Ein Abend im Jomtien-Komplex

Ein Abend im Jomtien-Komplex

Die Saison ist vorbei. Es ist ruhig geworden in Pattaya. Einige Bars und Geschäfte nutzen diese umsatzarme Zeit zur Renovierung. Nach dem kleinen Imbiss im Jomtien-Komplex wechsle ich mit zwei Freunden vom Dicks Cafe auf die andere Straßenseite ins Momo. Die erste Runde geht auf mich: Ein Glas Rotwein, eine Flasche Bier und für mich Weißwein. Es ist erst 21 Uhr, aber in den Cafés und Bars rundherum sitzen kaum noch Menschen. Beim Friseur gegenüber regt sich nur noch das Kaninchen auf dem Tisch vor dem Geschäft.

Links und rechts von uns steht gelangweiltes Personal herum. „Welcome,“ rufen sie müde, wenn hin und wieder Passanten vorbeischlendern, die ohne aufzusehen weiter gehen. Die Straßenartisten, die sonst jeden Abend hier ihre zirkusreifen Kunststücke vorführen, sind bei diesem trostlosen Anblick gleich weitergezogen und verzichten auf einen Auftritt vor leeren Stühlen. Der junge barfüßige Bettler, den eine Alkoholfahne umgibt, bleibt lange mit seiner ausgestreckten Hand vor unserem Tisch stehen, bis er einsieht, dass bei uns heute nichts zu holen ist und trollt sich davon. Nur Lucky, der schöne schwarze Rüde streicht hoffnungsvoll um uns herum. Aber auch er wird heute enttäuscht.

Mogli ist mit seinem Smartphone beschäftigt. Inzwischen widmen sich auch all die arbeitslosen Bedienungen diesem Lieblingszeitvertreib. Mein Freund Gerd berichtet ausführlich über seine kürzlich unternommene Reise nach Laos und den Diebstahl seines Handys in Luang Prabang. Eine interessiert wirkende Gruppe älterer Chinesen zieht vorbei. Jeder von ihnen hat eine Kamera dabei. Ihr Ziel scheinen die Boy-Bars zu sein, um Fotos zu schießen für die staunenden Daheimgebliebenen. Der junge Schuhputzer blickt traurig auf unsere Sandalen oder Stoffschuhe. Kaum einer trägt noch Lederschuhe. Mit einem Wai bedankt er sich freundlich lächelnd für den 100-Baht-Schein, den ich ihm in die Hand drücke.

Plötzlich Lärm und Aufregung. Eine vielköpfige Hochzeitsgesellschaft flaniert singend an uns vorbei und verschwindet in der nächsten Cannabis-Bar. Der Inhaber wird sich über diesen unverhofften Besuch freuen, denn seit Tagen hat niemand mehr seinen Laden betreten. Die Konsumenten sind verunsichert, weil die Regierung offensichtlich selbst nicht weiß, wie es weitergehen soll mit den vielen Tausend Cannabis-Läden und deshalb ein erneutes Verbot erwägt.

Der Barchef fragt, ob wir noch etwas bestellen möchten, anderenfalls würde er den Laden schließen, denn wir sind die einzigen Gäste. Ja, wir ordern noch eine Runde. Dann taucht plötzlich Harald auf und lässt sich total verkatert an unsrem Tisch nieder. Er hat bis eben geschlafen. Jetzt will er sich ins Nachtleben stürzen. Dafür muss er schon eine Straße weiter gehen, denn hier ist „tote Hose.“ Okay. Er trinkt hastig einen Espresso und eilt davon.

Klingelnd nähert sich eine Mobilküche. Mogli kauft für sich und für uns Zitronen-Eis. Die Erfrischung tut gut, denn es ist immer noch über 30 Grad warm.

Plötzlich kommt Wind auf. Kündet sich damit der angesagte starke Regen an? Seit Tagen gibt es diese Unwetter-Warnung, aber bisher ist der Regen ausgeblieben. Gerd lädt noch auf eine Runde ein. Der Wirt setzt sich mit einem vollen Glas zu uns und unterhält uns mit seltsamen Geschichten, die ihm angeblich widerfahren sind. Heute will uns niemand Blumen, Nüsse, gefälschte Rolex-Uhren, Zigaretten oder Potenzmittel verkaufen. Haben die Händler sich  verabredet oder hat die Regen-Warnung sie abgeschreckt? Vielleicht wird es heute ernst. Wir machen uns auf den Heimweg. Und tatsächlich: In dem Augenblick, als wir unser Condo betreten, öffnet der Himmel seine Schleusen.

Ein gewaltiger Monsun-Schauer prasselt auf die staubigen Straßen.

Glück gehabt. Gute Nacht.

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