Diskussion um Maskenpflicht in Deutschland

​Allzeitrekord an Kurzarbeitern erwartet

Foto: Pixabay
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JENA: Bayerns Ministerpräsident will, dass Deutschland in Sachen Schutzmasken in die Notfallproduktion geht. Die Stadt Jena plant sogar eine Pflicht zum Tragen eines Mundschutzes. Doch der Nutzen der Masken zur Abwehr des Coronavirus ist umstritten.

Die Einführung einer Schutzmaskenpflicht in Supermärkten im Nachbarland Österreich hat auch in Deutschland eine neue Debatte über entsprechende Maßnahmen entfacht.

Die thüringische Stadt Jena plant in der Coranavirus-Pandemie bereits eine Maskenpflicht. «In einer Woche soll das Tragen eines Mund-und-Nasen-Schutzes in Jenaer Verkaufsstellen, dem öffentlichen Nahverkehr und Gebäuden mit Publikumsverkehr verpflichtend werden», teilte die Stadt am Montagabend mit.

Die Maßnahme sei vom Fachdienst Gesundheit angemahnt worden. Ziel sei es, die Sicherheit des Personals im öffentlichen Leben zu erhöhen. Neben Masken seien auch Tücher oder Schals als Schutz möglich, wenn sie Nase und Mund bedeckten.

Die Stadt hat nach eigenen Angaben eine Grundausstattung an Masken. Damit wolle man Pflegekräfte, Ärzte, Fahrer im öffentlichen Nahverkehr und andere Menschen in systemrelevanter Infrastruktur versorgen. An die Bevölkerung erging die Bitte: «Nähen Sie sich selbst und anderen Menschen den wichtigen Mund-Nasen-Schutz, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.»

Eine Mundschutzpflicht unter anderem für Einkäufe in Supermärkten hatte zuvor bereits die österreichische Regierung angekündigt. Dabei ist der Nutzen der Masken umstritten: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus keinen Nutzen im allgemeinen Mundschutz-Tragen.

Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass damit etwas gewonnen wäre, sagte der WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan am Montag in Genf. Vielmehr gebe es zusätzliche Risiken, wenn Menschen die Masken falsch abnähmen und sich dabei womöglich infizierten.

Eine Schutzmaskenpflicht in Supermärkten wie in Österreich sei derzeit nicht geplant, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag im ARD-«Morgenmagazin». Zuerst müsse man abwarten, ob die in Deutschland getroffenen Maßnahmen helfen. «Es ist wichtig, dass wir uns jetzt an die grundlegenden Beschränkungen halten (...) und nicht über Exit-Strategien nachdenken», sagte Söder.

Der CSU-Chef forderte zugleich eine «nationale Notfallproduktion» von Schutzmasken für das Personal in Krankenhäusern, Arztpraxen und Altersheimen. «Wichtig ist, dass wir eine nationale Notfallproduktion endlich bekommen.» Die deutsche Wirtschaft müsse darauf umstellen.

Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sagte, die Regierung in Berlin müsse hier mehr Führungsverantwortung übernehmen und im Dialog mit der Wirtschaft die Notfallproduktion von Schutzmasken organisieren und vorantreiben.

«In dieser historischen Krise muss die Wirtschaft noch viel stärker bei der Produktion der in Deutschland fehlenden ca. eine Milliarde Schutzmasken einspringen.» Das medizinische Personal brauche dringend vor allem Viren hemmende FFP2- und FFP3-Spezialmasken.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner kritisierte Söders Vorstoß als «unrealistisch» und «unsolidarisch». Es brauche Zulieferung aus dem Ausland, um möglichst schnell und viel Schutzausrüstung herzustellen. «Da hilft eine staatliche europäische Koordinierung mehr als nationale Alleingänge.»

Zudem müsse auch die Belieferung der «Corona-Hotspots» sichergestellt sein. «Wir können andere EU-Staaten nicht alleine lassen, die nicht diese Kapazität haben und zu ihnen sagen: Pech gehabt.»

INFEKTIONS- UND TODESZAHLEN STEIGEN

In Deutschland sind bis Dienstagnachmittag 65 516 Infektionen mit dem neuen Coronavirus registriert worden. Das geht aus einer Auswertung der Deutschen Presse-Agentur hervor, die die gemeldeten Zahlen der Bundesländer berücksichtigt. Besonders hohe Zahlen haben Bayern mit 15 505 nachgewiesenen Fällen und 191 Toten und Nordrhein-Westfalen mit 15 251 Fällen und 148 Toten. Gerechnet auf 100 000 Einwohner verzeichnet Hamburg mit einem Wert von 124,4 die meisten Infektionen. Im Bundesschnitt waren es 78,8. Mindestens 664 mit Sars-CoV-2 Infizierte sind den Angaben zufolge bislang bundesweit gestorben.

