Ein Jahr Frieden am Horn von Afrika

Was hat sich getan?

ADDIS ABEBA/ASMARA (dpa) - Vor einem Jahr schlossen Äthiopien und Eritrea nach 20 Jahren Konflikt plötzlich Frieden. Es sollte eine neue Era der Stabilität in der Region anbrechen. Zwölf Monate später lauern neue Gefahren.

Die Euphorie war kaum zu bremsen vor einem Jahr. Am Flughafen von Eritreas Hauptstadt Asmara fielen sich weinend Familien in die Arme. In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba wurde die grün-rot-blaue Flagge Eritreas erstmals wieder gehisst, in Asmara wehte das Grün-Gelb-Rot Äthiopiens. 20 Jahre lang hatte zwischen den Rivalen am Horn von Afrika ein Kalter Krieg geherrscht. Die Feindschaft hatte die ganze Region gelähmt. Auf einen Schlag wurde sie dann beendet - und alles sollte anders werden.

Doch ein Jahr später ist die Euphorie verflogen, Ernüchterung macht sich breit. Die Bilanz ist enttäuschend.

Eigentlich begann es vielversprechend: Am 9. Juli unterzeichneten Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed und Eritreas Präsident Isaias Afwerki eine Friedenserklärung. Lange war dies undenkbar erschienen. Die Länder befanden sich seit einem blutigen Grenzkonflikt von 1998 bis 2000 in einem Zustand, in dem es zwar keinen Krieg gab, aber auch keinen Frieden. Das repressiv geführte Eritrea schottete sich von der Außenwelt ab, Hunderttausende flohen ins Ausland - auch nach Deutschland. Und Äthiopien mit seinen 110 Millionen Einwohnern wurde jahrelang autokratisch regiert.

Diesen Kalten Krieg zu beenden war «zweifellos ein großer Erfolg», sagt William Davison von der Denkfabrik International Crisis Group. Die Ereignisse überschlugen sich: Beide Staaten öffneten in den jeweiligen Hauptstädten wieder Repräsentationen. Kommerzielle Airlines konnten wieder von Addis Abeba nach Asmara fliegen. Die Grenze wurden geöffnet. Die Symbolkraft von alledem war enorm.

Doch seitdem hat sich wenig bewegt. «Natürlich müssen die Details des Abkommens noch geregelt werden», sagt ein Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, Nebiat Getachew. Mit «Details» sind wohl die vielen großen Fragezeichen gemeint. Dazu gehört etwa der Verlauf der Grenze, der wohl größte Streitpunkt. Es gebe weder ein dauerhaftes Handelsabkommen noch eine klare Vereinbarung zur Einwanderung, sagt Davison. Und alle Hauptgrenzübergänge seien inzwischen wieder dicht. Selam Kidane, eine eritreische Menschenrechtsaktivistin, sieht ein Jahr nach der Friedenserklärung wenig Grund zum Feiern: «Wir haben keinen Frieden. Was wir derzeit haben, ist ein stillstehender Friedensprozess.»

Warum so wenig Fortschritt? Es mag pragmatische Gründe haben. In Eritrea, wo die Macht quasi in den Händen eines Mannes liegt und Regierungsinstitutionen schwach sind, ist die Diplomatie langsam. Doch das ist es nicht allein. Es bestehe die Gefahr, dass der Friedensprozess «wegen der volatilen politischen Lage in Äthiopien, Eritrea und der ganzen Region fast dauerhaft stillsteht oder sich sogar zurückentwickelt», sagt Davison.

In Äthiopien sieht es derzeit nicht rosig aus - ganz im Gegenteil zur Lage vor einem Jahr: Nach Jahren, in denen eine ethnische Minderheit den Vielvölkerstaat mit harter Hand regierte, kam Abiy im April 2018 an die Macht. Er wurde als Superstar gefeiert. Der junge Regierungschef brachte eine Reform nach der anderen auf den Weg, um das Land aus seiner Starre zu lösen. Er ließ politische Gefangene frei und hob das Verbot etlicher Oppositionsgruppen auf.

Doch all dies hatte Konsequenzen. Indem Abiy seine Kontrolle über die Sicherheitsorgane lockerte, seien in «vielen Teilen des Landes die Sicherheit, Recht und Ordnung zusammengebrochen», sagt Felix Horne von Human Rights Watch. Dies zeigte sich vor zwei Wochen, als ein Brigadegeneral in der nördlichen Region Amhara versuchte, die dortige Regierung zu stürzen. Der General war vor einem Jahr aus dem Gefängnis entlassen worden - im Zuge von Abiys Reformen.

Auch in anderen Gebieten haben im vergangenen Jahr Konflikte zwischen ethnischen und politischen Gruppen zugenommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen verdoppelte sich die Zahl der Menschen, die innerhalb des Landes auf der Flucht waren oder es noch immer sind, im vergangenen Jahr fast. Von den knapp 3,2 Millionen Betroffenen, die humanitäre Hilfe bräuchten, seien 30 Prozent in akuter Not.

Wenn Abiy die Konflikte im eigenen Land nicht befrieden kann, wird es auch nichts aus dem Frieden mit Eritrea, warnen Analysten. «Äthiopien ist der Schlüssel zur Stabilität in der Region», sagt Horne. Vor allem bräuchte er die Unterstützung der TPLF, einer Partei der Region Tigray, die vor Abiys Amtsübernahme die regierende Parteienkoalition dominiert hatte. Dies ist die Region, die an Eritrea grenzt - und es ist diese Partei, mit der Eritrea so viele Jahre im Clinch war. Ob sie sich auf Abiys Seite stellt, ist unklar.

Ebenso ist offen, ob Eritrea einen wirklichen Frieden möchte. Die Hoffnung war groß, dass die Annäherung mit Äthiopien ein Ende des nationalen Arbeits- und Wehrdienstes bringen würde. Der zeitlich unbegrenzte Dienst wird von vielen als moderne Sklaverei bezeichnet und ist die Hauptfluchtursache der nach UN-Angaben rund 500.000 eritreischen Flüchtlinge weltweit. Der Konflikt mit Äthiopien wurde stets als Rechtfertigung dafür verwendet. Bislang habe sich im Land aber nichts verändert, sagt Selam. Doch kann ein richtiger Friedensprozess stattfinden, ohne wahre Reformen im Land? Und wenn nicht, wäre der seit fast 30 Jahre regierende Isaias tatsächlich bereit, für den Frieden an seinem eigenen Stuhl zu sägen?

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