Eine Liebe, viele Fragen

Wie geht es in der WM-Debatte weiter

Nationalmannschaft, Deutschland, Nations League, vor den Spielen gegen Ungarn und England, Pressekonferenz, DFB-Campus. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Nationalmannschaft, Deutschland, Nations League, vor den Spielen gegen Ungarn und England, Pressekonferenz, DFB-Campus. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

AL-RAJJAN: In der «One Love»-Debatte bleiben viele Fragen offen. Der Deutsche Fußball-Bund ist großen Zwängen ausgesetzt. Im Mittelpunkt steht die Kapitänsbinde, die vor einem Monat noch kritisiert worden war.

Keine Liebe für die FIFA und den DFB: Nach dem Verbot der «One Love»-Kapitänsbinde für europäische WM-Teilnehmer durch den Weltverband stehen dieser und der Deutsche Fußball-Bund stark in der Kritik. Eine «Machtdemonstration» beklagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf - sein Verband muss sich dem Vorwurf des angeblichen Einknickens stellen. Als erster Sponsor zog der Handelsriese Rewe am Dienstag Konsequenzen, er wirbt nicht mehr für den DFB während der WM. Andere Geldgeber bekundeten ihre Unterstützung.

Was wären die unmittelbaren Konsequenzen, trüge DFB-Kapitän Manuel Neuer die Binde doch?

Neuer könnte vom Schiedsrichter mit der Gelben Karte verwarnt werden. Die Binde sei Teil der Ausrüstung und bei Mängeln an dieser dürfe ein Spieler nicht an der Partie teilnehmen, erklärte der erfahrene frühere FIFA-Schiedsrichter Manuel Gräfe bei Twitter. «Macht er es trotzdem, wäre es ein unerlaubtes Betreten des Spielfeldes/unsportliches Verhalten», das mit Gelb zu ahnden sei. Gelb-Rot gebe es in der Folge nicht, weil ein Spieler nicht zweimal für ein Vergehen bestraft werden dürfe - theoretisch sei aber ein Spielabbruch möglich. Dieser müsse «aber immer verhältnismäßig sein», schrieb Gräfe.

Der DFB begründete den Verzicht nach der FIFA-Androhung damit, das Politikum nicht auf dem Rücken der Spieler ausfechten zu wollen. Zudem sei es das Ergebnis der Beratungen aller Europa-Verbände gewesen. DFB-Mediendirektor Steffen Simon warf der FIFA in einem Interview des Deutschlandfunks am Dienstagmorgen «extreme Erpressung» vor. Einem «Bild»-Bericht zufolge prüft der DFB den Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas - das Spiel gegen Japan am Mittwoch kommt dafür aber wohl zu früh.

Warum riskiert der DFB nicht den Bruch mit der FIFA und notfalls noch schärfere Sanktionen?

DFB-Präsident Bernd Neuendorf gab an, die FIFA habe «keine konkreten Aussagen» gemacht, was passieren könne, die Rede sei von «sportlichen Sanktionen» gewesen. Die könnten dann noch weiterführen: Ein provozierter Spielabbruch und der damit vielleicht sogar verbundene Ausschluss aus dem Turnier könnte den Verband Strafzahlungen im schnell zweistelligen Millionenbereich kosten. Wie in Abschnitt 5 der Wettbewerbsregularien festgelegt, stünde dann auch der Ausschluss von kommenden FIFA-Weltmeisterschaften im Raum - dem DFB würden weitere fest geplante Einnahmen entgehen. Der Verband gibt viel von seinem Geld an die Amateurverbände weiter.

Wie ist das Auftreten von Neuendorf zu bewerten?

Der 61-Jährige wählte für seine Stellungnahme mit DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff klare Worte («Machtdemonstration»), machte aber deutlich, für den Dialog mit der FIFA weiter offen zu sein. Neuendorfs Sachlichkeit ist eher selten im Fußballgeschäft, im kommenden Jahr soll der DFB-Präsident ins FIFA-Council an Infantinos Tisch aufrücken. Deutschland bewirbt sich mit den Niederlanden und Belgien um die Ausrichtung der Frauen-WM 2027.

