Die Last an der Lust

Die Last an der Lust

Ob in Bars oder auf der Straße: In Pattaya finden "Sexaholics" genügend Gelegenheit, ihre Triebe zu befriedigen.

Carlos war kürzlich wieder einmal in Deutschland und hat dort einen Film gesehen, der ihn in Abgründe blicken ließ, die ebenso befremdlich wie abschreckend waren und ihn lange beschäftigten. Der neue Film von Steve McQueen hat weltweit Aufsehen erregt mit dem Thema des ständig geilen, ständig auf Triebabfuhr gerichteten Mannes.

"Shame" heißt dieser bewegende Film, und seinem Hauptdarsteller Michael Fassbender, der für diese Rolle im letzten Herbst in Venedig mit dem "Goldenen Löwen" ausgezeichnet wurde, gelingt es ebenso überzeugend, die Erbärmlichkeit dieses Typen zu zeigen wie seine abgrundtraurige Menschlichkeit. Sein Leben ist durch und durch von Sexualität geprägt, und dieses Thema führt uns dann auch ganz schnell in die Touristenzentren von Thailand.

Triebgesteuerte Gefangene ihrer Gier

Carlos vermutet nämlich – und diese Vermutung wird durch langjährige Beobachtung verstärkt – dass diese Obsession viele Sextouristen nach Thailand führt, wo sie jederzeit die Erfüllung ihrer Triebe finden – in jeder Ausprägung und in jedem Bereich. Diese triebgesteuerten Gefangenen ihrer Gier haben nur ein Ziel: Der nächste Orgasmus, und das möglichst ohne Unterbrechung. Unschwer zu erkennen, dass diese Sexautisten krank sind, Frauen sind nur Objekte ihrer Wahrnehmung, und zu einer festen Bindung sind sie unfähig. Vielleicht leiden sie sogar selbst an ihrer Dauer-Potenz. Sie sind Getriebene. Sex ist ihr Lebensinhalt. Gleichzeitig sind sie einsame, gefangene Menschen, die dringend der Hilfe qualifizierter Fachleute bedürfen.

Aber sie wandeln unbeirrt weiter auf den Spuren ihrer Geilheit, und hierzulande haben sie es ja auch nicht schwer, ihre Triebe auszuleben.

"Denn alle Lust will Ewigkeit", so ist es, aber davon wissen sie nichts, sie leben nur nach diesem Motto, nach den kurzen Erfolgen, bis ihre Sexualfantasien ihnen von neuem zusetzen.

Carlos glaubt, diese Menschen sind letztlich zutiefst unglücklich, da sie alles andere als selbstbestimmt leben.

Carlos hat seine Erfahrungen mit solchen Leuten gemacht. Bei einer Verabredung verabschiedeten sie sich ganz plötzlich, weil eine attraktive Frau vorbeigegangen war: "Sorry, Carlos, ich hatte ganz vergessen, dass ich noch eine wichtige Verabredung habe." Und das passierte nicht nur einmal oder zweimal. Carlos fragt sich schon lange, was in diesen Menschen vor sich geht. Er hat Personen, sogar Persönlichkeiten kennen gelernt, die für ihre erotischen Obsessionen ihre hochbezahlten Jobs aufgegeben, ihre Familien verlassen haben und nach Thailand kamen.

Einer davon war Alexander. Carlos, weil er gut zuhören kann, wurde sein Vertrauter und eingeweiht in dessen intimes Leben.

Abgründe taten sich auf. Alexander war ein hochrangiger Polizist in Hamburg gewesen, verheiratet, vier Kinder, aber ständig auf der Suche nach neuen Sexpartnerinnen. Thailand wurde sein Paradies. Und wenn nichts mehr ging, dann halfen die kleinen blauen Pillen, massenweise. Er lief seiner Sucht hinterher, bis er vor einem Jahr starb.

Carlos schaute in tiefe Abgründe

Von einem anderen weiß Carlos zu berichten. Er heißt Oliver, ist 54 Jahre alt, schwul und seit vier Jahren hier lebend. Natürlich hat auch er keine Probleme damit, Sexpartner für die schnelle Tour zu finden. Natürlich ist sein Sex unnatürlich, krankhaft. Er ist besessen davon und erfüllt sich diese Triebbefriedigung wo immer und wann immer es geht. Motto: Was muss, das muss! Scham? Wofür?

In den Augen von Carlos ist er eine arme Sau, aber er behauptet, dieses Leben zu genießen.

Und diese genannten Einzelbeispiele sind keine Ausnahmen. Vielleicht liegt es daran, dass diese Farangs in ihrer Heimat nicht das bekamen, was sie wollten oder brauchten, dass sich ein Stau gebildet hat, der zu dieser Obsession führte. Fachleute, Ärzte, Psychiater und Psychologen hingegen sehen in diesem Verhalten tiefer liegende Probleme, die nur schwer zu beheben sind.

Thailand hat nun mal den Ruf, dass hier jeder Topf seinen Deckel finden kann. Die einen suchen ehrliche Liebe, finden sie manchmal auch oder zumindest solange, bis sie finanziell erschöpft sind. Andere suchen einen Urlaubsflirt, eine Abwechselung aus ihrem Alltag. Und wieder andere, sicher in der Minderzahl, die suchen Sex und Sex und Sex, der sie in die totale Einsamkeit führt. Und irgendwann wird die Last an der Lust unerträglich.

Der Film "Shame" zeigt das auf beklemmende Art. Es ist kein voyeuristischer Film, obwohl der Regisseur nicht zimperlich ist, aber diese Bilder wirken auf den Zuschauer eher abschreckend, lusttötend., die Studie einer Sucht, die unerfüllt bleibt, unerfüllt bleiben muss.

Der arme Held in diesem Erotik-Drama bleibt trotz allem für den Zuschauer menschlich, begreiflich, wenn auch nicht gerade sympathisch – aber eine moralische Verurteilung verbietet sich. Ob der Selbstmord seiner Schwester, am Ende des Films, ihn zurückholen kann in die Welt der Realität und Normalität bleibt fraglich. Immerhin regt der Film dazu an, über eigene Träume und Gelüste nachzudenken.

Carlos könnte sich sogar vorstellen, dass dieser eiskalte Film Heilsamkeit entwickelt, den einen oder anderen vielleicht wieder an den heimischen Herd treibt zu Mutti, denn ihre Suppe schmeckt doch immer noch am besten – bis auf weiteres…

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