HÖHERE CORONAVIRUS-STERBERATE VORHERGESAGT

Das Berliner Robert-Koch-Institut rechnet mit einer Erhöhung der Coronavirus-Sterberate in Deutschland. Im Moment liege die Rate bei 0,8 Prozent, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Dienstag. Die Meldungen hätten aber einen Zeitverzug, da die Menschen erst nach einem gewissen Krankheitsverlauf sterben würden. «Wir haben jetzt ja auch leider Fälle in Pflege- und Altenheimen. Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Sterberate damit ansteigen wird», sagte Wieler.

ARBEITSMARKT LEIDET UNTER CORONA-KRISE

Die Corona-Krise schlägt voll auf den deutschen Arbeitsmarkt durch: Die Zahl der Anzeigen für Kurzarbeit ist auf ein Rekordniveau empor geschnellt. In den nur etwas mehr als zwei Wochen seit Beginn des wirtschaftlichen Stillstandes hätten 470 000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, teilten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur, Detlef Scheele, am Dienstag in Berlin mit. Dahinter steckt ein Vielfaches an Menschen, die in Kurzarbeit gehen werden. Eine genaue Schätzung sei derzeit nicht möglich. Als sicher aber gilt: Der Höchstwert von 1,44 Millionen Kurzarbeitern von Mai 2009 in der internationalen Finanzkrise wird deutlich übertroffen werden. Trotzdem geht die Bundesagentur für Arbeit von bis zu 200 000 neuen Arbeitslosen im April aus.

BUNDESREGIERUNG WILL BEI HILFEN FÜR BETRIEBE NACHBESSERN

Die Bundesregierung arbeitet bei Corona-Hilfen an Nachbesserungen für mittelständische Unternehmen, um eine Pleitewelle zu verhindern. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Regierungskreisen erfuhr, könnten Kredite für mittelständische Firmen mit einer 100-prozentigen Staatshaftung abgesichert werden. Allerdings müsste die EU-Kommission diesem Modell zustimmen. Dazu liefen Gespräche. Wirtschaftsverbände hatten beim Sonderkreditprogramm der staatlichen Förderbank KfW eine «Förderlücke» vor allem beim Mittelstand beklagt. Finanzminister Olaf Scholz stellte auch für Start-up-Firmen schnelle Hilfen in Aussicht. «Wir wollen, dass diese jungen, innovativen Unternehmen für unser Land erhalten bleiben», betonte der SPD-Politiker.

STAATEN VERSCHÄRFEN CORONA-GEGENMAßNAHMEN

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat das russische Parlament am Dienstag härtere Strafen für Verstöße bei Quarantäne-Vorschriften und die Verbreitung von Falschnachrichten beschlossen. Die Regierung erhielt auch Vollmachten zum Verhängen des Ausnahmezustands. Künftig gibt es hohe Geld- und Haftstrafen auch wegen fahrlässiger Infektion von Mitmenschen. Je nach Schwere des Vergehens, wenn eine Infektion etwa zum Tod von Menschen führt, sind Strafen bis zu sieben Jahre Haft möglich. Auch Israel hat seine Ausgangsbeschränkungen verschärft. Die Regierung verbot unter anderem öffentliche Gebete und Hochzeiten. An der Klagemauer in Jerusalem dürfen nur noch bis zu zehn Menschen beten - mit einem Abstand von mindestens zwei Metern.

VERBRAUCHERZENTRALEN WARNEN VOR BETRÜGERN

Die Verbraucherzentralen warnen vor Betrügern im Internet in Zeiten der Coronavirus-Pandemie. «Wir erhalten inzwischen täglich Hinweise von Verbrauchern im Zusammenhang mit der Coronakrise», sagte der Vorstand des Verbraucherzentralen-Bundesverbands, Klaus Müller, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Manche Anbieter wollten mit falschen Gesundheitsversprechen Kasse machen, andere hätten zum Beispiel eine Packung Toilettenpapier für 20 Euro oder einen Liter Händedesinfektionsmittel für 199 Euro angeboten. Es gebe auch Hinweise auf vermutliche Fake-Shops, die Artikel wie Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel anbieten. Diese müssten per Vorkasse bezahlt werden. Eine Lieferung erfolge nicht.

