Dänemark feiert sich und den Tour-Start

Eine Nation auf zwei Rädern 

Die Fahrer vom Team Bora-hansgrohe stehen während der Teampräsentation vor der Tour de France mit ihren Fahrrädern auf einer Bühne. Am Freitag beginnt die 109. Tour de France. Foto: Jasper Jacobs
Die Fahrer vom Team Bora-hansgrohe stehen während der Teampräsentation vor der Tour de France mit ihren Fahrrädern auf einer Bühne. Am Freitag beginnt die 109. Tour de France. Foto: Jasper Jacobs

KOPENHAGEN: Die Tour de France startet in diesem Jahr so weit nördlich wie noch nie. In Dänemark feiert man einen Grand Départ ohne Beschränkungen und mit dementsprechend großen Menschenmassen. Ausgerechnet einer ist von den Organisatoren nicht eingeladen worden.

Wenn Dänemark etwas feiert, dann tut es das meist voller Stolz in den Nationalfarben Rot-Weiß. Nun steht plötzlich ein knallgelber Eiffelturm im Kopenhagener Freizeitpark Tivoli, und auch sonst erstrahlt Deutschlands nördlichster Nachbar an vielen Orten auffällig häufig in der Farbe des begehrten Maillot Jaune. Der Grund: Erstmals in der Radsportgeschichte startet die Tour de France in Skandinavien - und die stolze Rad-Nation Dänemark setzt alles daran, sich bei einem großen Volksfest im allerbesten Licht zu präsentieren.

«Das größte Radrennen der Welt - die beste Fahrradstadt der Welt»: Mit diesem wenig bescheidenen Slogan hat Kopenhagen zum Tour-Start geladen. Nach dem Zeitfahren durch die Straßen der Hauptstadt am Freitag sind am Wochenende zwei Flachetappen von Roskilde nach Nyborg und von Vejle bis nach Sønderborg nahe der deutsch-dänischen Grenze geplant, ehe die Tour ins Heimatland Frankreich umzieht.

Hunderttausende feiernde Fans werden bei den dänischen Etappen am Straßenrand erwartet, Corona-Beschränkungen gibt es im Land seit Monaten nicht mehr. Am Samstag wird das Peloton kurz vor dem Ziel über die riesige Brücke über den Großen Belt rauschen - schöne Bilder aus dem schönen Dänemark dürften somit sicher sein.

«Die Tour de France passt in vielerlei Hinsicht perfekt zu Dänemark», sagte Kopenhagens Oberbürgermeisterin Sophie Hæstorp Andersen in dieser Woche vor besagtem gelben Eiffelturm im Tivoli. «In Dänemark und in Kopenhagen lieben wir das Radfahren. Es ist ein Teil unserer DNA.» Dementsprechend erwartet sie ein überschwängliches Volksfest, das nicht nur die Tour als solche, sondern auch das Radfahren feiern soll. «Willkommen in einer Nation auf zwei Rädern», heißt es dazu auch in einem Promo-Video zur Tour.

Gerade Kopenhagen ist in der Tat ein Paradies für Radfahrer. Radschnellwege, viele davon so breit wie Autospuren, ziehen sich wie Lebensadern durch den Hauptstadtverkehr. Mehr Fahrräder als Autos fahren täglich durch die Innenstadt, knapp die Hälfte der Wege zur Arbeit, Uni und Schule werden per Rad zurückgelegt. Täglich radeln die Kopenhagener mehr als 1,4 Millionen Kilometer. Kopenhagen zählt seit langem zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität weltweit - zum Teil hat das auch mit dem Leben auf dem Sattel zu tun.

Nun also die Tour. Dänemark hat seit Jahren darauf hingearbeitet, dass die größte Radrundfahrt der Erde im hohen Norden stattfindet - und das hat mit einem Namen zu tun, mit dem man sich im Land heute eher schwer tut: Bjarne Riis. Als der 1996 als erster und bislang einziger Däne für das Team Telekom die Tour de France gewann, versetzte er seine Landsleute damals in eine Radsport-Euphorie, die kurz darauf auch Deutschland unter Jan Ullrich kennenlernen sollte.

Wie der dänische Rundfunksender DR jüngst noch einmal Revue passieren ließ, wurde aus dieser damaligen Euphorie heraus auch die kühne Idee geboren, die Tour nach Dänemark zu holen. «Das war einfach eine Idee, die aus purer Begeisterung über den Sieg von Bjarne Riis entstanden ist», sagte der DR-Sportkommentator Henrik Liniger.

Der Tour-Ausrichter ASO war lange Zeit skeptisch - zu weit weg von Frankreich, zu flach sei Dänemark. In den Jahren des Doping-Sumpfes - auch Riis räumte 2007 den langjährigen Gebrauch verbotener Mittel ein - lag die Idee auf Eis. Doch letztlich ließen sich die Organisatoren von der umfassenden Lobby-Arbeit der Dänen umstimmen - heute sind sie begeistert, was ihnen beim Grand Départ begegnet.

Völlig unkritisch wird der Tour-Start trotz aller Vorfreude dennoch nicht gesehen. «Es ist ganz einfach fantastisch, dass es geklappt hat, die Tour de France nach Dänemark zu holen», schrieb die führende Zeitung «Politiken» zwar. Sie monierte aber, dass die Öffentlichkeit über die wahren Kosten der Tour völlig im Unklaren gelassen werde. Die Gesamtrechnung für die drei Etappen soll sich der Zeitung zufolge auf mindestens 180 Millionen Kronen belaufen - umgerechnet sind das über 24 Millionen Euro.

Dann wäre da noch die Causa Riis. Der «Adler von Herning» ist enttäuscht darüber, dass ihn die Veranstalter nicht offiziell zum Tour-Start eingeladen haben. Wie der Sender TV2 Sport am Donnerstag berichtete, sorgt nun aber ein Großsponsor dafür, dass Riis bei den drei dänischen Tour-Tagen dabei sein kann - wenn er denn will.

Ob mit oder ohne Riis: Die Stimmung auf dem dänischen Asphalt wird so oder so großartig sein und vielleicht gar die übertrumpfen, die die Dänen während der Fußball-EM im vergangenen Sommer erlebt haben. «Vergangenes Jahr war unser Volksfest rot und weiß», sagte Bürgermeisterin Andersen. «Dieses Jahr wird es gelb.»

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