Warten auf eine Übergangsregierung für Libyen

​«Die Lage ist düster»

Der Kommandeur der libyschen Nationalarmee Khalifa Haftar besucht Athen. Foto: epa/Yannis Kolesidis
Der Kommandeur der libyschen Nationalarmee Khalifa Haftar besucht Athen. Foto: epa/Yannis Kolesidis

TRIPOLIS/GENF: Es scheint wie ein Licht am Ende des Tunnels, wenn diese Woche eine Übergangsregierung für Libyen gewählt wird. Beendet wird der lange Machtkampf damit wohl kaum. Im Windschatten der UN rüsten Eliten und ausländische Mächte schon für die nächste Phase der Eskalation.

Über Libyens Wüstenlandschaft liegt dieser Tage eine trügerische Ruhe. Unentwegt hatten die Gefechte vor den Toren von Tripolis getobt, rund 3000 Menschen wurden dabei getötet und Hunderttausende vertrieben. Seit Juni halten die Kämpfer nun still, im Oktober trat eine Waffenruhe in Kraft. Einige Experten sehen darin die beste Chance auf Frieden seit fünf Jahren. Fast will man meinen, die Libyer hätten den Anfang vom Ende ihres Bürgerkriegs erreicht. Bis kommenden Freitag soll eine Übergangsregierung gewählt werden.

Aber im Land brodelt es. In beiden Lagern des Konflikts - General Chalifa Haftar im Osten und Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch im Westen - spielen sich interne Machtkämpfe ab, befeuert und verschärft durch die Interessen anderer Staaten, vor allem Russlands und der Türkei. Im Windschatten der UN-Vermittlungen scheinen Libyens politische Eliten, verbündete Milizen und ausländische Mächte sich auf eine mögliche nächste heiße Phase des Krieges vorzubereiten.

«Die Lage ist düster», twittert Fadil al-Amin, Direktor des libyschen Wirtschaftsrats. «Corona verbreitet sich wie Feuer und die Systeme für Gesundheit und Bildung kollabieren täglich.» Die Mächtigen würden jede Hoffnung auf Erfolg im UN-Prozess untergraben. Gemeint ist damit das UN-Dialogforum aus 75 Teilnehmern, das an einem geheimen Ort in der Schweiz bis Freitag eine Übergangsregierung wählen soll. Diese «vereinte Exekutivbehörde» aus einem dreiköpfigen Präsidialrat und einem Ministerpräsidenten soll den Weg zu Wahlen im Dezember ebnen.

Was wie das Licht am Ende eines dunklen diplomatischen Tunnels wirkt, könnte sich als erneute Irrfahrt entpuppen. Experte Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations fühlt sich dabei an 2015 erinnert: Damals entstand nach UN-Vermittlungen im marokkanischen Skhirat ein Abkommen, das die Machtverhältnisse in Libyen ordnen und eine Lösung der Kämpfe herbeiführen sollten. Die wichtigste Frage - die Einheit des gespaltenen Landes - sei dabei aber unbeantwortet geblieben, schreibt Megerisi. «Stattdessen wurde versucht, neue Institutionen zu schaffen, damit alle ein Stück vom Kuchen behalten.»

Dieser Ablauf könnte sich in der Schweiz jetzt wiederholen. Auf der Liste aus 45 möglichen Kandidaten (darunter drei Frauen) stehen die Namen derjenigen, die in Tripolis, Tobruk und Misrata um Einfluss schachern. Innenminister Fathi Baschagha etwa, dem wegen der Niederschlagung von Protesten in Libyen Ermittlungen gedroht hatten. «Zur Vorladung erschien er mit einem Konvoi aus etwa 500 Fahrzeugen», sagt Farag Dardur, Analyst und Professor der Universität Tripolis, der Deutschen Presse-Agentur. Mit «unverhohlenem Trotz» habe er gezeigt, dass er im Fall einer Entlassung gewaltsam antworten würde.

Al-Sarradsch, der bei der Abstimmung in der Schweiz nicht kandidiert und damit bei den Wahlen am 24. Dezember nicht antreten dürfte, klammert seitdem noch fester an der Macht. Während Innenminister Baschagha sich bei Besuchen in Paris und Kairo schon selbst vermarktete, hat Al-Sarradsch eine neue, mächtige Sicherheitsbehörde geschaffen. Die Führung hat er vier Milizenführern übertragen, die nicht mit Baschagha verbündet sind - aus Sorge vor der «mangelnden Disziplin» seines Ministers, wie Dardur sagt. Al-Sarradsch trage selbst zur Instabilität im Land bei, «weil er die Macht nicht abgeben will».

General Haftar, der zeitweise die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Russland und Frankreich hinter sich wusste, ist nach seinem gescheiterten Angriff auf Tripolis in Verruf geraten. Zwar kann er weiter auf den Rückhalt wichtiger Ex-Militärs, gut ausgerüsteter, von seinen Söhnen angeführten Brigaden sowie Milizen zählen, so Experte Megerisi. Sein politisches Kapital hat aber Parlamentspräsident Agila Saleh aus Tobruk übernommen, der jetzt für den Präsidialrat zur Wahl steht und der gegenüber Tripolis versöhnlichere Töne anschlägt.

Wie die vier Übergangs-Ämter bis Freitag auch verteilt werden: Die rivalisierenden Gruppen Libyens bleiben tief gespalten in der Frage, wer künftig das Land regieren soll. Bis auf den Wahltermin am 24. Dezember stehen kaum Details fest. Die Zentralbank bleibt zweigeteilt und der Streit über die Einnahmen aus dem Ölgeschäft - die fast einzige staatliche Einnahmequelle - schwelt weiter. Ein Analyst aus Libyen sagt im Fall eines Kollaps der UN-Verhandlungen einen «nebligen Zustand aus Chaos und politischen Kämpfen» voraus.

Rund 20.000 ausländische Truppen und Söldner befinden sich laut UN in Libyen, niemand glaubt mehr an den eigentlich vereinbarten Abzug. Das Schweigen der Waffen haben Russland und die Emirate wie auch die Türkei genutzt, um ihre Positionen zu festigen. CNN veröffentlichte etwa Satellitenfotos und Bilder von Gräben, die Söldner der privaten russischen Gruppe «Wagner» bei Sirte ausheben. Damit könnte der Konflikt für die EU noch bedrohlicher werden. Experte Megerisi: «Es besteht eine sehr reale Chance, dass Russland Libyen als Plattform nutzt, um die europäische Sicherheit direkt zu untergraben.»

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