Ende der deutsch-amerikanischen Eiszeit mit Biden?

Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Joe Biden. Foto: epa/Jim Lo Scalzo
Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Joe Biden. Foto: epa/Jim Lo Scalzo

WASHINGTON/BERLIN: Unter «America First»-Präsident Donald Trump ist das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland dramatisch abgekühlt. Sein Herausforderer Joe Biden verspricht eine ganz andere Außenpolitik. Die Konflikte mit Deutschland wären damit aber nicht vom Tisch.

Die Reisen von US-Präsident Donald Trump sind ein Indikator dafür, wie es um das deutsch-amerikanische Verhältnis bestellt ist. Der Republikaner war zwar beim G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, und Ende 2018 führte ihn ein Tankstopp auf die US-Basis in Ramstein. Mit der Tradition eines bilateralen Besuchs in Deutschland in der ersten Amtszeit hat Trump aber gebrochen - als erster US-Präsident seit mehr als 50 Jahren. Viele Hoffnungen in Deutschland richten sich nun auf einen Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Wahl am 3. November. Unter Biden dürfte zwar Tauwetter anbrechen. Gelöst wären die bilateralen Konflikte damit aber nicht.

«Der Tag, an dem Joe Biden zum Sieger erklärt wird, wird der Tag sein, an dem die Beziehungen beginnen werden, sich zu verbessern», sagt der demokratische Ex-Kongressabgeordnete Michael Capuano. «Das bedeutet nicht, dass wir alle nur Händchen halten und uns lieben werden. Aber das heißt, dass wir zu normalen Standards von Debatten und Diskussionen und auch Auseinandersetzungen unter Freunden zurückkehren werden. Und wenn Deutschland nicht zu unseren Freunden zählt, dann gibt es nicht viele Länder, die wir so nennen können.»

Unter Trump war das mit der Freundschaft nicht so klar. «Er hat anscheinend eine besondere Aversion gegen die Bundeskanzlerin (Angela Merkel), aber wohl auch gegen Deutschland», sagt Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. «Worin das wurzelt, weiß vermutlich auch er selbst nicht.» Im Biden-Lager sei man sich bewusst, «dass Amerikas Position in der Welt schwächer geworden ist - wegen Trump, aber nicht nur wegen Trump. Sie wissen, dass sie die Verbündeten in Europa und vor allen Dingen gleichgesinnte demokratische Verbündete mehr brauchen als je zuvor».

Trump setzt auf «America First» (Amerika zuerst). Der versierte Außenpolitiker Biden - der Vizepräsident unter Trump-Vorgänger Barack Obama war und als Senator dem Auswärtigen Ausschuss vorsaß - bekennt sich dagegen zur multilateralen Zusammenarbeit. Biden verspricht unter anderem, den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und aus der Weltgesundheitsorganisation WHO zu revidieren. Während Trump mit einem Ausstieg aus der Nato drohte, will Biden das Bündnis stärken.

Trump hat Verbündete offen angegriffen, ganz besonders galt das für Deutschland. Biden hat angekündigt, Diplomatie zum «wichtigsten Werkzeug der Außenpolitik» zu machen. Auch wenn Streitthemen zwischen Berlin und Washington unter Biden nicht mehr öffentlich ausgefochten würden, wären sie nicht vom Tisch. Manche Deutschland-Kritik Trumps wird auch im Lager der Demokraten geteilt. Die wichtigsten Konflikte:

NORD STREAM 2: Trump argumentiert, Deutschland lasse sich von den USA beschützen, zahle aber gleichzeitig Russland «Abermilliarden Dollar» für Gas. Die Kritik an der Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland ist allerdings parteiübergreifend. Im Kongress haben sowohl Republikaner als auch Demokraten Sanktionen unterstützt, um das Projekt zu stoppen. Noch als US-Vizepräsident nannte Biden die Pipeline «einen fundamental schlechten Deal für Europa».

VERTEIDIGUNGSAUSGABEN: Trump nennt Deutschland «säumig», weil es das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht erfüllt. Dieses Ziel sieht vor, dass sich alle Bündnispartner bis 2024 daran annähern, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Biden verweist darauf, dass sich die Obama-Regierung bereits dafür eingesetzt hat, dass Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöhen. «Unsere Verbündeten sollten ihren gerechten Anteil tun.»

US-TRUPPEN: Im Streit um die deutschen Verteidigungsausgaben hat Trump den Abzug von rund einem Drittel der in Deutschland stationierten US-Soldaten angekündigt. Ein Biden-Sprecher nannte das «ein Geschenk für (Kremlchef) Wladimir Putin» und kündigte an, Biden werde die Entscheidung nach einem Wahlsieg «überprüfen». Experten bezweifeln, dass sie ganz rückgängig gemacht wird. Nach einer Umfrage des Chicago Council on Global Affairs sind auch fast zwei Drittel der Demokraten dafür, die US-Truppenstärke in Deutschland wie von Trump angekündigt oder sogar noch weitergehender zu reduzieren.

HANDEL: Trump hat einen Handelskonflikt mit der EU vom Zaun gebrochen und wiederholt mit Strafzöllen auf Autoimporte gedroht, die besonders deutsche Hersteller treffen würden. Biden-Berater Tony Blinken hat angekündigt, den «künstlichen Handelskrieg» zu beenden. Er bemängelte aber auch, es gebe «ein wachsendes Ungleichgewicht im Handel mit Agrargütern aufgrund von Regeln, die uns daran hindern, Waren zu verkaufen, bei denen wir sehr wettbewerbsfähig sind».

In Berlin macht man sich deswegen auch keine Illusionen, dass im deutsch-amerikanischen Verhältnis bei einem Sieg Bidens alles gut werden könnte. Der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, Peter Beyer, betont, dass auch die Präsidentschaft von Barack Obama keine einfache für Deutschland war. «Ich warne vor rosaroten Brillen der transatlantischen Nostalgie», sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete. So gab es zu Zeiten Obamas diplomatische Verwerfungen, weil das Handy von Kanzlerin Merkel (CDU) durch den US-Gehemimdienst NSA abgehört wurde.

Beyer plädiert allerdings - wie auch viele andere im Regierungslager in Berlin - dafür, die Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen als Chance zu begreifen. «Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, weil wir Deutschen und Europäer so gezwungen werden, mit ein bisschen mehr Gehirnschmalz an die Gestaltung der eigenen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zukunft heranzugehen - nicht nur mit Blick auf die USA, sondern auch mit Blick auf China», sagt er. «Wir müssen ein gestärktes, ein vereintes Europa schaffen - und dann die Beziehungen zu den USA revitalisieren.»

Ein starkes Europa als eigenständige Macht zwischen dem Partner USA im Westen und den Systemrivalen China und Russland im Osten: Diese Vision ist nur nicht ganz so einfach zu realisieren, wie man sich das in Berlin wünscht. Dazu sind die Differenzen zwischen den EU-Mitgliedern in der Außenpolitik zu groß und die Entscheidungsprozesse zu schwerfällig. Bei großen Streitthemen zwischen Deutschland und den USA wie Nord Stream 2 oder den Verteidigungsausgaben hat Trump - und künftig vielleicht Biden - osteuropäische EU-Mitglieder wie Polen oder die baltischen Staaten jedenfalls auf seiner Seite.

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