Ebrahim Raeissi - Irans neuer erzkonservativer Präsident

Frauen im Iran geben ihre Stimme in einem Wahllokal während der Präsidentschaftswahlen in Teheran ab. Foto: epa/Abedin Taherkenareh
Frauen im Iran geben ihre Stimme in einem Wahllokal während der Präsidentschaftswahlen in Teheran ab. Foto: epa/Abedin Taherkenareh

TEHERAN: Irans neuer Präsident ist ein erzkonservativer Kleriker ohne politische Erfahrung. Ebrahim Raeissi wird von den Hardlinern unterstützt, der Wahlsieg für den Wunschkandidaten der politischen Elite in Teheran war letztlich keine Überraschung mehr. Ob der Erzkonservative selbst ein Hardliner ist, muss sich laut Beobachtern aber erst noch zeigen.

Der 1960 in Maschad im Nordosten des Iran geborene Raeissi gilt in Kleruskreisen als sehr einflussreich, politisch ist er dagegen ein unbeschriebenes Blatt. In den vergangenen drei Jahrzehnten war er in der Justizbehörde tätig, zunächst als Staatsanwalt, später als Richter, seit 2019 ist er Justizchef. Schon vor vier Jahren versuchte Raeissi, ins Präsidentenamt zu kommen, scheiterte aber damals am aktuellen Amtsinhaber Hassan Ruhani.

Die meisten Experten sind überzeugt, dass Raeissi Ruhanis moderaten Kurs nicht fortsetzen wird. Wie sein politischer Kurs in den nächsten vier Jahren konkret aussehen wird, dürfte nach seiner Vereidigung im August die Formation seines Kabinetts zeigen. Besonderer Fokus liegt dann auf den Posten des Außenministers und des Atomchefunterhändlers. Sein internationaler Handlungsspielraum ist zumindest mit Blick auf eigene Reisen eingeschränkt: Wegen Menschenrechtsverletzungen kam Raeissi 2011 auf die Sanktionsliste der Europäischen Union, 2019 dann auch auf die der USA. Somit kann Raeissi derzeit de facto weder in die EU noch in die USA einreisen.

Im Wahlkampf stellte Raeissi Wirtschaftsthemen oft in den Mittelpunkt und versprach ein schnelles Ende der durch die US-Sanktionen verursachten Finanzkrise. Doch ohne Verhandlungen mit den USA über die Zukunft des auf wackeligen Beinen stehenden Wiener Atomabkommens von 2015 wäre ein Ende der Sanktionen - und der schon fast drei Jahre währenden Wirtschaftskrise - nicht machbar.

2018 waren die USA aus dem Atomabkommen ausgetreten. Es folgten US-Sanktionen gegen den Iran, der sich wiederum nicht mehr an die Vereinbarungen des Abkommens hinsichtlich seines Atomprogramms hält. Ursprünglich sollte das Abkommen die Atomaktivitäten des Iran begrenzen und gleichzeitig zu internationalen Investition in der Islamischen Republik führen. Raeissi hat das Abkommen in den vergangenen Jahren immer wieder scharf kritisiert.

Inzwischen klingt sein Standpunkt jedoch weniger radikal. «Wir werden das Abkommen respektieren, die Bedingungen dafür stellen aber wir, nicht die USA», sagte er im Wahlkampf. Die Details zu diesen Bedingungen wolle er erst später bekanntgeben.

Auch in der Nahostpolitik erwarten Beobachter unter einem Präsidenten Raeissi einen radikaleren Kurs, im Verhältnis zum Erzfeind Israel einen gar noch feindseligeren als bislang.

Reformer werfen Raeissi vor, gesellschaftliche Freiheiten, das Internet und Frauenrechte einschränken zu wollen. Ihm wird außerdem nachgesagt, dass er als Generalstaatsanwalt für die Inhaftierung und gar Hinrichtung von mehreren iranischen Dissidenten verantwortlich gewesen sei. Raeissi wies die Vorwürfe im Wahlkampf mehrmals zurück.


Iran-Wahl: Machtwechsel, Proteste und Desinteresse

TEHERAN: Bei der Präsidentenwahl in Iran bahnt sich ein Machtwechsel an. Den Iranern scheint es aber egal zu sein. Von Ruhani tief enttäuscht, interessiert sie sein Nachfolger auch nicht besonders.