EU-KOMMISSION IST WEGEN FALSCHNACHRICHTEN BESORGT

Im Kampf gegen Fake News rund um das Coronavirus nimmt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soziale Netzwerke wie Facebook in die Pflicht und warnt vor Falschmeldungen. Die sozialen Medien müssten ihre Daten mit Faktencheckern und Wissenschaftlern teilen. Das würde helfen, gefährliche Gerüchte, die es in den sozialen Netzwerken zuhauf gebe, frühzeitig aufzuklären, sagte von der Leyen am Dienstag. Knoblauch und Vitamin C hülfen nicht gegen das Coronavirus. Und Menschen könnten schweren Schaden nehmen, wenn ihnen etwa suggeriert werde, das Trinken von Bleichmittel würde helfen.

SCHALKE 04 VERHÄNGT GELDSTRAFE GEGEN PROFISPIELER HARIT

Fußball-Profi Amine Harit ist von seinem Verein FC Schalke 04 mit einer empfindlichen Geldstrafe belegt worden. Das bestätigte Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider am Dienstag auf Anfrage. Zur genauen Höhe der Strafe machte er keine Angaben. Als in Nordrhein-Westfalen schon erhebliche Kontaktbeschränkungen galten, war der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler in einer Shisha-Bar in Essen gemeinsam mit zehn weiteren Personen von der Polizei bei einer Corona-Party erwischt worden. Die Beamten lösten die unerlaubte Versammlung weit nach Mitternacht auf - Ladenschluss war bereits um 18 Uhr gewesen.

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Hans-Dieter Volkmann 01.04.20 23:19
Wir sind halt deutsch
UND ÜBERHAUPT HELFEN DIE JA NUR DEN ANDEREN. Das ist kurz gedacht und stimmt absolut nicht. Herr Norbert, stellen Sie sich vor, jeder trägt eine Maske. Dann hilft es auch ihnen. Denn jede Maske, auch die nicht 100prozentig dichten halten doch einen Teil der Virus behafteten Tröpfchen auf.
Bernd Wendland 01.04.20 23:17
Über den Schutz des zweiten Gesichts.
Das Drama um die richtige Versorgung aller Körperteile umfasst nicht nur den Bereich des ersten Gesichts. Ich rate daher allen Deutschen, einen Boykott der hiesigen REAL-Märkte zu erwägen. Real bietet im Internet aktuell das billigste Klosettpapier, 10 Rollen, dreilagig, für 13,59 € an, Aldi Nord für nur 2,95 €. Das ist keine Anpassung des Preises an die Nachfrage, sondern erfüllt den Tatbestand des Wuchers. Leider ist anzunehmen, dass die Real auch andere Produkte dieser Gestalt der Nachfrage anpassen wird. Im übrigen halte ich den Massenkauf von Klosettpapier für völligen Unsinn, denn wenn ein bellum intestinium, sprich ein Krieg der Eingeweide ausbricht, gibt es eine kräftige Entladung, und danach braucht man kaum noch Papier, da der Magen-Darm-Trakt leer ist. Dann lässt sich getrost der selige Heinz Erhardt zu zitieren: "Ele, mele, murz, der Teufel ließ einen Drachen steigen." Oder wollen sich die Corona-Opfer balsamieren, im Klopapier einwickeln und nach 1000 Jahren von Historikern als Mumien wieder ausbuddeln lassen?
Norbert 01.04.20 19:37
Wir sind halt deutsch
und wenn es keine Masken zu kaufen gibt, dann kann man doch nicht verlangen, das wir uns selber eine basteln und überhaupt helfen die ja nur den anderen usw.

Wird sich schon noch ändern - wenn die Kontaktsperren gelockert werden sollen, geht es je nicht anders,
Maske oder meinetwegen auch Schal etc. muss einfach sein, wenn man wieder in einer vollen S-Bahn sitzen will.
Hans-Dieter Volkmann 01.04.20 19:37
Klaus Kappler 01.04.20 16:34 Maskenpflicht
Herr Kappler, bitte nicht verallgemeinern. Viele in Deutschland tragen Gesichtsmasken, aber längst nicht alle.
Woran das liegt? Die Ernsthaftigkeit dieses Problems wurde politisch aber auch von den Medien nicht ausreichend gewürdigt und bekannt gemacht. Das ändert sich zur Zeit.