«Ein verborgenes Leben»

Kinolegende Malick wieder in Höchstform

BERLIN (dpa) - August Diehl verkörpert einen Unabhängigen, einen Unbeugsamen in Terrence Malicks neuem Dreistünder. Der auf wahre Begebenheiten zurückgehende Film wartet auch mit Darstellern wie Bruno Ganz, Valerie Pachner, Maria Simon und Tobias Moretti auf.

Kult-Regisseur Terrence Malick, der so gefeierte Werke schuf wie «Der schmale Grat» und «The Tree of Life», verneigt sich in seinem neuen Film vor einem bisher kaum besungenen Helden: August Diehl schlüpft in die Haut des österreichischen Bauern Franz Jägerstätter. Eine Filmfigur mit realem Vorbild: Jägerstätter weigerte sich während des Zweiten Weltkriegs für die Nationalsozialisten in den Kampf zu ziehen und wurde schließlich hingerichtet. Später sprach ihn die katholische Kirche selig.

Nach vielen internationalen Stars, die bereits mit Kinomagier Malick gearbeitet haben - Darsteller wie Christian Bale, Natalie Portman, Richard Gere, Brad Pitt - ist es diesmal der Deutsche Diehl, der als Hauptdarsteller den Film entscheidend mitprägt. Der in Berlin geborene 44-Jährige hat sich durch markante Auftritte in Werken wie «23 - Nichts ist so wie es scheint» oder in «Die Fälscher» einen Namen gemacht. Auch international war er schon präsent, etwa in Tarantinos «Inglourious Basterds». Nun darf er in Malicks «Ein verborgenes Leben» für eine weitere US-Legende spielen. An seiner Seite: deutschsprachige Künstler wie Valerie Pachner, Tobias Moretti, Maria Simon, Ulrich Matthes. Nicht zu vergessen der 2019 gestorbene Bruno Ganz, in einer seiner letzten Rollen.

«Wir wohnten über den Wolken»: Mit Sätzen wie diesen und großartigen Tableaus entführt uns Malick in eine Welt voller Leichtigkeit und Liebe, nimmt uns mit nach St. Radegund. Den oberösterreichischen Ort, in dem Jägerstätter mit seiner Familie, Frau und Kindern lebt; noch ist alles gut. «Wir dachten», so eine Stimme aus dem Off, «dass kein Unglück je unser Tal erreichen würde». Gleich zu Beginn aber schneidet Malick eine vielleicht dreiminütige Sequenz zwischen, in der man in Originalaufnahmen auch Hitler sieht. Die Dinge nehmen ihren Lauf, auch Jägerstätter soll irgendwann an die Front, einen Eid leisten auf den Führer.

Doch er weigert sich. Spendet nicht, nimmt keine Fördergelder vom Staat an, grüßt auf der Straße statt mit «Heil-» mit «Pfui Hitler!». Dorfbewohner werfen ihm und seiner Familie vor, sein Verhalten sei eine Sünde. Selbst der für den Ort zuständige Geistliche (Moretti) ermahnt ihn: «Dein Opfer würde niemandem nützen!». In einer, in ihrer Intensität kaum zu überbietenden Szene blickt die großartige Valerie Pachner als Jägerstätters Frau unverwandten Blickes zur Kamera: «Du kannst die Welt nicht ändern, die Welt ist stärker!». An ihren Mann gerichtete Worte voller Verzweiflung, voller Liebe. Jägerstätter aber bleibt seiner Überzeugung, seinem Gewissen treu. Und das bis zum bitteren, kaum erträglichen Ende dieses aufwühlenden Films.

Elegisch im Wind wogende Kornfelder, Atem nehmende Unterwasseraufnahmen, Sonnenuntergänge zum sich Reinlegen, magische Muster in den Himmel zaubernde Vogelformationen, zärtlich tanzende Schmetterlinge: Wohl kein anderer amerikanischer Regisseur pflegt eine so innige Beziehung zur Natur, zu Phänomen aus Flora und Fauna wie Malick. Auch hier ist es letztlich weniger der Glaube (Jägerstätter und Frau werden als zutiefst gläubig gezeigt), weniger die Kirche als die Natur, die Hoffnung spendet. Einmal heißt es: «Das neue Heu gibt mir Hoffnung».

Vor allem die ersten, rund 30 Minuten sind randvoll mit wunderbaren, fast spirituell anmutenden Szenen unter freiem Himmel: Jägerstätter und seine Frau, wie sie liebestrunken ihrer bäuerlichen Arbeit nachgehen, betörender Sonnenschein und grünsaftige Graslandschaften vor so Ehrfurcht einflößenden wie majestätischen Bergmassiven. Ein Natur-Paradies, das durch den Beginn des Krieges jäh zerrissen wird.

Manch Kinobesucher wird auch diesmal fremdeln, sich nicht wohl fühlen in den, des Öfteren haarscharf am Kitsch vorbeischrammenden Impressionen des Kino-Sonderlings Malick (er zeigt sich kaum in der Öffentlichkeit, bei der Premiere von «Ein verborgenes Leben» in Cannes liefen Pachner und Diehl allein über den roten Teppich). Wer sich aber darauf einlassen kann wird belohnt: mit intensiven Bildern und kongenialen Sätzen, dazu angetan, einem die Seele zu öffnen.

Endlich, so wird sich manch Malick-Fan nach den aufrüttelnden drei Stunden, endlich ist der Großmeister wieder in großer Form. Zwar sind auch seine zurückliegenden Arbeiten, «Song to Song», «Knight of Cups» und «To the Wonder», visuell beeindruckende Kunstwerke. Im Vergleich aber zum neuen Malick wirken sie wie läppische Fingerübungen eines Genies: schön anzuschauen, aber letztlich doch, mehr oder weniger, nichts sagend. «Ein verborgenes Leben» hingegen kommt einem Schlag in die Magengrube gleich, ist so poetisch wie politisch.

Man kann den Film kaum anschauen, ohne ihn als Appell (für Zivilcourage, Mut, den Glauben an die Liebe) zu verstehen, als Verbeugung vor einem großen Helden. Einem Helden, der sich auch im Angesicht des Todes weigert, einen Eid zu leisten auf ein verbrecherisches Regime. Ein Unbeugsamer, wie es ihn selbst im an Helden und renitenten Figuren reichen Kinouniversum selten gibt. Terrence Malick ist ein großer Poet, ein Visionär, ein beeindruckender Bild-Gestalter, ein Maler des Kinos und, das zeigt er mit diesem Werk wieder: auch ein Humanist. Dem es um die großen Fragen geht. Danach etwa, wo Gott war, als die Nazis wüteten. Dem Kino sind noch viele weitere Werke des 76-Jährigen zu wünschen.

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