Ein Dreifachmord und seine Vorgeschichte

Thaifamilie in Ravensburg ausgelöscht – Vom Glück in die Hölle

Ein etwas unscharfes Foto der Familie Rubino aus glücklichen Tagen: Halbschwester Supatra aus Nong Kung Si in Kalasin sandte das Familienbild an die FARANG-Redaktion.
Ein etwas unscharfes Foto der Familie Rubino aus glücklichen Tagen: Halbschwester Supatra aus Nong Kung Si in Kalasin sandte das Familienbild an die FARANG-Redaktion.

RAVENSBURG/KALASIN: Weshalb löscht ein Ehemann in Deutschland seine Thaifamilie aus? Warum greift der italienisch-stämmige Antonio Rubino (53) in der Nacht zum 2. Juli im beschaulichen Ravensburger Vorort Untereschach zu einem Beil und erschlägt nacheinander seine thailändische Ehefrau Lamai (37) und deren Kinder aus einer früheren Thaibeziehung, Pear (14) und Su (18)? Warum ging diese klassische Thai-Farang-Ehe – 2005 mit einem glücklichen und vielversprechenden Start – so unfassbar grausam zu Ende?

Die Redaktion des FARANG und der deutsche Journalist Walter Rundel vom oberschwäbischen ‚Südkurier‘ haben versucht Antworten zu finden. Heraus kam eine länderübergreifende Zusammenarbeit und der Erklärungsversuch einer kulturell-ethnisch komplizierten Partnerschaft zwischen einer armen Reisbauerntochter aus Nordthailand und einem Urlauber der glaubte, sein Lebensglück in die deutsche Provinz exportieren zu können.

Sonntagvormittag in „Little Thailand“ im baden-württembergischen Langenargen. Offiziell heißt es Zentrum für Buddhismus und Thailändische Kultur – Bodensee e.V. und liegt direkt neben einem Penny-Markt. Über dem unscheinbaren Eingang flattern eine thailändische und eine deutsche Flagge. Neben der Tür stehen Fotos der ermordeten Lamai Rubino und ihrer zwei Töchter, umrahmt mit feinem Trauerflor. Dazu ein Plakat mit dem Text auf goldfarbenem Glanzpapier: Der Mensch stirbt nicht, solange ein anderer sein Bild im Herzen trägt.

Im ersten Stock, einem großen Saal mit Buddha-Figuren, Altären, Blumen und Sitzgelegenheiten für religiöse Zeremonien, haben sich einige ausgewanderte Thailänderinnen versammelt. Drei Mönche aus der Heimat nehmen sie in Empfang. Manche beten in sich versunken, auf Sitzkissen kniend, andere sind in der kleinen Küche mit Vorbereitungen für die Verköstigung der Gäste beschäftigt.

„Wir sind noch immer schockiert“, sagt Matsee Hartl, eine Thailänderin mit deutschem Ehemann und eine enge Freundin der Ermordeten. Dennoch ist kaum Wut zu spüren über die Bluttat in Ravensburg-Untereschach, in deren Folge der italienische Schichtarbeiter Antonio Rubino seine 16 Jahre jüngere Ehefrau Lamai und die Stieftöchter Pear und Su erschlug, in einer Art entfesselter Strafaktion, die selbst die hart gesottenen Mordermittler schockierte.

Von einem regelrechten Gemetzel sprachen die Kripo-Beamten. Nicht nur in Baden Württemberg wühlte der Dreifachmord die Menschen auf, in fast allen deutschen Zeitungen fand das Ravensburger Familiendrama den Weg auf die Titelseiten. Und später auch in der thailändischen Heimat von Lamai, Su und Pear Rubino, in der Provinz Kalasin im Reisbaugebiet des Nordostens, dem Isan.

Im buddhistischen Zentrum Langenargen herrscht an diesem heißen Juli-Tag eine stille, fast lähmende Trauer. Fast alle hier kannten Lamai Rubino, die regelmässig in den Kulturverein am Bodensee kam. Die Thailänderin Matsee Hartl, seit 2001 in Deutschland, zählt zu den Gründern des Zentrums in Langenargen und weiß viel über Leben und Befindlichkeiten ihrer Landsleute fern der Heimat. Zwischen 600 und 1000 Menschen aus Thailand leben in der Bodenseeregion, sagt sie. Allein in Friedrichshafen sind es über 100 und „fast alles Frauen“.

Die allermeisten stammen wie Lamai Rubino aus dem Isan im Nordosten, auch als Thailands unbekannte Schönheit bezeichnet und eine bitterarme Region. Sie kommen nach Deutschland „und hoffen auf ein besseres Leben“. Die Halbschwester der ermordeten Lamai, Supatra Phunobthong (32), lebt noch immer dort, in einem winzigen Dorf in der Provinz Kalasin.

Sie schilderte dem FARANG-Reporter, wie alles angefangen hatte, mit Lamai und ihrem „Farang“, wie weiße Ausländer in Thailand allgemein genannt werden. Der Italo- Deutsche hatte die 26jährige, betörend schöne Lamai im Jahr 2005 in Bangkok „in einem Restaurant“ kennengelernt, sagt Supatra. Schnell folgte ein gemeinsamer Urlaub auf der Ferieninsel Phuket. Und schon ein halbes Jahr später nahm der bis ins Herz hinein entflammte Antonio Rubino seine neue ‚Königin‘ mit nach Deutschland. Er war verzaubert und richtete sein ganzes neues Leben auf sie aus, erinnern sich damalige Wegbegleiter.

