Deutscher Botschafter unerwünschte Person

​Deutsche Politiker kritisieren Vorgehen der türkischen Regierung

Foto: Pixabay/Gerd Altmann
Foto: Pixabay/Gerd Altmann

ISTANBUL: Eklat in den Beziehungen zur Türkei: Präsident Erdogan erklärt Diplomaten aus zehn Ländern zu unerwünschten Personen. Darunter: der deutsche Botschafter. Hintergrund ist deren Einsatz für einen inhaftierten Kulturförderer.

Im Streit um die Inhaftierung des Kulturförderers Osman Kavala hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Botschafter Deutschlands, der USA und mehrerer anderer Staaten zu unerwünschten Personen erklärt. Er habe den Außenminister dazu angewiesen, sagte Erdogan am Samstag in Eskisehir. «Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zur «Persona non grata» zu erklären», so Erdogan. Ein solcher Schritt führt in der Regel zur Ausweisung der Diplomaten.

Aus Kreisen des Auswärtigen Amts in Berlin hieß es als Reaktion darauf am Samstagabend: «Wir haben die Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan sowie die Berichterstattung hierüber zur Kenntnis genommen und beraten uns derzeit intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern.»

Hintergrund ist der Einsatz der Diplomaten für den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala. Der 64-Jährige sitzt seit 2017 in Istanbul in Untersuchungshaft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schon 2019 seine Freilassung angeordnet hatte. Die Türkei ignoriert das Urteil bislang.

Der Eklat bahnte sich schon am Montag an: Die Botschaften von zehn Ländern forderten in einem Aufruf mit Verweis auf das EGMR-Urteil die Freilassung Kavalas. Veröffentlicht wurde die Erklärung von den Botschaften aus Deutschland, den USA, Frankreich, Kanada, Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen und Schweden. Ankara verstand das als Einmischung in innere Angelegenheiten und reagierte scharf. Schon einen Tag später mussten die Diplomaten im türkischen Außenministerium vorstellig werden. Der Aufruf sei «maßlos» und «inakzeptabel» wurde ihnen deutlich gemacht.

Auch Erdogan tobte: «Steht euch zu, der Türkei so eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr schon?», hatte er am Donnerstag gesagt. Deutschland oder die USA ließen «Ganoven, Mörder und Terroristen» auch nicht einfach frei. Indirekt deutete Erdogan auch schon eine bevorstehende Ausweisung an.

Würden die Diplomaten wirklich zu unerwünschten Personen erklärt, würde die Türkei deren Tätigkeit auf ihrem Staatsgebiet vorzeitig beenden. Der Entsendestaat müsste die Botschafter innerhalb einer bestimmten Frist abberufen.

Ein solcher Schritt würde zu einer tiefen Krise in den Beziehungen des Nato-Lands Türkei zu Europa und den USA führen. Deutschland und die Türkei hatten sich eigentlich wieder angennährt, nachdem die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern 2017 zu einem tiefen Zerwürfnis in den bilateralen Beziehungen geführt hatte. Erst vergangene Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch bei Erdogan die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen betont.

Erdogan greift den Kulturförderer Kavala auch immer wieder persönlich an. Erst vor Kurzem bezeichnete er ihn als «Soros-Überbleibsel» - im Bezug auf den US-Philantropen und Investor George Soros. Wie Soros fördert Kavala zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte. Kavala ist etwa Gründer der Organisation Anadolu Kültür in der Türkei, die unter anderem mit dem Goethe-Institut und anderen deutschen Stiftungen zusammenarbeite.

Erdogan ist solches Engagement zutiefst suspekt. Er sieht Kavala als Teil eines internationalen Netzwerks, um Unruhen in seinem Land zu schüren. Seine Angst: ein Umsturzversuch ähnlich wie ihn die Türkei 2016 erlebt hat. Auch die regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013 sind für Erdogan nichts anderes als der Versuch gewesen, seine Regierung zu stürzen.

Kavala war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die Gezi-Proteste finanziert und organisiert zu haben. Dann folgte ein juristisches Gerangel: Im Februar vergangenen Jahres sprach ein Gericht Kavala frei und er sollte, wie auch vom EGMR angeordnet, freigelassen werden. Ein neuer Haftbefehl sorgte allerdings dafür, dass Kavala in Haft blieb. Diesmal wurde ihm «politische und militärischen Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen. Auch das Verfahren im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten wurde neu aufgerollt. Kavala und mehr als 50 weitere Angeklagte müssen sich für die Vorwürfe in einem Verfahren in Istanbul verantworten.

