Endlich hinterm Steuer

Foto: epa/Str
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RIAD (dpa) - Es geht um mehr, als nur ums Autofahren. Es geht um das zentrale Symbol für die Unterdrückung von Frauen in Saudi-Arabien. Das Verbot, das sie bislang vom Steuern eines Fahrzeugs abhielt, soll im Juni 2018 fallen, berichteten Staatsmedien.

Nachdem die brisante Nachricht vom königlichen Dekret bekannt wird, hält die Frauenrechtlerin Manal al-Sharif nichts mehr: «Saudi-Arabien wird nie wieder so sein wie es war. Der Regen startet mit einem ersten Tropfen», schreibt die Frau, die seit Jahren maßgeblich für Veränderungen kämpfte, begeistert auf Twitter. Das große Ziel ist erreicht. Doch es ist nur ein Etappensieg: Der Weg zur Gleichberechtigung von Frauen in Saudi-Arabien ist noch weit.

Der Protest der Frauen in Saudi-Arabien nahm schon in den 1990er Jahren Fahrt auf. Sie setzten sich aus Protest hinter das Steuer und nahmen harte Strafen in Kauf. Es war im Sommer 2011, als Al-Sharif und andere Frauen im Windschatten der Arabischen Aufstände die Bewegung «Women2Drive» gründeten.

«Ich kam ins Gefängnis, weil ich als Teil dieser Kampagne ein Video von mir ins Internet stellte, auf dem zu sehen war, wie ich auf saudischen Straßen Auto gefahren bin», schreibt Al-Sharif, die in den kommenden Tagen mit ihrem Buch auf Lesereise in Deutschland ist, in einer Pressemitteilung. Und: «Der Kampf hat niemals aufgehört». Bis zum 26. September 2017.

Die saudische Führung hatte die fundamentale Änderung insgeheim schon lange vorbereitet. Dass Frauen am vergangenen Wochenende zum Nationalfeiertag erstmals die Stadien des Landes betreten durften, konnte als Generalprobe gesehen werden.

Denn für König Salman und seinen Sohn, Thronfolger Mohammed bin Salman, ist die Entscheidung eine Gratwanderung. Viele Menschen im Königreich, vor allem streng Gläubige und Religionsgelehrte, sind strikt gegen die Fahrerlaubnis - und ließen sich dafür immer wieder kreative Begründungen einfallen. Ein prominenter Scheich behauptete im Jahr 2013 gar, dass Autofahren schädlich für die Eierstöcke der Frauen sei und vermehrt zu Geburten mit Missbildungen führen würde.

Nach der Ankündigung aus dem Königshaus schallte aus den sozialen Medien dann nicht nur Freude und Zuspruch, sondern vor allem auch Ablehnung. «Wir appellieren an Gott, dass wir nicht zu diesem Datum kommen, bevor die Entscheidung zurückgenommen wird», schreibt ein Nutzer etwa. Andere sagen, sie würden ihren Frauen das Fahren schlicht verbieten.

Auf der anderen Seite kann die Entscheidung, die vermutlich auf den faktischen Herrscher Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, zurückgeht, als Botschaft an den Rest der Welt gesehen werden. Dass Saudi-Arabien als letztes Land der Welt nur Männern die Fahrerlaubnis erteilt, war der in Stein gemeißelte gesellschaftliche Stillstand. Ein Imageproblem, dem der Prinz entgegenwirken wollte.

Und es ist auch eine PR-Maßnahme, die «MbS» unter anderen wegen des verheerenden Krieges im Jemen oder der Blockade des Nachbar-Emirats Katar bitter nötig hat. «Der neue Kronprinz macht sich momentan so viele Feinde, da kann er neue Freunde gebrauchen», sagt Saudi-Arabien-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Was nach außen hin gute Werbung sein soll, entspricht dem Experten zufolge innenpolitisch einem Kalkül: Riad verfolge eine «Emiratisierung», eine Angleichung an die Verhältnisse in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch dort würden einige innenpolitische Bereiche reformiert, um stärkere Unterdrückung an anderen Stellen durchzusetzen.

Als Beispiele nennt Steinberg die verstärkte Unterdrückung der schiitischen Minderheit oder das Vorgehen gegen Dissidenten. «Wenn man so etwas macht, suchen sich Diktaturen neue Verbündete. Und das sind in diesem Fall die Frauen.»

Zuletzt hat wohl auch die ökonomische Situation in dem Land bei der Entscheidung eine Rolle gespielt. In Zeiten niedriger Ölpreise befindet sich Saudi-Arabien im einem tiefgreifenden Wirtschaftsumbau. Das «Vision 2030» getaufte Billionen-Projekt sieht auch ausdrücklich die Frauenförderung vor und bezeichnet sie als «große Stärke» des Landes. Saudi-Arabien hat die Frauen als wichtige Arbeits- und Führungskräfte erkannt. Dass diese ohne männliche Hilfe von A nach B kommen, dürfte ihren Wert für die Volkswirtschaft weiter steigern.

Trotz der Euphorie unter den saudi-arabischen Frauen ist der Weg zur Gleichstellung aber noch lang. Frauen müssen sich zum Beispiel Reisen noch immer von ihrem männlichen Vormund erlauben lassen oder müssen strengen Bekleidungsregeln folgen. Ein Etappenziel sei erreicht, aber auch nicht mehr, schreibt Manal al-Sharif: «Wir fordern nichts weniger als die vollständige Gleichberechtigung der Frauen».

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