USA stürzen WTO in größte Krise seit 25 Jahren

Einigung gescheitert

Das Logo der Welthandelsorganisation (WTO) ziert eine Säule am Hauptsitz der Organisation. Foto: Salvatore Di Nolfi/Keystone/dpa
Das Logo der Welthandelsorganisation (WTO) ziert eine Säule am Hauptsitz der Organisation. Foto: Salvatore Di Nolfi/Keystone/dpa

GENF (dpa) - Die USA hebeln das Herzstück der Welthandelsorganisation aus und berauben den Streitschlichtungsprozess seiner Berufungsfunktion. Der WTO-Chef sieht in der Krise aber eine Chance.

Eine Blockade der USA stürzt die Welthandelsorganisation (WTO) in die größte Krise ihrer fast 25-jährigen Geschichte. Von diesem Mittwoch an ist ein Herzstück der WTO, die Streitschlichtung bei Handelsdisputen, teilweise ausgehebelt. Die USA haben das Ende der Berufungsinstanz erzwungen, indem sie seit Jahren die Ernennung neuer Berufungsrichter blockieren. WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo sprach am Dienstagabend von Krisenstimmung. Experten warnen seit Wochen vor eskalierenden Handelskriegen.

Das Mandat von zwei der drei verbliebenen Berufungsrichter lief am Dienstag um 23.59 Uhr aus. Für Berufungen sind mindestens drei Richter nötig. «Die Situation bedeutet nicht das Ende des auf Regeln basierenden Streitschlichtungsverfahrens», betonte Azevêdo. Einige der 164 Mitgliedsländer arbeiteten an Übergangslösungen.

Azevêdo räumte ein, dass die WTO nach 25 Jahren wie von den Amerikanern verlangt Reformen brauche. Die Welt habe sich geändert. Er gewann der Situation auch etwas Positives ab: «Ohne diese Krisenstimmung würden man sich vielleicht arrangieren, und Mitgliedsländer wären vielleicht nicht wirklich bereit zu Veränderungen», sagte Azevêdo. Er wollte sich für eine Lösung bis zur nächsten Ministerkonferenz im kommenden Sommer einsetzen.

Er appellierte an die WTO-Mitglieder, keine neuen Handelshürden zu schaffen. «Einseitige Maßnahmen können zu einem Klima der Unberechenbarkeit führen», sagte Azevêdo. Unsicherheit hemme Investitionen, was Wachstum stoppe und Arbeitsplätze koste. «Das ist eine Situation, in der alle verlieren.»

Der EU-Kommissar für Handel, Phil Hogan, warnte in Brüssel: «Dies ist ein bedauerlicher und sehr ernster Schlag für ein internationales, auf Regeln aufbauendes Handelssystem.» Die EU werde in Kürze Vorschläge für ein alternatives Berufungssystem für die Länder vorlegen, die sich daran beteiligen wollen.

Die Amerikaner kritisieren, Berufungsrichter hätten sich zu oft Macht angemaßt, die sie nicht hätten, etwa, um WTO-Regeln neu zu interpretieren. Allerdings nutzen die USA, wie sie selbst eingeräumt haben, die Blockade auch als Hebel, um größere Reformen zu erzwingen. Sie monieren etwa, dass die WTO-Regeln Handelsverzerrungen durch China keinen Einhalt gebieten könnten.

Die USA hatten am Montag klar gemacht, dass sie ihre Blockadehaltung nicht aufgeben würden. Die letzte Ratssitzung der 164 Mitgliedslieder in diesem Jahr wurde am Dienstag nach zwei Tagen vorzeitig beendet. Ursprünglich waren drei Tage angesetzt.

Chinas WTO-Botschafter Zhang Xiangchen war am Montag demonstrativ mit schwarzer Krawatte gekommen, die für Beerdigungen vorgesehen sei, wie er sagte. «Was ist das Berufungsgremium wert? Für die, die den Multilateralismus hochhalten, ist es unersetzlich, für die, die das Gesetz des Dschungels bevorzugen, ist es wertlos», sagte er. Deutsche Industrieverbände warnten vor negativen Folgen für die exportorientierte deutsche Industrie, wenn das auf Regeln basierende multilaterale Handelssystem aufs Spiel gesetzt werde.

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