Die Welt im Umbruch

Die Welt im Umbruch

Wenn Carlos kurz vor Redaktionsschluss spätabends vor dem weißen Papier sitzt – er schreibt immer noch zuerst per Hand - dann fragt er sich manchmal: Wofür mache ich das eigentlich? Warum sitze ich nicht zusammen mit meinen Bekannten und Freunden bei einem guten Glas Wein und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein?

Die Antwort ist ganz einfach: Carlos ist nicht nur ein politisch interessierter, sondern auch ein engagierter Mensch. Er versucht, theoretisch und aktiv einzugreifen und dabei möglichst viele zu motivieren und mitzunehmen.

Er schämt sich beispielsweise für die deutsche Enthaltung im Weltsicherheitsrat, gegen den irren Diktator Gaddafi militärisch vorzugehen, der auf sein eigenes Volk schießen lässt, um an der Macht zu bleiben. Lange genug hat die Welt ihm Honig ums Maul geschmiert, um mit ihm Geschäfte zu machen, um an sein Öl zu kommen. Nun ist er über Nacht zum Schurken geworden, der er immer war, aber inzwischen hat er genug Geld eingesammelt, um arme afrikanische Söldner zu rekrutieren, die sein eigenes Volk exekutieren sollen, das gegen ihn rebelliert. Er verkündet einen Waffenstillstand nach dem anderen, bricht sie gleichzeitig und führt die Weltgemeinschaft so vor. Carlos hofft, dass er bald dort landet, wo er seit Jahren seine Gegner hinschickte, von denen man nie wieder etwas hörte.

Moral hat selten die Politik bestimmt. Immer geht es um Einfluss und um Macht. Das eine Land verfügt über Erdöl, das andere über Gas oder seltene Erden, die auf der ganzen Welt benötigt werden. Und gleichzeitig haben – auch in diesen Ländern - Millionen Menschen nichts zu essen, nichts zu trinken und keinerlei Rechte.

Konsequenzen aus diesen Aufständen?

Aber das Leben geht weiter. Wen interessiert das Unglück der Leidenden und Kranken denn schon, außer den NGO’s (Nicht Regierungs-Organisationen = internationale Hilfsorganisationen) in ihrem Sisyphus-Kampf?

Die Weltpolitiker schauen auf die Konsequenzen ihrer Handlungen, deren Ziel die Machterweiterung ist, zumindest aber die Erhaltung des Status quo. Was wäre denn, wenn Gaddafi weg ist? Kommen dann die Chaoten an die Macht? Und in Ägypten die Muslim-Brüder? Was ist mit Bahrain, Syrien, Jordanien? Am Ende noch Saudi-Arabien? Und dann? Europa ohne Öl? Politik versucht, mit Diplomatie einen Ausgleich zu schaffen. Aber das Leben zwischen den Völkern wird dadurch weder anständiger noch moralischer. Ob der Aufstand der Massen in Nordafrika oder in den arabischen Ländern das ändern wird, bleibt abzuwarten. Auch auf der Seite der Rebellen gibt es falsche Hunde, die sich lange genug am alten System genährt haben, um sich jetzt auf die vermeintlich siegreiche Seite zu schlagen, wo sie sich erneut die Taschen füllen wollen.

Und der Westen ist gespalten, weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Kann man Gaddafi beschießen und dann einfach aufhören und mit ihm über sein weiteres Verbleiben verhandeln?

Inzwischen wird die Frage immer lauter: Ist dieser Aufstand überhaupt eine Demokratie-Bewegung oder der Vormarsch der Islamisten, die bislang von Mubarak und Gaddafi in Schach gehalten wurden?

Keiner weiß, wie es weitergeht

Das Einzige, das klar ist: Die Welt befindet sich in einem Umbruch. Von Japan aus, wo sich endlich die Atomgegner organisieren, bis zu den Ländern Nordafrikas und Arabiens weiß doch inzwischen jeder, dass es so nicht weiter gehen kann. Viel zu lang schon haben demokratische Länder zugeschaut, wie Protestbewegungen und Menschenrechte ignoriert wurden.

Nun haben die Armen und Unterdrückten das Heft des Handelns selbst in die Hand genommen. Der demokratische Westen hat davor genau so viel Angst wie die diktatorisch regierten Länder. Man weiß ja nicht, was danach kommt. Deshalb fragen sich schon viele, ob man sich nicht doch lieber mit Diktatoren verbünden sollte, die garantieren, dass alles beim Alten bleibt.

Carlos meint: Das Wahlvolk hat inzwischen begriffen, welche machtpolitischen Spielchen über ihre Köpfe hinweg stattfinden. Viele bleiben deshalb den Wahlen fern, was dazu führt, dass die Demokratie sich langsam selbst ad absurdum führt. Und dabei ist die Diskussion neu entflammt, ob die Demokratie wirklich die beste aller denkbaren Regierungsformen ist. Auch auf den Kapitalismus hat diese Frage schon abgefärbt. Es scheint, als sei unsere Zeit an einer Wendemarke angelangt. Wie soll es weitergehen? Wollen wir Diktatoren akzeptieren, solange sie mit uns kooperieren? Wollen wir Atomkraft weiterhin ausbauen, obwohl wir ihre Risiken genau kennen? Wollen wir den Banken auch in Zukunft die Möglichkeit geben, ganze Länder ins Verderben zu stürzen?

Millionen Menschen auf der Welt leiden, hungern, sterben an Krankheiten, die mit einfachen Mitteln zu behandeln wären. Wo ist das Problem?

Carlos meint: zum einen liegt es sicher an den Weltenlenkern in Ost und West, die sich nicht entscheiden wollen oder können zwischen Macht und Moral, die sich von einem zum anderen Kompromiss hangeln und deshalb nicht geeignet sind, die Welt zum Besseren zu führen, zum anderen liegt es aber auch an jedem Einzelnen von uns, sich zu engagieren. Es genügt einfach nicht, im Fernsehen zu beobachten, wie die Rechtlosen im Kampf um ihre Freiheit sich erschießen lassen. Wir dürfen den Politikern das Handeln nicht mehr allein überlassen, denn sie können es nicht.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.