Debatte über Alkoholverbot für Kneipen

​Entsetzen und große Sorge

Foto: epa/Focke Strangmann
Foto: epa/Focke Strangmann

BERLIN: Die Lust auf Ausgehen, Trinken und Feiern steigt besonders bei jungen Menschen - trotz Corona. In Parks läuft Techno, aus offenen Fenstern hört man nachts wieder Partygeräusche. Vor Kneipen herrscht Gedränge. Regeln spielen keine Rolle. Ist vor allem der Alkohol schuld?

Bis in die Morgenstunden steht die heiße Sommerluft derzeit in den Straßen der Berliner Innenstadt. Die Bänke vor Kneipen und Bier-Kiosken (in Berlin: «Spätis») sind in Kreuzberg, Neukölln und Mitte voll junger Menschen. Corona-Abstände, Masken, Kontaktlisten? Selten ist das die Priorität in den Partykiezen im heißen August. Eher kommt dem Beobachter 2raumwohnung in den Sinn: «36 Grad, und es wird noch heißer - mach den Beat nie wieder leiser - (...) das Leben kommt mir gar nicht hart vor».

Nach der Debatte um sorglose Partys in Parks bringt die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nun ein Alkoholverbot für Kneipen und Bars ins Spiel - zumindest wenn die ständigen Verstöße gegen die Corona-Verordnungen nicht enden. Unterstützung bekommt sie vom Neuköllner Bezirksbürgermeister, der sich gut auskennt in seinem Kiez und über manche Entwicklungen «entsetzt» ist. Aber eine seltene Koalition aus Linken, Grünen, FDP und Wirtschaft reagiert empört.

Die nachlässigen Kneipen würden ihr große Sorgen machen, hatte Kalayci bereits am Montag der «Berliner Morgenpost» gesagt. Bußgelder müssten «konsequent» verhängt werden. Konkreter wurde sie dann am Dienstag im RBB-Inforadio. Es gehe nicht um ein allgemeines Alkoholverbot. Problematisch seien aber bestimmte Straßen, wo sich «enge Menschenmassen» aufhielten und beim Trinken «ein sehr naher Kontakt» und «Partyatmosphäre» entstünde. «Das ist auf jeden Fall ein Infektionsrisiko.»

Andere Bundesländer setzten ähnliche Strategien bereits um. So ist in Hamburg der Verkauf von Alkohol zum Mitnehmen in Szenevierteln am Wochenende seit Juli verboten, um die üblichen Massen-Partys auf der Straße zu verhindern. Im partyverwöhnten Berlin halten viele Einschränkungen beim Alkohol hingegen für undenkbar.

So twitterte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ungewöhnlich harsch: «Diese #Alkoholverbot-Nummer ist eine Räuberpistole. Trägt nichts bei zur Pandemieeindämmung.» Derartige Vorschläge solle man lieber «wenigstens drei Tage» bedenken und diskutieren.

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sprach von mündigen Bürgern, die selbst entscheiden könnten. Und der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja forderte, Alkohol lieber öffentlich zu trinken. Dort hätten Ordnungsamt und Polizei wenigstens etwas Kontrolle über das Geschehen.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) monierte erst, «Prohibitionsdiskussionen» würden nicht weiterhelfen. Am Dienstag betonte sie, auch die «gebeutelte Gastronomie» müsse die Regeln einhalten. Durchsetzten müssten sie aber Polizei und Ordnungsämter.

Genau daran hapert es oft in Berlin. Kontrollen fallen in der Hauptstadt ohne Sperrstunde, mit hunderten Spätis und Bars sowie jungen Touristen, die wegen billiger Kneipen, Clubs und Drogen anreisen, grundsätzlich schwer. Harte Sanktionen werden kaum verhängt.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte am Wochenende sein Ordnungsamt zusammen mit der Polizei losgeschickt. Samstagnacht konnte man in der für ihre Kneipendichte bekannten Weserstraße beobachten, wie die Uniformierten von Bar zu Bar und Späti zu Späti zogen. Gäste mussten aufstehen, Kellner die eng auf dem Bürgersteig stehenden Tische wegräumen. Geschlossen wurde keine Bar.

Letztlich wurden laut Hikel aber nur 13 Bars kontrolliert. Sein Fazit am Dienstag bei Facebook: Er sei «entsetzt», «genau in einer Bar gab es keinerlei Beanstandung - in allen anderen hatten Ordnungsamt und Polizei alle Hände voll zu tun». Es gab demnach 15 Verstöße, weil keine Kontaktlisten geführt oder kein Mundschutz getragen wurde. Die meisten Kneipen hatten viel zu viele Tische oder Stühle auf dem Gehweg stehen. Statt auf Einsicht bei den trinkenden Menschen zu stoßen, hätten sich seine Leute «von vielen Gästen Vorträge über Corona-Verschwörungstheorien anhören» müssen.

Allein in Neukölln entstanden in den vergangenen Monaten in drei Kneipen neue Infektionsherde. In einem Fall suchte das Gesundheitsamt wegen unvollständiger Kontaktlisten mit einem Aufruf nach den Gästen. Mindestens 22 Infektionen wurden so bekannt.

Auch in Berlin-Mitte kontrollierte der Bezirk Ende Juli auf der Trinkmeile rund um Rosenthaler Platz und Torstraße. Das Ergebnis: 50 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Hygienevorschriften. Zuvor waren mindestens zehn Gäste einer Bar unter dem Berliner Fernsehturm positiv auf das Coronavirus getestet worden.

Unterstützung für ein mögliches Alkoholverbot und Unmut über die Gegner findet sich im Internet schnell. Gerade die strikten Regeln für die Schüler und die Lockerheit vor den Kneipen versteht nicht jeder. «Lieber Schulen offen als betrunkene Touristen - warum hängt ein Kultursenator so am Alkoholausschank?», antwortet bei Twitter ein Schreiber. Lederer betont: «Aber rational müssen wir bleiben. Und kommunizieren. Sonst wird es chaotisch und niemand hält sich mehr an irgendwas.»

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