Ein Land steht stramm

Thailands Hymne und ihre deutschen Wurzeln

In Schulen wird die Nationalhymne jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn bei einem Fahnenappell gesungen. Foto: pop_thailand/Adobe Stock
In Schulen wird die Nationalhymne jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn bei einem Fahnenappell gesungen. Foto: pop_thailand/Adobe Stock

BANGKOK: Thailand ist reich an Traditionen. Das Strammstehen bei der Nationalhymne ist eine davon. Zweimal am Tag schallt das Stück im Vier-Viertel-Takt durch die Tropenluft. Der Komponist hat deutsche Wurzeln – und soll von einer Straßenbahn inspiriert worden sein.

Hunderte Menschen joggen in der Morgensonne durch den Lumpini Park, die grüne Lunge Bangkoks. Plötzlich erklingt die Nationalhymne aus öffentlichen Lautsprechern – und es spielen sich Szenen ab, die im Westen kaum noch vorstellbar sind: Alle halten gleichzeitig an oder erheben sich von den Bänken am Wegesrand – und stehen fast stramm. Es wirkt, als habe jemand die Pausentas­te in der pulsierenden Metropole gedrückt.

Gesetz verpflichtet zum Stillstehen

Das Ritual stammt aus den 1930er Jahren: Jeden Tag um 8.00 Uhr und um 18.00 Uhr schallt die Hymne „Phleng Chat Thai“ durch die tropische Luft. Der klangvolle Name bedeutet übersetzt schlicht „Nationalhymne Thailands“. Das Gesetz schreibt vor, dass die Menschen – egal woher sie stammen – stillstehen und Respekt zeigen sollen. Zuwiderhandeln gilt als Ordnungswidrigkeit und könnte gar mit Bußgeld bestraft werden.

Das Schauspiel vollzieht sich in TV und Radio, auf Bahnhöfen, in öffentlichen Gebäuden, aber auch in der Altstadt von Phuket, auf den Märkten von Chiang Mai und an den Schulen. „Ich fühle dabei nichts Besonderes“, sagt die Restaurantbesitzerin Pattra Wanchai (29) aus Bangkok. „Das hat sich zu einer unserer Pflichten entwickelt. Wir stehen einfach still.“ Extrem mühsam ist das nicht, das Stück dauert weniger als eine Minute. Was viele nicht wissen: Die beschwingte Melodie, geschrieben in einem „Allegro maestoso“, wurde von einem deutschstämmigen Thai komponiert.

Peter Veit (1883-1968) war sein Name, und geboren wurde er in Bangkok als Sohn des Deutschen Jakob Veit und der Birmanin Tongyoo vom Volke der Mon. Der Vater, ein talentierter Musiker aus Trier, war in den 1860er Jahren zunächst nach New York ausgewandert. Dort schloss er Freundschaft mit einem Amerikaner, der später Konsul in Siam werden sollte, dem heutigen Thailand. Jakob folgte ihm nach Asien und avancierte zum Musiklehrer am Königshof.

Komponist erhielt fürstlichen Titel

Nach dem Tod Jakobs änderte die Familie den Nachnamen und passte ihn der Landessprache an. Peter, der ebenfalls musikalisch ambitioniert war, nannte sich nun „Piti Vadhayakorn“. Später erhielt er noch einmal einen neuen, fast fürstlichen Namen, und zwar vom Monarchen Rama VI. persönlich. Fortan war er als Phra Chenduriyang bekannt – auf Deutsch etwa „gewandt mit Musikinstrumenten“.

Den Titel erhielt der Komponist und Kapellmeister vor allem wegen seiner Verdienste um die Verbreitung westlicher Musik in dem südostasiatischen Land. Zuvor war er zum königlichen Musikberater ernannt worden. Als Leiter des königlichen Orchesters begeisterte er das Publikum bei vielen feierlichen Zeremonien, zudem lehrte er westliche Instrumente und sammelte und dokumentierte siamesische Volkslieder, die bis dahin nur mündlich überliefert worden waren.

Ratternde Straßenbahn als Inspiration

Im Zuge des Staatsstreichs von 1932, der im alten Siam den Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie markierte, wurde der bekannte Musikexperte damit beauftragt, die Melodie für eine Nationalhymne zu komponieren. Bis dahin hatte die Königshymne diese Funktion erfüllt. Der Legende nach soll dem Deutschstämmigen die eingängige Tonfolge eingefallen sein, als er dem Rattern einer Straßenbahn lauschte.

Den nationalistischen Text steuerte später der Schriftsteller Luang Saranupraphan bei, als Siam offiziell in Thailand – „Land der Freien“ – umbenannt wurde. Unter anderem heißt es da: „Es ist ein Staat des Volkes – Thailand den Thailändern.“ Und: „Wir werden niemals die Unterdrückung unserer Unabhängigkeit zulassen, jeden Blutstropfen für unser Land opfern und den Wohlstand Thailands mehren. Hurra!“

Aber auch die melodietechnisch weniger schwungvolle Königshymne „Phleng Sansoen Phra Barami“ erklingt weiter, vorwiegend vor dem Beginn von Kinofilmen, Theateraufführungen oder Konzerten. Auch hier gilt: Aufstehen bitte! 2008 musste sich ein Student vor Gericht wegen Majestätsbeleidigung verantworten, weil er im Kino während der Hymne sitzengeblieben war. Ein anderer Filmfan hatte ihn angezeigt.

Wie der Student sind auch andere Thais des Stillstehens müde. „Es sollte die Entscheidung jedes einzelnen sein, ob er stehen will, um zu zeigen, dass er stolz auf sein Land ist“, sagt der 32-jährige Kamtorn Ritthaphrom. „Das Ganze basiert auf Gruppenzwang, weil die meisten sich nicht öffentlich in Verlegenheit bringen wollen.“ Die Menschen könnten schließlich auch im Sitzen der Hymne Respekt zollen, ist der Büroangestellte überzeugt.

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