuklären. Ein Gericht in Moskau verurteilte 2017 den mutmaßlichen Mörder und vier Komplizen aus dem Nordkaukasus zu langen Haftstrafen. Die Familie Nemzows beklagte, dass nach den Drahtziehern nie wirklich gesucht worden sei. Der Politiker galt als liberaler Reformer und war in den 1990er Jahren Vize-Regierungschef. Später wurde er zur Galionsfigur der russischen Opposition. Er war ein erbitterter Kritiker Putins.

Nemzows Tochter Schanna Nemzowa beklagte im Interview mit dem russischen Portal snob.ru, dass das «autoritäre Regime» in Russland immer aggressiver werde. Putin werde sich bis zum Schluss an die Macht klammern, meinte sie. Sie selbst habe Angst um ihre Sicherheit, finde es unerträglich in der Heimat und wohne deshalb vor allem in der tschechischen Hauptstadt Prag.

Nemzowa erinnert mit ihrer 2015 in Bonn ins Leben gerufenen Stiftung jährlich mit dem Preis für Zivilcourage an den Tod ihres Vaters. Der Preisträger Nawalny wird demnach als «Symbol des Widerstands gegen Tyrannei in der Welt» gewürdigt. Die Stiftung forderte seine sofortige Freilassung. «Alexej Nawalny hat nicht nur unglaublichen persönlichen Mut bewiesen, sondern auch einen enormen Beitrag zur Aufdeckung von Korruption (...) geleistet.»

Viel diskutiert wurden ältere Vorwürfe gegen Nawalny, er sei ein Nationalist. Nemzowa wies das zurück: «Nawalny ist kein Nationalist». Der Politiker hatte sich nach Darstellung seines Teams entschuldigt für frühere Beschimpfungen von Migranten. Vor allem Russlands Staatsmedien stellen den Politiker aber als Neonazi hin. Sie feierten eine international umstrittene Entscheidung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Nawalny den Status als politischer Gefangenen abzuerkennen.

Zudem fiel die Amnesty-Leitung auf einen falschen Zoom-Anruf eines kremltreuen Trolls herein, der sich als Nawalnys Mitarbeiter Wolkow ausgab. Ruslands staatlicher Auslandssender Russia Today strahlte das Gespräch in voller Länge aus. Amnesty-Generalsekretärin Julie Verhaar entschuldigte sich später und kündigte eine Prüfung des Vorgangs an.

Der echte Wolkow meinte, dass die Amnesty-Führung sich als «unfit» erwiesen habe, eine Hilfsorganisation mit einem millionenschweren Jahresbudget zu leiten. Der britische Abgeordnete Chris Bryant erklärte nach 35 Jahren seinen Austritt aus der Organisation - und kritisierte, dass Amnesty Putin einen «PR-Coup» beschert habe.

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