Element Of Crime

Melancholische Großstadtstreuner in Hochform

Foto: Element-of-crime.de
Foto: Element-of-crime.de

BERLIN (dpa) - Es könnte einem ja irgendwann langweilig werden mit Element Of Crime und ihrer ewigen Großstadtmelancholie. Doch die Berliner Band findet erneut einen Dreh, um mit bewährtem Rezept die schönste Deutschpop-Platte des Jahres zu zaubern.

Gut drei Jahrzehnte sind Element Of Crime schon im Geschäft und haben ein Dutzend solide bis herausragende Studioplatten abgeliefert. Mit «Lieblingsfarben und Tiere» glückte dem Berliner Quartett 2014 erstmals ein Nummer-eins-Album - in Österreich, aber immerhin. Ihr Großstadtstreuner-Sound zwischen Rumpel-Rock, Folk, Blues und Chanson ist so kultig und beliebt wie altbekannt, man könnte auch sagen: berechenbar.

Und doch schaffen sie es immer wieder, ihre Zuhörer zum Lachen zu bringen oder zu berühren - mit schnoddrig-witzigen, melancholischen und traurigen Liedern. Die große Kunst der Verfeinerung des Bewährten haben Element Of Crime nun mit «Schafe, Monster und Mäuse» auf die Spitze getrieben. Die zwölf neuen Stücke mit einer üppigen Spielzeit von 56 Minuten summieren sich zu ihrem vielleicht stärksten Werk seit dem Deutschpop-Debüt «Damals hinterm Mond», das 1991 auf noch etwas holprige englischsprachige Indierock-Platten folgte.

Zeilen wie diese im Album-Opener - mit rauchiger Stimme vorgetragen zu einem Arrangement fürs allerschönste Kopfkino - gelingen wohl nur Sven Regener, Texter von Element Of Crime und seit langem auch höchst erfolgreicher Romanautor («Herr Lehmann», «Neue Vahr Süd»): «Grausam ist der Haifisch/und grausam warst auch du/am Ende des Regenbogens/legt der Regen noch einen Zahn zu/und überflutet im Überschwang/gleich hinter dem S-Bahn-Übergang/den Weg mit leeren Flaschen, Steinen und Schlamm...»

Das Lied heißt «Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang», und schnell wird klar, dass es hier nicht um eine echte Apokalypse geht, sondern um die sehr private Katastrophe eines Verlierertypen der Liebe. Vom verzweifelten Streifzug über den Kurfürstendamm ist später gleich mehrfach die Rede, der gebürtige Bremer Regener verortet den Song also in seiner Wahlheimat. Nicht zum letzten Mal auf einem Album, das vor Lokalkolorit so sprüht wie noch nie bei Element Of Crime, mit vielen Anspielungen auf konkrete Orte der Hauptstadt.

«Das unterscheidet die Platte tatsächlich von allen anderen», sagt Regener im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Als Berliner «Heimatband» lasse man sich aber nicht vereinnahmen, betont er mit weiterhin sehr norddeutschem Zungenschlag. «Es geht ja nicht um Städtemarketing, sondern um Lebensbedingungen, über die man singt.»

Den Alltag normaler Menschen beobachten, ihr kleines Glück oder auch Pech schildern - das kann dieser knorrig-warmherzige 57-Jährige wie kein zweiter Songwriter in Deutschland. In «Bevor ich dich traf» hört sich das - so träumerisch Akkordeon und Streicher dazu auch klingen - zum Brüllen komisch an, wenn Regener singt: «Hast du den Trottel gesehen/der eben ohne auch nur/mit der Wimper zu zucken verkehrt herum/in die Einbahnstraße fuhr/Da steht er jetzt vor einem LKW/dessen Fahrer ihn lauthals verflucht/und findet nicht seinen Rückwärtsgang/so sehr er auch danach sucht...»

Kaum zu glauben: Irgendwann entwickelt sich aus dieser Slapstickszene eine linkische Liebeserklärung. Geradezu genial.

Balladen wie «Gewitter» oder das bezaubernde «Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin» stehen neben schrägen Schunklern («Immer noch Liebe in mir», «Die Party am Schlesischen Tor»), Bläser-Soul («Im Prinzenbad allein») und ruppigen Rocksongs («Ein Brot und eine Tüte»). Das vielseitige Gitarrenspiel von Jakob Ilja bekommt neben Regeners Trompete mehr Raum als je zuvor. «Ich hab' mich durchgeboxt», sagt der 59-Jährige lachend. «Nein, im Ernst, es gab da keinen Plan.» Die Songs hätten es diesmal eben so und nicht anders erfordert, erklären Ilja und Regener unisono.

Zur psychedelischen Grundstimmung des Albums passen die mit reichlich E-Gitarre angerauten Arrangements jedenfalls perfekt. Alles in allem klingt «Schafe, Monster und Mäuse» abwechslungsreicher, bunter, ambitionierter als seine Vorgänger, ohne dass Element Of Crime sich hier neu erfinden - was Kritiker ja gelegentlich fordern.

Warum denn, fragen die Musiker zurück. «Die meisten Bands entwickeln doch eine ureigene Stilistik und bleiben ihr treu», sagt Ilja. Und Regener fügt hinzu: «Man kann auch jahrzehntelang Blumen malen wie Claude Monet, daran ist nichts verkehrt. Das Tolle an Bands ist, wenn sie etwas entwickeln und dann dazu stehen.»

So bleibt der Eindruck, Element Of Crime könnten ewig weitermachen, ohne sich zu verbiegen, zu langweilen oder ihren Ruf zu riskieren: alle paar Jahre ein neues Album, das es locker in die vorderen Charts-Regionen schafft, dazwischen Regeners erfolgreiche Romane (zuletzt 2017 «Wiener Straße») und die musikalischen Nebenprojekte von Jakob Ilja, Richard Pappik (Schlagzeug) und David Young (Bass).

Sven Regener legt sich lieber nicht fest, wie lange das noch so geht: «Vielleicht bin ich ja mit 70 alt und klapprig und hab' keine Lust mehr.» Eines will er aber nicht: eine Abschiedstournee. «Ich weiß auch nicht, warum man das den Leuten antut - die weinen dann alle wie jetzt bei Paul Simon. Nein, man gibt ein letztes Konzert und geht dann nach Hause.»

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