Dutzende Tote bei Zugunglück

Polizeibeamte inspizieren den Ort eines Zugunfalls. Foto: EPA-EFE/Raminder Pal Singh
Polizeibeamte inspizieren den Ort eines Zugunfalls. Foto: EPA-EFE/Raminder Pal Singh

NEU DELHI: Der Schock nach der Zugkatastrophe in Indien ist groß. Auch wenn die Regierung zuletzt viel in die Bahn investiert hat, kommt nun wieder eine Debatte um die Bahnsicherheit im bevölkerungsreichsten Land der Welt auf.

Bei einem der schwersten Zugunglücke der letzten Jahrzehnte sind in Indien mindestens 288 Menschen ums Leben gekommen. Hunderte wurden verletzt, wie die Behörden des Bundesstaats Odisha mitteilten. Die Zahl der Toten könnte noch steigen. Drei Züge waren laut Behörden an dem Unfall beteiligt, der sich in einer ländlichen Gegend im Bezirk Balasore, gut 200 Kilometer südwestlich von Kolkata, am Freitag gegen 19 Uhr Ortszeit (15 Uhr MESZ) ereignete.

Fernsehbilder am Tag danach lassen das Ausmaß erkennen, nachdem die Rettungsarbeiten zunächst in der Nacht stattfanden. Zugwaggons liegen kreuz und quer auf und neben den Schienen. Dutzende Helfer in Zivilkleidung und Rettungskräfte mit orangefarbenen Schutzanzügen versuchen verzweifelt, Verletzte aus den tonnenschweren Trümmern zu retten.

Die Menschen vor Ort erzählen von grausamen Erlebnissen. «Überall Leichen, vielen fehlten Körperteile, Menschen, die in den Waggons feststeckten, schrien um Hilfe», sagte ein Überlebender der Zeitung «The Hindu». «Ich sah Menschen mit verstümmelten Körperteilen und entstellten Gesichtern. Das wird mich mein Leben lang verfolgen.»

Örtlichen Medienberichten zufolge soll ein Passagierzug zuerst entgleist sein, ein anderer Passagierzug soll in dessen liegengebliebene Waggons gerast sein. Auch ein Güterzug soll beteiligt gewesen sei. Wie genau das alles passierte, war auch am Samstag nicht klar.

Bahnminister Ashwini Vaishnaw sagte der Nachrichtenagentur ANI, er habe eine Untersuchung zur Ursache der Katastrophe angeordnet.

Die Solidarität nach dem Unglück ist groß. Viele Menschen haben schon in der Nacht des Unfalls in Krankenhäusern Blut für die Verletzten gespendet. «Ich hoffe, dass das einige Leben rettet», sagte ein Spender der Nachrichtenagentur ANI. Odishas Verwaltungschef Pradeep Kumar Jena sagte, er habe viele Anfragen von Blutspende-Interessierten erhalten.

Premierminister Narendra Modi besuchte am Samstag den Unglücksort und Verletzte in einem Krankenhaus. Dort sagte er laut örtlichen Medien wie der «Hindustan Times»: «Die Verantwortlichen werden schwer bestraft.» Es seien demnach Instruktionen gegeben worden, bei der Untersuchung «jeden Blickwinkel» zu beachten. Sein Büro hatte - wie dies in Indien bei Unfällen in Zusammenhang mit der Infrastruktur üblich ist - bereits kurz nach dem Unglück eine Entschädigung für die Angehörigen der Toten von je 200.000 Rupien (etwa 2300 Euro) angekündigt. Verletzte sollen etwa 50.000 Rupien bekommen.

Rund um die Welt kondolierten Politiker und Staatschefs, darunter auch der Präsident der vom russischen Angriffskrieg heimgesuchten Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Er twitterte an Modi und die Angehörigen der Opfer: «Wir teilen euren Schmerz des Verlusts.»

Russlands Präsident Wladimir Putin schrieb in einem Telegramm, das der Kreml veröffentlichte: «Wir teilen die Trauer derer, die bei dieser Katastrophe ihre Angehörigen verloren haben, und hoffen auf eine baldige Genesung aller Verletzten.»

Papst Franziskus versicherte «allen, die von dieser Tragödie betroffen sind, seine geistliche Nähe». Seine Gedanken seien bei den trauernden Angehörigen und den Verletzten. Für die Rettungskräfte erbitte er die «göttlichen Gaben des Mutes und der Tapferkeit».

Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter: «Das Zugunglück in Indien mit Hunderten Toten und Verletzten erschüttert mich zutiefst. Meine Gedanken sind bei den Opfern, Verletzten und ihren Familien. Deutschland steht an der Seite Indiens in dieser schweren Zeit.» Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach seine Anteilnahme aus.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen twitterte an Modi: «Europa trauert mit Ihnen».

Der britische Premierminister Rishi Sunak, dessen Familie indische Wurzeln hat, twitterte, dass seine Gedanken und Gebete bei Modi und allen Betroffenen seien. «Mein tiefstes Mitgefühl für die Familien und Freunde der Getöteten, und von Herzen meine Unterstützung und Bewunderung für die Überlebenden und diejenigen, die unermüdlich helfen.»

In Indien selbst lässt das Unglück wieder eine Diskussion um die Sicherheit der Bahn aufkommen - nachdem das Land nach schweren Unglücken in der Vergangenheit viel in die Bahn investiert hat und sich die Situation zuletzt verbessert zu haben schien.

Das bevölkerungsreichste Land mit rund 1,4 Milliarden Menschen hat ein großes, historisch gewachsenes Bahnnetz. Angesichts vieler alter Züge und überholungsbedürftiger Gleisanlagen gibt es häufig Unfälle. Doch derart hohe Opferzahlen sind seltener geworden.

Zu den schwersten Zugunfällen mit über 100 Toten gehörten in den letzten Jahrzehnten mehrere in Indien, darunter die Unglücke von Kanpur 2016, Valigonda 2005, Rafiganj 2002, Gaisal 1999 und Khanna 1998. In Pakistan starben im Juli 2005 in Sarhad beim Zusammenstoß dreier Fernzüge 137 Menschen, in Japan im April 2005 beim Zugunglück von Amagasaki 107, weil der Lokomotivführer in einem Bogen nicht die vorgeschriebenen 70 Stundenkilometer eingehalten hatte.

Zu den schlimmsten Unfällen im Schienenverkehr gehört auch das Unglück von Eschede in Niedersachsen mit 101 Toten - dort prallten vor genau 25 Jahren, am 3. Juni 1998, nach dem Bruch eines Radreifens mehrere ICE-Waggons bei Tempo 200 gegen eine Straßenbrücke.

Als größte Bahnkatastrophe der Geschichte gilt das Unglück von Seenigama in Sri Lanka, wo am 26. Dezember 2004 die Tsunami-Welle einen vollen Expresszug erfasste und ungefähr 1800 Menschen starben.

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