Es ist ein sehr schmaler Grat, kritisch genug zu sein, aber nicht zu sehr im FIFA-Zirkel abzurutschen und gar nichts mehr bewirken zu können. Im medialen Echo in Deutschland stand Neuendorf am Montag und Dienstag schlecht da - dagegenhalten wurde gefordert. Rewe begründete seinen vorzeitigen Ausstieg aus den Werbemaßnahmen - der Vertrag lief bis zum Jahresende - eher mit Kritik an der FIFA. Volkswagen teilte mit, es habe beim DFB «in den letzten Monaten viele gute Entwicklungen» gegeben. Das Verhalten der FIFA bezeichnete VW indes als «nicht akzeptabel».

Wie haben sich die Spieler positioniert?

Die Nationalspieler haben in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht und sich teils deutlich für gesellschaftspolitische Themen starkgemacht. Als Stimme der DFB-Auswahl hat sich Leon Goretzka etabliert - im vergangenen Jahr ging seine Herz-Geste im EM-Gruppenspiel vor dem ungarischen Fanblock um die Fußball-Welt. «Ich glaube, generell ist es so, dass wir immer wieder die Missstände angesprochen haben», sagte Joshua Kimmich am Dienstag.

An der Ankündigung, «One Love» in jedem Fall zeigen zu wollen, müssen sich die Spieler um Neuer nun aber messen lassen. Er wirke so «dass wir sie jetzt überfrachtet haben», sagte Ex-Profi Thomas Hitzlsperger in den ARD-«Tagesthemen». «Nur, was sie verstehen müssen, ist, dass sie in der Vergangenheit selbst Zeichen setzen wollten, so haben sie die Erwartungshaltung gesteigert.» Es werde «eine Zeit dauern, bis sie wieder glaubwürdig für diese werte einstehen können».

Welche Botschaft vermittelt die «One Love»-Binde?

Kurioserweise war die mehrfarbige Binde mit dem Herz nach der Vorstellung im September von mehreren Seiten scharf kritisiert worden, weil sie eben nicht den symbolkräftigen Regenbogen abbildet. Homosexualität ist in Katar per Gesetz verboten. Der DFB wehrte sich und verwies darauf, dass sich die «One Love»-Binde gegen jede Form von Diskriminierung wende. Der Unterschied zur von der FIFA vorgegebenen «NoDiscrimination»-Kapitänsbinde der FIFA scheint nicht mehr so groß. Er sei über die «One Love»-Entscheidung «verwundert» gewesen, sagte Kimmich. Auch, weil die Binde vor einem Monat auch kritisch beäugt und «madig geredet» worden sei. «Jetzt habe ich das Gefühl, es ist doch ein starkes Zeichen für alle Menschen.»

Welche Fronten haben sich gebildet?

Im Kern waren in Katar noch sieben europäische Nationen bei der Kampagne dabei: Deutschland, England, Wales, die Niederlande, Schweiz, Dänemark und Belgien. Als prominenteste Europa-Nation bei der WM fehlte Spanien. Im FIFA-Council sitzt nur der Vertreter aus Deutschland - Peter Peters soll im kommenden Jahr von Neuendorf abgelöst werden. Im Grundsatz sind die glorreichen Sieben ohnehin sehr dem eigenen Geschäft innerhalb der Europäischen Fußball-Union zugeneigt, die sich mit der FIFA in einem Dauerstreit befindet. Neu war Neuendorfs Versuch, sich kurz vor der WM als Infantino-Kritiker zu positionieren.

Wie sicher ist Gianni Infantino auf seinem Präsidentenstuhl?

Die Mitteilung des DFB, den Schweizer für die Wahl im März in Kigali nicht zu nominieren, wäre nicht zwingend notwendig gewesen. Bis zum Fristende mussten Kandidaten einen Job im Fußball und die Unterstützung von fünf Nationalverbänden präsentieren. Für Infantino eine leichte Aufgabe: Der 52-Jährige erfährt große Unterstützung, insbesondere aus Afrika und Asien. Insgesamt gibt es 211 FIFA-Nationen. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht, und das wäre die erste Voraussetzung für eine geordnete Ablösung des früheren UEFA-Generalsekretärs. Es wäre nicht fair, einen aussichtslosen Kandidaten ins Rennen zu schicken, hieß es von Neuendorf. Und dass Infantino westliche Kritik ziemlich kaltlässt, zeigte zuletzt dessen Pressekonferenz am Samstag mit dem großen Rundumschlag gegen Europa.

