Europa droht im Technologie-Wettlauf zu unterliegen

DLD-Konferenz

Foto: epa/Wu Hong
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MÜNCHEN (dpa) - «Optimismus und Mut» ist das diesjährige DLD-Motto. So rosig die Chancen der Digitalisierung auf der Innovationskonferenz von vielen beschrieben werden - Europa droht bei Schlüsseltechnologien den Anschluss zu verlieren, warnen Experten. Eine Antwort: Mehr Bildung.

Der Facebook-Datenskandal, die Furcht vor Jobverlust durch künstliche Intelligenz oder Hetze und Propaganda im Netz: Die Folgen der Digitalisierung gehören zu den Dingen, die Menschen zunehmend Angst machen. Auf der Innovationskonferenz DLD in München haben Unternehmer, Experten und Wissenschaftler am Wochenende nach Wegen gesucht, neues Vertrauen in die Zukunft zu finden. «Wir wissen, dass wir besser werden müssen», sagte am Sonntag auch Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg in München.

Alleine in Deutschland glauben nur 26 Prozent der Menschen, dass neue Technologien ihre Zukunft verbessern werden, heißt es in der neusten Studie der Kommunikationsagentur Edelmann, die in München in Auszügen vorgestellt wurde. Das Motto der weltweit beachteten DLD-Konferenz 2019 ist «Optimism and Courage» oder zu deutsch «Zuversicht und Mut». Doch überbrachten viele Rednerinnen vor allem für Europa schlechte Nachrichten. Der Studie zufolge fühlen sich fast 60 Prozent der Arbeitnehmer nicht gut genug ausgebildet, 55 Prozent fürchten, dass ihr Arbeitsplatz durch Automatisierung wegfallen wird.

Und die Furcht scheint in vielen Bereichen nicht unbegründet. Viele Arbeitnehmer müssen sich Deutsche-Post-Chef Frank Appel zufolge darauf einstellen, dass ihre Jobs in absehbarer Zeit von Maschinen übernommen werden könnten. «Ist man jung, gibt es unabhängig davon, welchen Beruf man sich aussucht, keine Garantie, dass er in 10 bis 15 Jahren noch existiert», sagte Appel auf der DLD. «Es ist definitiv nicht mehr möglich, dass man 50 Jahre lang in einem Unternehmen im selben Job bleiben kann.» Vor allem Systeme auf Basis künstlicher Intelligenz können den Menschen in immer mehr Berufen ablösen. Ein Ausweg sei lebenslanges Lernen - dafür müsse aber das Bildungssystem grundlegend umgestaltet werden.

Das sieht einer der führenden Experten für künstliche Intelligenz genauso. «Aber es gibt auch viele Gründe für Hoffnung», sagte der KI-Forscher Kai-Fu Lee am Sonntag. So werde die Ausbreitung von künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt bei all ihrer Wucht auch viele Jobs verschonen. In den kommenden 15 Jahren würden zwar viele Arbeitsplätze wegfallen, doch künstliche Intelligenz sei nicht gut in kreativen, strategischen Aufgaben, die Planung oder den Umgang mit Ungewissheit erforderten, betonte Lee. Sie sei eher ein Werkzeug, um auf Datenbasis Aufgaben in einem klar definierten Bereich zu lösen.

«Wenn sie kreativ sind und etwas Neues aufbauen - diese Jobs sind sicher, künstliche Intelligenz kann das nicht.» Sicher seien aber auch Arbeitsplätze, in denen Beziehungen zwischen Menschen im Mittelpunkt stünden. Lehrer, Krankenschwestern, Altenpfleger, Ärzte oder Reiseführer - bei solchen Jobs werde es sogar Zuwächse geben. «Denn künstliche Intelligenz kann nicht Vertrauen, Empathie und Mitgefühl im zwischenmenschlichen Umgang vortäuschen.» Außerdem würden im KI-Umfeld auch ganz neue Arbeitsplätze entstehen. Aus diesen Gründen sehe er keine Gefahr von Massenarbeitslosigkeit - und halte das immer wieder ins Gespräch gebrachte garantierte Mindesteinkommen für eine «schreckliche Idee».

Allerdings werde das Ringen um die technologische Führerschaft wohl nicht in Europa entschieden. Insgesamt sieht Lee China und die USA in einem Kopf-an-Kopf-Rennen um die Führungsrolle bei künstlicher Intelligenz. Er rechne fest damit, dass chinesische Unternehmen, die heute im Heimatmarkt dominieren, ihre Technologien auch international an den Markt bringen werden, sagte der 57-Jährige, der unter anderem für Apple, Microsoft und Google gearbeitet hatte und jetzt als Investor aktiv ist. Die Gefahr für Europa sei, dass es bei der Dominanz von zwei solch großen Playern, «keine Bronze-Medaille gibt».

Die Bildungssysteme in Europa sehen auch andere Experten als Schwachstelle. So müssen die europäischen Länder aus Sicht von Italiens ehemaligem Digitalisierungsbeauftragten Diego Piacentini dringend in Schulen und Universitäten investieren, um den technologischen Wandel zu gestalten, sagte der einstige Amazon-Manager auf der vom Medienkonzern Burda veranstalteten Konferenz. Insgesamt müsse Europa eher nach vorn denken, statt die USA zu kopieren, sagte Piacentini. «Lasst uns nicht das Google von Europa oder das Google von Deutschland aufbauen, sondern die Zukunft erfinden.»

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