Ein Skistar schreibt Sportgeschichte

​Putin-Freund Schranz wird 80

Archivbild: epa/Robert Parigger
Archivbild: epa/Robert Parigger

WIEN/ST. ANTON (dpa) - Sein Fall ebnete den Weg für Profis bei Olympischen Spielen. Der Österreicher Karl Schranz wurde wegen eines T-Shirts mit Firmen-Logo 1972 spektakulär ausgeschlossen. Doch bald waren Millionäre am Start.

Der Jubel in Österreich kannte keine Grenzen. Sogar die Kinder bekamen schulfrei, um den Star zu empfangen. Rund 100.000 Menschen riefen auf dem Ballhausplatz in Wien «Karli, Karli». Dabei war Karl Schranz - einer der Favoriten auf Goldmedaillen in Abfahrt, Riesenslalom und Slalom - mit leeren Händen von den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 heimgekehrt.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte Schranz kurz vor dem Start wegen Verletzung der Amateur-Regel disqualifiziert. Der damals 33-Jährige hatte zuvor bei einem Benefiz-Fußballspiel ein Trikot mit Werbeaufdruck getragen. Der spektakuläre Ausschluss brachte ihm weltweite Schlagzeilen und ungeahnte Sympathien in der Heimat. «Die Popularität hätte ich gern gegen Gold eingetauscht», sagt Österreichs Ski-Legende im dpa-Interview zum 80. Geburtstag (18. November).

Die Geschichte von Schranz ist eine Begegnung mit einer fernen, inzwischen fremden Welt. Das IOC hielt unter seinem damaligen Präsidenten, dem Texaner Avery Brundage, beinhart daran fest, dass ein Olympia-Sportler kein Geld mit Sport verdienen dürfe. Nach dem Verständnis des IOC-Präsidenten war der Spitzensport dazu da, den Charakter zu bilden, aber nicht das Konto zu füllen.

«Die Olympischen Spiele sind soweit wie möglich frei von der Herrschaft des Geldes, und wir sind fest entschlossen, dass es so bleibt», meinte Brundage. Angesichts des Trainingsaufwands eine Illusion. «Eine Gruppe von rund 20 Spitzen-Skifahrern aus Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland war gefährdet. Da war keiner Amateur», erinnert sich Schranz.

An ihm, der in der Szene als eingebildeter und eher undiplomatischer Einzelgänger galt, sei ein Exempel statuiert worden, meint er. Aus Solidarität wollte das komplette österreichische Olympia-Team abreisen, was Schranz aber ablehnte.

Er selbst bekam nach eigenen Worten umgehend teils millionenschwere Angebote von Zeitungen und TV-Sendern, denen er «die wahre Geschichte über Olympia» exklusiv erzählen sollte. Ein US-Anwalt wollte für ihn eine Millionen-Summe an Entschädigung vom IOC einklagen. Er lehnte ab. Er sei überfordert gewesen, alle Konsequenzen zu überblicken. Denn tatsächlich standen die Olympischen Spiele strukturell und finanziell auf wackeligen Beinen. Der lukrative Verkauf der TV-Rechte und des Olympia-Logos, die Kooperation mit Unternehmen als Sponsoren nahmen erst Fahrt auf.

Der Fall Schranz war eine entscheidende Weiche. «Durch diese Disqualifikation wurde endlich der nur zum Schein aufrechterhaltene Amateur-Status in der Öffentlichkeit thematisiert», befand Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer. Tatsächlich fiel die Amateur-Regel weitgehend auf einem IOC-Kongress 1981 in Baden-Baden. Das war die Grundlage dafür, dass Steffi Graf als hochbezahlter Tennis-Star 1988 in Seoul Gold gewinnen konnte, dass die Millionäre aus dem Dream-Team der US-Basketballer 1992 in Barcelona zauberten und später auch die besten Eishockeyspieler der Welt aus der National Hockey League (NHL) um Medaillen kämpften.

«Die Doppelmoral ist vorbei», bilanziert Schranz zufrieden. Er verbuchte in seiner 17-jährigen Karriere rund 150 Siege, wurde dreimal Weltmeister und gewann zweimal den Gesamtweltcup. Unbedingter Siegeswille («Der Zweite ist der erste Verlierer») und äußerst sorgfältige Analyse der Strecken seien die Grundlage für seine Erfolge gewesen.

Verletzt wurde er fast nie. Fast. Vor den Olympischen Spielen in Squaw Valley bohrte sich beim Training eine zerbrochene Slalomstange in seine Hoden. «Wäre ich nicht ein bisschen hochgesprungen, hätte sie meinen Bauch getroffen». Bei den Olympischen Spielen in Grenoble 1968 hatte er als vermeintlicher Sieger des Slaloms schon die Blumen in der Hand, als er in letzter Minute wegen eines umstrittenen zweiten Durchgangs disqualifiziert wurde.

Trotz allem hat der Österreicher seinen Frieden mit Olympia gemacht. «Fast alle IOC-Präsidenten haben sich später entschuldigt.» Von Juan Antonio Samaranch erhielt Schranz schließlich als Versöhnungsgeste für den Ausschluss von 1972 eine Goldmedaille ehrenhalber.

Seit Jahrzehnten ist Schranz Hotelier in St. Anton. «Die jungen Gäste kennen mich gar nicht mehr», schmunzelt er. Er selbst kennt allerdings einen der mächtigsten Männer der Welt. Als Russlands Präsident Wladimir Putin 2001 die Ski-Weltmeisterschaften in St. Anton besuchte, nahm er Privatstunden bei Schranz. «Ich habe ihm den Kurzschwung beigebracht.» Die Chemie stimmte und Putin bot ihm im Sessellift spontan das «Du» an. 2014 half der Österreicher dem Russen bei der Organisation der Winterspiele in Sotschi. Immer wieder treffen sich die beiden - auch zum Skifahren. «Meist aber in Russland und nicht am Arlberg», sagt Schranz.

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