Am 24. April 2007 folgte die traditionelle buddhistische Hochzeitszeremonie in der Gemeinde Nong Kung Si in Kalasin. Alle Verwandten kamen und bestaunten das Glück von Lamai Rubino. Das frischvermählte Ehepaar musste eine riesige Party veranstalten und allen demonstrieren: „Lamai hat es geschafft, sie geht in eine sichere Zukunft!“ Der Bräutigam soll 5000 Euro Brautgeld bezahlt haben, in Thailand eine durchaus übliche Summe.

Antonio Rubino war nicht nur sehr verliebt, er schien auch ein Mann mit Charakter und Verantwortungsbewusstsein zu sein. Mit seiner Ehefrau Lamai nahm er wenige Monate später deren zwei Töchter aus früheren Beziehungen nach Oberschwaben mit. Die Mädchen Pear und Su wurden aufs Gymnasium geschickt, und es sollen zunächst unbeschwerte Jahre im Schwabenland gewesen sein. Das Glück der Rubinos schien vollkommen, als 2011 die gemeinsame Tochter Mia geboren wurde.

Doch bald danach zogen erste Wolken auf und die Beziehung trübte sich rasant ein. „Zunächst hat Lamai regelmäßig Geld an ihre Mutter und die Großeltern geschickt“, erinnert sich die Halbschwester Supatra. Die nahezu mittellosen Reisbauern waren auf die Zuwendungen aus Deutschland angewiesen. Freundin Matsee Hartl erklärte diese Prozedur der Altersversorgung am Rande der buddhistischen Trauerfeier in Langenargen: „Viele deutsche Männer verstehen nicht, dass Thaifrauen fast all ihr Geld an die Eltern schicken. Und wenn der Geldfluss versiegt und es in der Ehe nicht mehr stimmt, dann suchen sie sich einen anderen, der hilft!“ Matsee Hartl ist selbst glücklich verheiratet. Sie hat aber sehr wohl von den Problemen der Rubinos gehört und ordnet sie in ihre Thai-Gedankenwelt ein.

Von einer anderen Freundin war zu hören, Antonio Rubino habe zuletzt alles unternommen, um seine Ehefrau und die Töchter zu isolieren. Kein Geld, kein Kontakt zu den Freundinnen, angeblich sogar Schläge für die einst vergötterten Stieftöchter Pear und Su. „Der ist nicht mehr normal“, will die Freundin vernommen haben und immer wieder die Drohung, Antonio Rubino bringe alle um, wenn sie ihn verließen. Ist das ein wahres Motiv für die Bluttat oder nur eine vereinfachte Variante ausgewanderter Thailänderinnen, die ihre alte Welt kennen, aber nicht die, in der sie leben?

Über das Tatmotiv und die letzten Stunden im Leben der jungen Frauen wird im Herbst im Mordstrafverfahren gegen Antonio Rubino verhandelt. Aufschlüsse erwarten sich die Ermittler auch darüber, welche Rolle die angebliche neue Beziehung der Thailänderin zu einem Immobilienmakler spielte. Er soll ihr die Freiheit versprochen haben und die Versorgung ihrer Familie in Thailand. „Die Fakten des Tatablaufs“, sagt Leitender Oberstaatsanwalt Alexander Boger, „sind ermittelt und der Prozess vor dem Landgericht Ravensburg kann noch in diesem Jahr beginnen.“

In der Gemeinde Nong Kung Si, 100 Kilometer nördlich von der Provinzhauptstadt Kalasin gelegen, trauern die Hinterbliebenen und warten auf die Rückführung der sterblichen Überreste von Lamai, Su und Pear. Vergangene Woche sind die drei in Deutschland eingeäschert worden. Lamais Mutter Daeng Chaida (51) und ihr zweiter Mann Chamras (53) haben den Provinzgouverneur und ihren Bürgermeister um Amtshilfe gebeten, um wenigstens die Urnen ihrer geliebten Tochter und Enkelinnen im Dorftempel beisetzen zu können. Aus Deutschland erhielten sie einen positiven Bescheid. Die Urnen sind auf dem Weg.

Derweil bleibt in Ravensburg das grösste und zugleich traurigste Problem zurück. Am meisten bewegt die Tatortermittler in Ravensburg-Untereschach das Schicksal der überlebenden leiblichen Tochter von Antonio Rubino und Lamai. Die fünf Jahre alte Mia saß zitternd in den blutigen Armen ihres Vaters, als die alarmierten Polizeieinheiten am 2. Juli in den frühen Morgenstunden in der Wohnsiedlung einrückten. Der 53 jährige hatte eigentlich auch sie und sich töten wollen, es laut ersten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dann aber nicht mehr übers Herz gebracht.

Die Großeltern haben angekündigt, ihr Enkelkind in ihre thailändische Heimat holen zu wollen – die Chancen stehen aber eher schlecht, weil die Sozialprognosen in einem Schwellenland wie Thailand ungünstig sind. Die kleine Mia könne nichts für die Tat ihres Vaters – so herzzerreißend schlicht sehen das Daeng und Chamras Chaida, die drei ihrer Kinder verloren haben und dabei so ruhig und gefasst wirken.

Antonio Rubino sitzt in Untersuchungshaft und wird wegen akuter Suizidgefahr 24 Stunden überwacht. Ganz scheint das nicht zu gelingen. Wie wenige Stunden vor Veröffentlichung dieses Beitrages durchsickerte, haben Mithäftlinge den 53 jährigen massiv misshandelt, als er kurzzeitig nicht unter Beobachtung stand. Kindermörder stehen in deutschen Gefängnissen an der untersten Stufe einer perfiden Hackordnung. Die Liebe aus Thailand, das Glück, die Tragödie und der Tod: Die Dramaturgie hat auch für den Täter in die Hölle geführt.

Walter Rundel / Sam Gruber

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