Die schwierige Reise der Kanzlerin nach Visegrád

Archivbild: epa/Christian Bruna
Archivbild: epa/Christian Bruna

BRATISLAVA (dpa) - Offiziell besucht Kanzlerin Merkel die vier Visegrád-Staaten wegen deren Verdienste um die deutsche Einheit vor 30 Jahren. Die slowakischen Gastgeber sind da klarer: Hauptthema sei der EU-Finanzrahmen für 2021 bis 2027. Wichtige Fragen im Jahr der Europawahl.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstagvormittag zu den Regierungschefs von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei nach Bratislava reist, warten einige Probleme auf sie. Die vier Visegrád-Staaten haben an der EU, an Deutschland und auch an Merkel einiges auszusetzen, wenn auch die Kritik aus Polen oder Ungarn heftiger herausschallt als aus Tschechien oder der Slowakei.

Was haben die vier Staaten an der EU und an Merkel auszusetzen?

POLEN: Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS pocht auf eine größere Souveränität der Nationalstaaten. So werfen die Nationalkonservativen Brüssel vor, sich ohne Befugnis in den grundlegenden Umbau der polnischen Justiz einzumischen. Aus Sorge um die Unabhängigkeit polnischer Gerichte startete die EU-Kommission mehrere Sanktionsverfahren. Dem Brüsseler Druck musste sich Polen teilweise beugen. Die Regierung ließ beispielsweise nach einem vorläufigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zwangspensionierte oberste Richter zurück in den Dienst.

Auch bei der EU-Flüchtlingspolitik lag Polen mit der Kommission lange im Clinch. Warschaus Nationalkonservative lehnen die Umverteilung von Migranten nach einer Quote strikt ab. Die Willkommenspolitik von Merkel war der PiS ein Dorn im Auge.

Nicht minder sauer sind die Polen über den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2. Neben den USA und der Ukraine will auch Polen das umstrittene Projekt stoppen. Warschau warnt vor einer Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Letztlich dürften aber hinter der Kritik auch wirtschaftliche Interessen stecken. Nach einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» (Donnerstag) könnte auch Frankreich dem Projekt seine Unterstützung entziehen. Eine Bestätigung gab es dafür jedoch zunächst weder in Paris noch in Brüssel.

Bei der Ausrichtung der umstrittenen Nahostkonferenz in der kommenden Woche handelt es sich nach polnischen Angaben für das Land um das «wichtigste diplomatische Ereignis seit dem Nato-Gipfel 2016». Warschau wolle dadurch eine Vermittlerrolle zwischen der EU und den USA einnehmen. Polens PiS-Regierung und viele Polen sehen die USA als einen engen Verbündeten und Sicherheitsgaranten in der Region. Außerdem wirbt Warschau seit einiger Zeit für sich als Standort für eine neue, permanente Militärbasis der Amerikaner, die nach einem Vorschlag Warschaus «Fort Trump» heißen könnte.

UNGARN: Auch der rechts-nationale Ministerpräsident Viktor Orban ist ein scharfer Kritiker der Flüchtlings- und Migrationspolitik Brüssels. Er will nun, zum Teil zusammen mit Populisten in anderen EU-Staaten, unter dem Motto «Europa der Vaterländer» ein engeres Zusammenwachsens der EU unbedingt verhindern. Letztlich will Orban möglichst viel nationalstaatliche Souveränität behalten oder zurückbekommen. Die massiven EU-Hilfen, die sein Land kassiert und von denen beträchtliche Teile in die Taschen seiner Oligarchen fließen, betrachtet er als «Entschädigung» dafür, dass Ungarn seine Märkte für anderen EU-Länder öffnet.

Die Beziehung zwischen Orban und Merkel ist extrem schwierig. Orban und seine Medien werfen der Kanzlerin vor, die Flüchtlinge 2015 «eingeladen» zu haben. Merkel sah sich wiederum von Orban übertölpelt, als dieser bis zum September 2015 nur wenige Flüchtlinge in den Westen weiterreisen ließ, um dann Tausende von ihnen ohne Vorankündigung in Autobusse setzen und an die österreichische Grenze karren zu lassen.

Interessanterweise steht es auch mit den Beziehungen zu den USA nicht zum besten. Dabei hatte Orban Donald Trump schon im Sommer 2016, vor dessen Wahl zum US-Präsidenten, als Wohltat für die Welt gerühmt. Doch da er einen Kuschelkurs zu Wladimir Putin und China fährt, stieß Orban auch im Weißen Haus von Trump zunehmend auf Ablehnung.

TSCHECHIEN: Die Tschechen verbindet eine Hassliebe mit der EU. Sie gelten Umfragen zufolge als größte Integrationsskeptiker in Mittelosteuropa, würden aber dennoch nicht mehrheitlich für einen Austritt stimmen. In Prag ist immer häufiger die Befürchtung zu hören, in der EU in die zweite Reihe abgedrängt zu werden. Das ungelöste Brexit-Problem betrifft im übrigen je nach Schätzung 40 000 bis 100 000 in Großbritannien lebende Tschechen.

Das persönliche Verhältnis zwischen Ministerpräsidenten Andrej Babis und Merkel gilt als schwierig. Der liberal-populistische Babis warf Merkel wiederholt vor, die Flüchtlinge «eingeladen» zu haben. Dennoch sind sich beide Seiten bewusst, wie wichtig die bilateralen Beziehungen sind. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner für Tschechien.

SLOWAKEI: Dass die Visegrád-Gruppe in europapolitischen Fragen nicht so homogen ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, demonstriert gerade der Gastgeber Slowakei immer wieder. Im einzigen Euro-Land der Gruppe schlagen die Herzen seit jeher pro-europäischer und die Sympathien für Deutschland sind weitaus ungetrübter als in den drei anderen Staaten.

Die Slowakei wolle um jeden Preis zum «Kern der Europäischen Union» gehören, auch wenn die drei anderen nicht mitmachen wollten, hatte schon der ehemalige Regierungschef Robert Fico gepredigt. Daran hält sich auch sein Nachfolger Peter Pellegrini, notfalls auf Kosten der V4-Freundschaft, wie Orban meint.

Die slowakische Regierung macht auch weniger laut Stimmung gegen Nord Stream 2, obwohl sie das deutsch-russische Projekt ebenfalls vehement ablehnt. Denn die Slowakei verdient als Transitland kräftig am Weitertransport aus ihrem Nachbarland Ukraine in andere europäische Länder mit.

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