Zum Totengräber der Zeitumstellung?

Foto: Pixabay/S. Hermann / F. Richter
Foto: Pixabay/S. Hermann / F. Richter

BRÜSSEL: Eine Energiekrise hat sie 1980 hervorgebracht, jetzt wird wieder über Sinn und Unsinn der Zeitumstellung diskutiert. Angesichts sprunghafter Gas- und Strompreise könnte eine Abschaffung Energie einsparen, sagen einige - aber ganz so leicht ist es nicht.

Autofreie Sonntage, strengere Tempolimits, Zeitumstellung: Die Ölkrise der 1970er Jahre hatte Auswirkungen auf unser Leben, die wir teils bis heute spüren. Damals bestand die Hoffnung, durch den Zeitsprung im Frühjahr und der Stunde mehr Schlaf im Herbst signifikant Energie zu sparen. Das Kalkül ging, so viel weiß man heute, nicht auf. Genau diesen Punkt führen nun Kritiker der Zeitumstellung ins Feld. Eine ewige Sommerzeit würde sogar Energie sparen, heißt es.

So sagte Korbinian von Blanckenburg, Professor an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, der «Rheinischen Post»: «Je heller es abends ist, desto weniger Strom wird verbraucht.» Er spricht von einem Einsparpotenzial von bis zu 700 Millionen Euro pro Jahr bei dauerhafter Sommerzeit. Wird eine Energiekrise also nun vom Geburtshelfer zum Totengräber der Zeitumstellung?

Ganz so einfach ist es nicht. Christoph Mordziol vom Umweltbundesamt (UBA) betont etwa, dass nicht nur der Stromverbrauch zu Hause berücksichtigt werden müsse. «Bei geändertem Freizeitverhalten kann man annehmen, dass Aktivität außerhalb des Hauses zu Energieverbrauchssteigerungen im Verkehrs- und im Freizeitsektor führt.»

Er betont: «Es scheint offensichtlich, dass die derzeit übliche Umstellung auf Sommerzeit nur zu geringfügigen Energieeinsparungen führt, das heißt, dass sie ihren ursprünglichen Zweck nur dürftig erfüllt.» Zudem würden sich Zeitumstellungen innerhalb der EU regional unterschiedlich auswirken. So müsse dabei auch immer die jeweilige Lage, etwa das Klima, Dauer und Intensität der Sonneneinstrahlung, Wirtschaft oder auch Kultur in Berechnungen berücksichtigt werden.

Die Zeitumstellung spare keine Energie, heißt es auf der UBA-Website. Mehr Erfolg habe man etwa durch weniger heizen und mehr Dämmung. Kurz duschen statt baden und effiziente Geräte bei energieintensiver Haushaltselektronik wie Kühlschrank und Herd gehören den Angaben zufolge zu den Bereichen, wo sich mit am meisten sparen lässt.

Eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft geht ebenfalls von geringen Auswirkungen bei einer Abschaffung der Zeitumstellung aus. «Zwar wird durch die Zeitumstellung im Sommer tatsächlich an hellen Sommerabenden weniger Strom für Licht verbraucht, dafür wird im Frühjahr und Herbst in den Morgenstunden hingegen mehr geheizt.» Das hebe sich gegenseitig auf. «Der Dreh am Zeiger zur Winter- und Sommerzeit bringt demnach keine spürbare Energieeinsparung», so die Sprecherin.

Auch die EU-Kommission spricht von unwesentlichen Einsparungen durch die Zeitumstellung. Die Brüsseler Behörde verweist auf unterschiedliche Faktoren, die je nach geografischer Lage eines Landes Auswirkungen auf den Energieverbrauch hätten. «Einige Studien deuten darauf hin, dass die Sommerzeit in Verbindung mit mehr Freizeitaktivitäten im Freien positive Auswirkungen haben könnte», heißt es zudem. Aber es gebe auch Forschungsergebnisse, die darauf hindeuteten, dass gesundheitliche Auswirkungen wie auf den Biorhythmus gravierender sein könnten als bisher angenommen.

Eine aussichtsreiche Initiative, die Zeitumstellung wirklich abzuschaffen, ist derzeit nicht in Sicht. Die Präsidentschaft unter den EU-Ländern - derzeit hat Tschechien das Ruder in der Hand - hat das Thema nicht auf die Tagesordnung gesetzt.