Aus Protest gegen die Anschuldigungen Erdogans hatte Kavala am Freitag über seine Anwälte wissen lassen, dass er an zukünftigen Gerichtsverhandlungen nicht mehr teilnehmen werde. Ein fairer Prozess sei unter diesen Umständen ohnehin nicht mehr möglich.


Deutsche Politiker kritisieren Vorgehen der türkischen Regierung

BERLIN/ISTANBUL: Politiker von FDP, CDU und Grünen haben das Vorgehen der türkischen Regierung gegen den deutschen Botschafter in dem Land kritisiert. «Die mögliche Ausweisung von zehn Botschaftern, darunter die Vertreter von Deutschland und vieler NATO-Verbündeter der Türkei, wäre unklug, undiplomatisch und würde den Zusammenhalt des Bündnisses schwächen», schrieb der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Samstag bei Twitter. «Daran kann Erdogan kein Interesse haben.»

Die Türkei hatte zuvor die Botschafter Deutschlands, der USA und mehrerer anderer Staaten zu unerwünschten Personen erklärt. Er habe das Außenministerium dazu angewiesen, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Hintergrund ist eine Forderung der Botschafter zur Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala. Es war zunächst unklar, ob Erdogans Aussagen unmittelbar zu einer Ausweisung der Diplomaten von insgesamt zehn Ländern führen.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) forderte Sanktionen: «Erdogans skrupelloses Vorgehen gegen seine Kritiker wird zunehmend enthemmt», sagte Roth der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse dem «autoritären Kurs Erdogans international die Stirn bieten», Sanktionen erlassen und Rüstungsexporte in die Türkei stoppen.

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sprach gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» von einer «außenpolitischen Eskalation». Präsident Recep Tayyip Erdogan «führt sein Land damit weiter in die umfassende Abwendung von Europa und dem Westen». Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, sagte der Zeitung: «Das ist komplett indiskutabel und muss Konsequenzen haben.» Man werde sich davon nicht abhalten lassen, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einzutreten. Man werde «auch in Zukunft einen sehr deutlichen Ton» Erdogan gegenüber anschlagen müssen.

Kavala und mehr als 50 weiteren Angeklagten wird in einem Prozess ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten in Istanbul 2013 vorgeworfen. Kavala wird zudem der «politischen und militärischen Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 beschuldigt.

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Dieter Kowalski 24.10.21 20:51
@ Herr Obermeier
Sehe ich auch so. Aber es ist ja auch kein Wunder, da viele Menschen heutzutage scheinbar wieder einen starken Mann an der Spitze des Staates haben möchten. Da werden dann halt rechtsextreme, religiöse Spinner oder Möchtegern-Diktatoren an die Spitze des Landes gewählt oder mit Hilfe von anderen Mächten oder des Militärs installiert. Man braucht sich ja nur in der Welt umzusehen - dieses Phänomen betrifft alle Regionen des Planeten. Solange Leute wie Bolsonaro, Trump, Putin, Jinping, Orban, Erdogan, Duderte, Min Aung Hlaing, Kim Jong-un, Lukaschenko, Assad, Mugabe uvam. irgendetwas zu bestimmen haben, ist die Welt ein unsicherer Ort.
Dracomir Pires 24.10.21 15:30
Wann setzt die Welt endlich ...
... den islamistischen Kriegstreiber auf die Liste der unerwünschten Personen? Ich mag zwar die EU nicht, aber es ist doch ein Skandal, wie sich der undemokratische Moloch von Erdowahn auf der Nase rumtanzen lässt.
Ingo Kerp 24.10.21 13:00
Frechheit siegt, koennte man von manchem Despotn sagen und unschwer auch von Erdowahn. Was hat der Profilneurotiker nicht schon alles gesagt und gemacht, was ungestraft blieb. In der EU gibt und gab es immer noch Stimmen, die glauben, mit ihm in ein konstruktives Gespräch zu kommen. Die einzige Person die mit ihm reden konnte ohne das er aubrausend wurde, war Merkel. Sie hatte die entsprechenden Streicheleinheiten in Form von Milliarden Euro dabei und schon wurde Erdowahn besänftigt.