Johnson brüskiert Schottlands Sturgeon

​Eiszeit statt Tea Time 

Der britische Premierminister Boris Johnson in der Downing Street 10 in London. Foto: epa/Will Oliver
Der britische Premierminister Boris Johnson in der Downing Street 10 in London. Foto: epa/Will Oliver

EDINBURGH/LONDON: Der britische Premierminister Johnson fährt nach Schottland. An sich ein normaler Vorgang. Wäre da nicht der erbitterte Streit um ein neues Unabhängigkeitsreferendum des Nordens. Das führt zu politischen Schachzügen.

Statt sich zur Tea Time zu treffen, herrscht zwischen dem britischen Premierminister Boris Johnson und der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon nun wohl endgültig Eiszeit. Im Ton freundlich, doch in der Sache eindeutig hat Johnson, der am Mittwoch in den nördlichsten britischen Landesteil reisen wollte, eine Einladung Sturgeons zum Vier-Augen-Gespräch ignoriert. «Die Beziehungen zwischen London und Edinburgh sind kalt und im Wesentlichen - wenn auch nicht öffentlich - feindselig», sagte die Politologin Kirsty Hughes der Deutschen Presse-Agentur.

Angeheizt wird der Streit von der - in Einladung und Absage nicht angesprochenen - Kernfrage: der Forderung Sturgeons nach einem neuen schottischen Unabhängigkeitsreferendum. Ihre Schottische Nationalpartei (SNP) strebt eine Volksbefragung an, sie möchte raus aus dem Vereinigten Königreich und zurück in die EU. Bei der Parlamentswahl im Mai wurde sie für diesen Kurs belohnt. Nur knapp scheiterte die SNP an der absoluten Mehrheit. Doch gemeinsam mit den Grünen, die ebenfalls für eine Loslösung von London eintreten, hat sie im Parlament in Edinburgh genügend Stimmen beisammen. Medienberichten zufolge steht eine formale Kooperation kurz bevor.

Selbstbewusst kündigte Sturgeon an, im kommenden Jahr eine Volksbefragung auf den Weg zu bringen. Doch die Lage ist kompliziert. Denn die meisten Experten sind der Ansicht, dass ohne Zustimmung aus London ein Referendum nicht rechtens ist - und Johnsons Regierung lehnt dies bisher ab. Sie verweist auf die Befragung 2014, als sich eine knappe Mehrheit für den Verbleib aussprach. Die SNP betont hingegen, mit dem Brexit, den die Schotten ablehnen, hätten sich die Voraussetzungen fundamental verändert.

Für den Premier ist sein zweitägiger Besuch in Schottland - sein erster seit der Parlamentswahl - ein Ritt auf der Rasierklinge. «Johnson weiß, dass er in Schottland unbeliebt ist», sagte Expertin Hughes. «Seine Besuche helfen vor allem den Unabhängigkeitsbefürwortern.» Kritiker werfen dem Premier eine «England First»-Politik zulasten der anderen Landesteile vor. Wohl auch deshalb wurde die Reise erst kurzfristig bekannt.

Als Johnson im Januar nach Schottland fuhr, kritisierte Sturgeon den Besuch auf dem Höhepunkt der dritten Corona-Welle als unnötig. Nun lud sie ihren Kontrahenten explizit ein. Sie habe vernommen, dass er nach Schottland reise, schrieb sie spitz. Dies sei doch eine gute Chance, sich persönlich zu treffen und über den Weg aus der Corona-Pandemie zu sprechen. In Großbritannien ist Gesundheitspolitik Ländersache. «Wir sind politisch unterschiedlicher Meinung, aber unsere Regierungen müssen zusammen arbeiten, wo es geht.» Auch in der Klimapolitik muss sich abgestimmt werden, denn Großbritannien richtet im November die Weltklimakonferenz COP aus - im schottischen Glasgow.

Die Abfuhr aus London nahm Sturgeon gelassen hin. «Ich fühle mich nicht brüskiert», sagte sie am Mittwoch zu Reportern. Die meisten Leute würden die Absage sicherlich «ein bisschen komisch, ein bisschen merkwürdig» finden. Die Gründe aber müsse Johnson erklären.

Einer der Gründe dürfte sein, dass Sturgeon bei einem Treffen mit Sicherheit das «IndyRef2» angesprochen hätte, wie das angestrebte Unabhängigkeitsreferendum genannt wird. Denn es gilt herauszufinden, ob die britische Regierung ihren Kurs geändert hat. Am Wochenende überraschte Staatsminister Michael Gove, selbst Schotte, mit der Aussage, London werde nicht im Wege stehen, wenn es im Norden den «festen Willen» zu einem Referendum gebe.

Was dafür den Ausschlag geben soll, sagte Gove nicht. «Sie wissen, dass sie eine demokratische Entscheidung nicht verhindern können», sagte ein ranghoher Politiker in Edinburgh mit Blick auf den Wahlsieg der Unabhängigkeitsbefürworter der dpa. «Sie wollen Zeit gewinnen.» Denn die Zeit spricht im Moment für die Union: Waren über Monate in Umfragen bis zu 58 Prozent der Schotten für die Loslösung, sind es derzeit weniger als 50 Prozent - Tendenz sinkend.

Er sei sehr an einem persönlichen Treffen interessiert, versicherte Johnson der «dear Nicola». Wie besprochen sei der beste Rahmen dafür ein Meeting, an dem auch die Regierungschefs der anderen Landesteile Wales und Nordirland teilnehmen. «Er meidet Sturgeon - im Wesentlichen aus politischer Feigheit», sagte Politologin Hughes. Johnson ist ein gebranntes Kind: Als er im Juli 2019 in Sturgeons Amtssitz Bute House war, wurde er von Demonstranten ausgebuht - und verließ das Gebäude durch die Hintertür.

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