Die Lage der Nation

Trump und die neuen Machtverhältnisse in den USA

Foto: epa/Doug Mills
Foto: epa/Doug Mills

WASHINGTON (dpa) - Der US-Präsident in seiner «State of the Union»-Rede ruft zur Einheit und zur Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg auf. Wie lange dieser Appell hält, ist offen - womöglich nur bis zum nächsten spaltenden Tweet. Der Spott der Demokraten ist Trump gewiss.

Als der Protokollchef des Abgeordnetenhauses Donald Trump ankündigt, wird schon aus den ersten zwei Worten deutlich, dass eine neue Zeit angebrochen ist. «Madame Speaker, der Präsident der Vereinigten Staaten!», ruft Protokollchef Paul Irving in den Saal. Madame Speaker, das ist Nancy Pelosi, seit Januar Vorsitzende des Abgeordnetenhauses. Die Demokratin hat das Zeug, zu Trumps Angstgegnerin zu werden. Gerade erst hat die 78-jährige ihm eine krachende Niederlage beschert, doch am Dienstagabend lässt sich Trump das nicht anmerken. Es ist seine Ansprache zur Lage der Nation - und er bringt die viel beachtete Rede ohne Eklat über die Bühne.

Das ist nicht selbstverständlich für Trump, dessen Gebaren häufig die althergebrachten Grenzen des politischen Anstands überschreitet. Hilfreich ist an diesem Abend, dass Trump vor beiden Kammern des Kongresses nicht wie üblich frei Schnauze spricht, was ein gewisses Pannenrisiko birgt, sondern vom Teleprompter abliest. Trump schüttelt Pelosi - die vom Zuschauer aus gesehen rechts hinter ihm sitzt - vor seiner Rede die Hand. Zu ihrem Vorsitz gratuliert er ihr nicht. Pelosi wirkt bei der Ansprache gelegentlich wie versteinert - zum Beispiel in dem Moment, als Trump mal wieder für seine Mauer zum Schutz vor illegaler Migration an der Grenze zu Mexiko wirbt.

«Mauern funktionieren, und Mauern retten Leben», sagt Trump. An einer anderen Stelle ruft er trotzig: «Ich werde sie gebaut bekommen.» Nicht, wenn es nach Pelosi und den oppositionellen Demokraten geht - und Trump braucht ihre Stimmen für die Finanzierung. Gerade erst ist der «Shutdown» zu Ende gegangen, mit dem Stillstand von Teilen der Regierung wollte Trump die Demokraten zum Einlenken zwingen. Nach dem fünfwöchigem «Shutdown» - dem längsten der US-Geschichte - bekam Trump rein gar nichts von den Demokraten. Dafür sanken seine ohnehin schlechten Zustimmungswerte in der Zeit noch weiter.

Eigentlich wollte Trump bereits in der vergangenen Woche im Abgeordnetenhaus sprechen, doch Pelosi untersagte ihm das wegen des «Shutdowns» - Trump musste klein beigeben. Nun ruft Trump in seiner Ansprache zur Einheit und zur Überparteilichkeit auf, doch die Halbwertzeit dieser Appelle dürfte begrenzt sein - womöglich nur bis zum nächsten Tweet. Als einender Präsident, das ist schon zur Hälfte seiner ersten Amtszeit gewiss, wird Trump nicht in die Geschichte eingehen. Und so ergießt sich der Spott der Demokraten bereits über Trump, bevor er überhaupt am Rednerpult im Abgeordnetenhaus steht.

«Es scheint, als würde der Präsident am Morgen der State of the Union aufwachen und seinen Wunsch nach Einheit entdecken», spottet der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, kurz vor der Ansprache. «Dann verbringt er die anderen 364 Tage des Jahres damit, uns zu entzweien.» Trumps Appelle zur Einheit seien «noch leerer als seine Politikversprechen», in Trumps Regierung herrsche Chaos.

Wenn man als Messlatte für Chaos die Geschwindigkeit des Personalkarussells in Trumps Regierung nimmt, dann hätte Schumer wohl einen Punkt. Neun Kabinettsmitglieder, die dem Präsidenten im vergangenen Jahr bei dessen Ansprache zur Lage der Nation lauschten, sind inzwischen gefeuert worden oder haben freiwillig den Hut genommen - und Trumps Kabinett hat nur 16 Mitglieder.