So wird - wie kommenden Sonntag - wohl noch öfter an der Uhr gedreht. Die Sonne geht ab Ende der Woche dann im Westen Deutschlands schon gegen 17.10 Uhr, im Osten sogar noch eine gute halbe Stunde früher unter. Dabei ist der ständige Wechsel vor allem in Deutschland unbeliebt. Eingeführt 1980 wegen angeblicher Einsparungen befeuert durch die Ölkrise in den 70er Jahren, hält sie sich seit mehr als 30 Jahren.

Zwar hat die EU-Kommission einen Vorschlag gemacht, wie die Umstellung abgeschafft werden könnte, aber die Staaten der Europäischen Union können sich nicht einigen. So liegt das Vorhaben seit längerem in Brüssel auf Eis.

Ein Streitpunkt: Käme die dauerhafte Sommerzeit, hieße das für Spanien im Winter Dunkelheit bis kurz vor 10.00 Uhr. Einigen sich alle auf Winterzeit, würde es in Warschau im Sommer schon um 3.00 Uhr hell. Die Zeitumstellung zweimal im Jahr dämpft diese Extreme.

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Leserkommentare

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Frank Matthias 31.10.22 03:00
Umstellung
Ich gebe Thomas Sylten recht.
Mir bringt die Zeitumstellung auf Sommerzeit bei meiner Arbeitszeit eine Menge mehr an Outdooraktivität.
Laufen, Tennis, Garten, alles positiv.
Das geht vielen Arbeitnehmern ganz genau so.
Deshalb darf es aus meiner Sicht dabei bleiben.
michael von wob 30.10.22 02:40
@ Thomas Sylten
Ich finde die Sommerzeit besser weil ich bei 5 Std. Zeitunterschied mehr Sendungen die mich interessiern live schauen kann. Fussball live ist für mich zu spät.
Thomas Sylten 30.10.22 01:50
@Mr Lm + m.v.w.
Tschulligung - aber das ist meine Meinung, und ich kann sie begründen. Dass Sie das nicht verstehen wollen oder können, geht für mich völlig in Ordnung - ich freu mich trotzdem jedes Mal über die Umstellung.

Morgen z.B. darüber, dass es morgens wieder heller ist - auch wenn ich der abendlichen frühen Dunkelheit mit einigem Grausen entgegenblicke. Aber daher mache ich ab Ende November ja auch wieder auf Zugvogel und freue mich dann wieder über tropische Nächte.. :)
michael von wob 30.10.22 01:00
@ Sylten, schlimm !
Ihre politische Beiträge sind schon schwer erträglich, aber was die Zeitumstellung betrifft ....selten so viel Kokolores gelesen.
Thomas Sylten 29.10.22 21:40
Ich mag die Zeitumstellung -
weil es gibt noch Schlimmeres als am Sonntag eine Stunde länger schlafen zu können.

Und auch im Frühjahr fällt die Umstellung "zufällig" auf einen Sonntag, so dass die meisten Menschen trotzdem nicht kürzer schlafen müssen. Dafür genieße ich jeden Tag der Sommerzeit die schönen langen hellen Sommerabende: Ein gewaltiges Plus an Lebensfreude über mehr als ein halbes Jahr lang - wer damit ernsthaft nix anfangen kann, mit dem kann ich nix anfangen.

Da bei einer Abschaffung der Umstellung sowohl ständige Winter- wie Sommerzeit exakt gleich viele gravierende Vor- wie Nachteile haben, sich die Nachteile aber vor allem in der Peripherie wie Spanien bzw. Polen zeigen, bin ich zuversichtlich, dass diese begründeten divergierenden Interessen eine Abschaffung unmöglich machen und das jämmerliche Genöle deutscher Umstellungsgegner - durch ihre mittige Lage eh privilegiert, was ihre etwa gleichstarke Aufteilung in WZ- und SZ-Anhänger unterstreicht - ungehört verhallt.
Erwin Gasser 29.10.22 16:30
EU Kommission
Hauptsache die EU-Schmarotzer bekommen ihre Diäten und Sitzungs-Prämien für (Nicht)-Anwesenheit,
ca. 30.000,-€ monatlich !
gundolf schneider 29.10.22 14:00
sommerzeit
seit 10 jahren diskutiert die EU und wieder kommt nichts raus.