Was würde eine EU-Resolution am Donnerstag bedeuten?

Einen Vorgeschmack auf die mögliche WM-Resolution des EU-Parlaments am Donnerstag gab es Montagabend. Von einer «WM der Schande» sprachen Abgeordnete, manche forderten ein Boykott der Veranstaltung, eine Parlamentarierin trug bei ihrer Rede aus Protest die «One Love»-Armbinde, mit der eigentlich ein Zeichen gegen Diskriminierung gesetzt werden sollte. Wenn das Parlament am Donnerstag geschlossen die WM in Katar und die FIFA verurteilt, wäre das eine symbolische Ohrfeige für die Organisatoren. Rechtlich ist der Text zwar nicht bindend. Neben negativer Berichterstattung über die WM, könnten durch die anhaltende Kritik auch Sponsoren zu dem Schluss kommen, dass die Weltmeisterschaft für sie als Veranstaltung für Werbung weniger attraktiv wird. Allerdings kommen bis auf Adidas keine Geldgeber der FIFA mehr aus Europa.

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Hans-Dieter Volkmann 23.11.22 21:43
Mr. Litschi 23.11.22 ist halt in derzeit
Genau so ist es. Nicht nur Journalisten, ja die Mehrheit unserer Gesellschaft zeigt sich von dieser Hysterie beeinflusst.
Jürgen Franke 23.11.22 19:40
Lieber Michael, Du machst vieles richtig
im Leben: Genieße den Fußball weiterhin, denn es ist unglaublich, wie es zu dieser WM gekommen ist.
michael von wob 23.11.22 17:10
@ Norbert
Infantino und die FIFA korrupt ohne Ende ! Ich genieße nur noch den Fußball und vergesse den Rest !
Heute um 8 spielt Germany
Norbert Schettler 23.11.22 16:50
Pet Noble
Sie sagen es, indoktriniert ist der Herr Infantino auf jeden Fall und Infantile habe ich ihn genannt wegen seiner "exzellenten" Pressekonferenz.
Pet Noble 23.11.22 16:10
@Norbert Schettler
Sie müssen es ja wissen, aber schon beim Schreiben des Namens vom Fifa Boss scheitern. Eine Infantile wird man dort vergeblich suchen. Wenn 7 Mannschaften diese "Binde" tragen, heißt es dann noch lange nicht, daß sich die anderen 25 Teams und das Gastgeberland damit identifizieren müssen.
Aber das kennt man ja die Versuche der Indoktrinierung durch Minderheiten, siehe, Strassenfestkleber, Bilderstürmer und durch Werbung im Fernsehen deren Akteure von sonstwoher stammen.
Norbert Schettler 23.11.22 14:40
Pet Noble
Blödsinn, die "Kleiderordnung" ist von der FIFA bis auf Kleinste vorgegeben. Und diese Binde ist absolut keine Zurschaustellung. Wenn diese 7 Europäischen Länder die Binde getragen hätten, was wäre passiert? Nichts. Dem Herrn Infantile sollte man mal seine Grenzen aufzeigen, der kommt sich ja vor wie ein Gott. Ansonsten geht es nur ums Geld, wie Ingo schon schreibt und das wissen alle. Allerdings ist Sport und Politik in der heutigen Zeit auch nicht mehr zu trennen. Auch ich hätte dafür plädiert, Flieger chartern, Abreise!
Pet Noble 23.11.22 13:40
Wer braucht so eine Zurschaustellung ?
Wenn jeder seine Ansichten öffentlich auf dem Spielfeld herumtragen würde, wären die Spieler laufende Litfaßsäulen. Braucht kein Mensch so etwas.
Ingo Kerp 23.11.22 13:20
Die Mannschaften von 7 Ländern waren sich einig, die "One-Love"-Binde zu tragen. Warum lassen sie sich erpressen von der FIFA und kuschen? Sagt die WM ab und fahrt nach Hause, da würden die FIFA und Katar dumm aus der Wäsche schauen. Große Wort vorab und nichts dahinter, da Geld lockt und jeder gierig zugreift. Dafür gibt es nur Verachtung.