Trump hat sich mit Schumer kurz vor der Ansprache noch auf Twitter gefetzt. Doch am Dienstagabend ficht ihn die ganze Kritik nicht an. Trump wirkt gelöst, sichtlich genießt er den immer wieder aufbrandenden Beifall, auch wenn der häufig nur von Seiten seiner Republikaner kommt. Selbstkritik ist ganz sicher nicht Trumps Stärke, Selbstironie gelingt ihm aber gelegentlich.

Einer von Trumps Ehrengästen bei der Ansprache ist Judah Samet, er hat den Holocaust überlebt und ist dem Attentat auf eine Synagoge in Pittsburgh im vergangenen Oktober nur knapp entgangen. An seinem achten Geburtstag war Samet im Konzentrationslager Bergen Belsen. «Heute ist Judahs 81. Geburtstag», sagt Trump, und die Abgeordneten und die anderen Zuhörer stimmen spontan «Happy Birthday» für den Ehrengast an. Trump lacht, versucht sich kurz als Dirigent und sagt dann: «Das würden sie für mich nicht tun, Judah.»

Pelosi und viele weibliche Abgeordnete der Demokraten sind zu der Ansprache ganz in weiß gekleidet erschienen - in Anlehnung an die Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, als Frauen für ihr Wahlrecht demonstrierten. Als Trump sich wie so oft selber für die wirtschaftlichen Erfolge lobt, betont er, dass Frauen 58 Prozent der neu geschaffenen Jobs im vergangenen Jahr besetzt hätten. Auf das Abgeordnetenhaus dürfte er kaum angespielt haben: Für die Demokraten - die die Kammer seit Januar kontrollieren - sitzen dort nun 89 Frauen, für die Republikaner nur 13. Der weiße Block unter den Zuhörerinnen springt auf und jubelt. Trump nimmt auch das mit Humor.

Zwischenzeitlich ist Trump dann aber doch wieder der alte, der nicht so präsidiale Präsident: Kritik an den Untersuchungen zur Russland-Affäre - bei denen es um mögliche Geheimabsprachen des Trump-Lagers mit Vertretern Russlands im Wahlkampf 2016 geht - kann er sich nicht verkneifen. «In den Vereinigten Staaten findet ein Wirtschaftswunder statt - und das Einzige, was es aufhalten kann, sind dumme Kriege, Politik oder lächerliche, parteiliche Ermittlungen», sagt Trump. «Wenn es Frieden und Gesetze geben soll, kann es keinen Krieg und keine Ermittlungen geben.»

Wie die Ermittlungen, die ihn zur Weißglut bringen, mit Krieg zusammenhängen, bleibt Trumps Geheimnis. Sich selber feiert Trump im außenpolitischen Teil seiner Rede - der wenig Überraschendes bietet - dafür als Friedensstifter. «Wäre ich nicht zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden, wären wir jetzt meiner Meinung nach in einem großen Krieg mit Nordkorea», sagt er. Machthaber Kim Jong Un will Trump in drei Wochen in Vietnam zu einem erneuten Gipfel treffen, Trump spricht von einem «historischen Vorstoß für Frieden».

Dass seine eigenen Geheimdienste Trumps Einschätzung nicht nur zu Nordkorea, sondern auch zu seinem Erzfeind Iran in Frage stellen - geschenkt. «Wenn meine Geheimdienstleute sagen, dass der Iran in Wirklichkeit ein wunderbarer Kindergarten ist, dann stimme ich mit ihnen zu 100 Prozent nicht überein», sagte Trump erst am Wochenende dem Sender CBS. Ohnehin verlässt er sich gerne aufs Bauchgefühl. Der «Washington Post» sagte er im November: «Mein Bauch sagt mir manchmal mehr, als das Gehirn von jedem anderen mir jemals sagen kann.»

Aussagen dieser Güte bleiben am Dienstagabend aus, obwohl Trump satte 82 Minuten spricht. Es ist eine ungewöhnlich lange Ansprache zur «State of the Union», was nicht nur am gut zwanzigseitigen Manuskript liegt, sondern auch an dem immer wieder aufbrandenden Applaus, der von «USA, USA, USA»-Sprechchören gespickt wird. «Das klingt so gut», sagt Trump zu dem lautstark vorgetragenen Patriotismus.

Gegen Ende seiner Rede erinnert der selbsterklärte Nationalist seine Zuhörer dann noch an seinen alten Leitspruch: «Wir müssen «America first» in unseren Herzen behalten.» Europa übrigens erwähnt Trump in seiner Ansprache nur ein einziges Mal: Als er von der Befreiung von den Nazis durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg spricht.

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