Stell dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin. So ungefähr ist auch die Lage in Iran vor der Präsidentenwahl am Freitag. Obsthändler Tejmur in Teherans Tadschrisch Basar fasst die Wahlstimmung so zusammen: «Ist uns sowas von egal.» Auch nach Umfragen wollen nur ungefähr 40 Prozent der über 59 Millionen Stimmberechtigten an der Wahl am Freitag teilnehmen. Vor vier Jahren waren es noch mehr als 70 Prozent. «Nicht wer wen wählt, sondern wer gar nicht wählt ist diesmal die eigentliche Herausforderung», beschreibt der reformorientierte Kandidat Abdolnasser Hemmati die politische Botschaft einer niedrigen Wahlbeteiligung.

Dabei bahnt sich im Land ein politischer Machtwechsel an. Als Favorit für die Nachfolge von Hassan Ruhani gilt der erzkonservative Kleriker Ebrahim Raeissi. Vor vier Jahren war er noch an Ruhani gescheitert, aber diesmal ist sein Weg ins Präsidialamt wesentlich einfacher. Denn Ruhani darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten, von den restlichen sechs Kandidaten haben höchstens zwei Außenseiterchancen. Alles andere als ein klarer Sieg Raeissis wäre daher eine riesengroße Überraschung. Gewählt wird am Freitag, das Endergebnis wird am Sonntag erwartet.

Der Politikfrust im Land hat diverse Gründe. Vor allem sind die Menschen von Ruhani und den Reformern enttäuscht, weil die viele ihrer Versprechen nicht eingehalten haben. Hinzu kommt die seit drei Jahren andauernde Wirtschaftskrise wegen der US-Sanktionen. Letzten Monat sorgte dann noch das Wahlgremium - auch Wächterrat genannt - landesweit für Empörung. Ohne Erklärung sortierte der Rat mehrere renommierte Politiker von der Wahl einfach aus. Unter ihnen waren auch ein amtierender Vize-, ein langjähriger Parlaments- und in der Person von Mahmud Ahmadinedschad gar ein Ex-Präsident und einst Vorzeigepolitiker des Systems. Zugelassen wurden sieben Kandidaten, fünf vom Hardliner-Flügel und zwei weniger bedeutende Reformer.

Die Reaktionen waren heftig, auch in den eigenen Reihen. «Mein Großvater wollte eine islamische Republik und keine islamische Herrschaft, die Entscheidungen hinter geschlossenen Türen trifft», sagte Hassan Chomeini, Enkel des iranischen Revolutionsführers. Selbst Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei war nicht erfreut über die Aussortierungen. In den Medien war die Rede von «Abrechnung» der Hardliner mit den Reformern und «Putsch» gegen Präsident Ruhani. Viele Iraner wollen daher diese inszenierte und undemokratische Wahl boykottieren. «Ich auch», outete sich sogar Ahmadinedschad als Wahlverweigerer.

Es sind zwar sieben Kandidaten im Rennen, aber in der Bevölkerung ist nur von Raeissi die Rede. Der 60-jährige Justizchef ist nicht nur Spitzenkandidat der Hardliner, sondern auch Wunschpräsident des Establishments. Ihm wird nachgesagt, dass er in seiner Funktion als Staatsanwalt für zahlreiche Verhaftungen und gar Hinrichtungen von politischen Dissidenten verantwortlich gewesen sei. Politisch ist Raeissi ein unbeschriebenes Blatt, hat aber in den vergangenen Jahren mehrmals den moderaten Kurs von Ruhani scharf kritisiert - auch das Atomabkommen von 2015 mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland.

Aber gerade der Atomdeal - und die damit verbundenen Differenzen mit den USA - könnte Raeissis erste Amtshandlung sein. Er muss relativ schnell entscheiden, wie es bei den Verhandlungen zur Rettung des Wiener Abkommens weitergehen soll. Sonst hätte er weiterhin die US-Sanktionen und damit auch die lähmende Wirtschaftskrise am Hals. Mit Sicherheit fortsetzen wird er die feindselige Iran-Politik gegenüber Erzfeind Israel sowie die Unterstützung für anti-israelische Gruppen und Syriens Machthaber Baschar al-Assad.

Raeissis Ansichten werden allgemein als extrem konservativ und nicht zeitgemäß eingestuft. «Über alte Wege erreicht man keine neuen Ziele», kommentierte der Politologe Hamid Dehghan die Ideologie des Klerikers. Im Wahlkampf fokussierte er sich mehr auf Wirtschaftsthemen und versprach ein schnellen Ende der Finanzkrise. Aber auch dieses Versprechen wäre laut Beobachtern ohne eine rationale Außenpolitik unrealistisch. Insbesondere für die Aufhebung der US-Sanktionen, die auch fast alle finanziellen Kanäle des Landes blockiert haben, sind pragmatische Kompromisse erforderlich. «Das Problem im Land ist Wirtschaft, die Lösung aber Revision der Außenpolitik», sagt auch Reformaktivist Abbas Abdi.

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