Die Crux mit Corona: Menschen können sich mehrmals infizieren

Foto: Pixabay
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GENF: Anders als etwa bei Masern ist man nach einer Coronavirus-Infektion offenbar nicht völlig immun. Neue Ansteckungen sind möglich. Wie schlimm ist das? Maskentragen und Abstandhalten auf ewig?

Es war lange nur ein vager Verdacht, nun hat er sich erhärtet: Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, können sich ein zweites Mal anstecken. Die Universität von Hongkong hat so einen Fall dokumentiert, Behörden in den Niederlanden und in Belgien melden ähnliche Fälle.

Um was für Patienten geht es?

In Hongkong ist es ein 33-jähriger IT-Spezialist, der im April an Covid-19 erkrankt und genesen war. Bei ihm fiel ein neuer Coronatest nach der Rückkehr aus Spanien im August positiv aus. In den Niederlanden ging es um einen älteren Patienten mit einem schwachen Immunsystem. In Belgien erkrankte eine nicht näher beschriebene Patientin nach drei Monaten erneut.

Könnte es sich auch um ein Aufflammen des Virus aus der ersten Infektion handeln?

Nach den Analysen der Ärzte nicht. In allen Fällen hatten sie die Gensequenz der Viren aus der ersten und zweiten Ansteckung verglichen und festgestellt: Es handelte sich zwar erneut um das Virus Sars-CoV-2, aber um einen etwas anderen Typ mit einer Anzahl genetischer Veränderungen.

Könnte sich also jeder Genesene neu infizieren?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass es sich nach bisherigen Erkenntnissen um Einzelfälle unter 23 Millionen weltweit bekannten Fällen handelt. «Es scheint kein gängiges Vorkommnis zu sein, sonst hätten wir mehr Fälle gesehen», sagt WHO-Sprecherin Margaret Harris. Allerdings wurde der Hongkonger Patient auch nur entdeckt, weil er im August wegen einer Reise routinemäßig getestet wurde. Er hatte keinerlei Symptome. Denkbar ist, dass auch andere Patienten sich neu infizierten, dies aber gar nicht merken.

Bringt eine Infektion also keinen Schutz vor einer Neuansteckung?

«Wir haben gesehen, dass Infizierte eine Immunantwort entwickeln, aber es ist noch nicht klar, wie lange diese Immunantwort dauert», sagt Maria van Kerkhove, Covid-19-Expertin der WHO. Es seien Studien im Gange, die prüfen, wie hoch die Immunität nach einer schweren oder milden Infektion oder nach einer ohne jegliche Symptome sei. Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für Viruserkrankungen an der Universität Genf, verweist darauf, dass bislang unklar ist, ob die Patienten sich nur neu infizierten, weil ihr Immunsystem angeschlagen war, etwa aus genetischen Gründen oder wegen der Einnahme von Medikamenten.

Sind solche Neuinfektionen überraschend?

Nein, sagt Eckerle. «Wir wissen es von anderen respiratorischen Viren wie Erkältungsviren, dass sie unser Immunsystem immer wieder überlisten und wir uns immer wieder infizieren können.» So sieht es auch der Leiter der medizinischen Virologie der Universität Gießen, John Ziebuhr: «Es ist bekannt, dass die Immunität im Nasen/Rachenbereich nicht besonders langlebig ist», sagt er. Das Robert Koch-Institut wollte sich auf Anfrage nicht zu den Fällen äußern.

Sind Virologen nun beunruhigt?

Eckerle und Ziebuhr zumindest nicht. «Die gute Nachricht ist: Der Hongkonger Patient hatte bei der zweiten Infektion keine Symptome, das deutet darauf hin, dass sein Immunsystem den Erreger erkannt und schnell reagiert hat», sagt Eckerle. Und Ziebuhr: «Beunruhigend wäre es, wenn der Patient beim zweiten Mal sehr schwer erkrankt wäre und Intensivpflege gebraucht hätte.» Das hätte bedeutet, dass die Immunreaktion auf eine erste Infektion die Gefahr für den Patienten bei einer zweiten Infektion erhöht, wie etwa bei Dengue-Fieber.

Wie bedrohlich ist es, dass die Viren der ersten und zweiten Infektion genetisch unterschiedlich waren?

Das zeige lediglich die bekannten regionalen Variationen des Virus, sagt Eckerle, aber keine tiefgreifenden Mutationen. «Glücklicherweise sind Coronaviren eher stabil. Im Moment gibt es keinen Hinweis, dass kleine Veränderungen funktionell einen Unterschied machen, so dass das Immunsystem das Virus nicht mehr erkennt.» Vergleichbar sei dies mit einem Dialekt: «Ob ich etwas auf pfälzisch oder bairisch sage, ändert nichts an der Aussage.»

Wie wichtig sind die neuen Fälle für die Forschung?

Nach Angaben von Ziebuhr belegen sie, dass die Immunantwort nicht langlebig ist. «Man darf sich nicht der Hoffnung hingeben, dass das Problem gelöst ist, wenn alle einmal durchgeimpft sind», sagt er. Man müsse sich darauf einstellen, dass das Virus dauerhaft zirkuliere. Unklar sei noch, inwieweit zum zweiten Mal infizierte Patienten selbst ansteckend waren, sagt Eckerle. Man könne nicht einfach davon ausgehen, das die einmal Infizierten das Infektionsgeschehen nicht mehr beeinflussen.

Was bedeutet das für die Impfstoffforschung?

Man brauche einen Impfstoff, der eine bessere Immunantwort erzeugt als eine natürliche Infektion, sagt Eckerle. Allerdings sei es sehr wahrscheinlich, dass die Menschen mehrmals geimpft werden müssen, um die nötige Immunität aufzubauen. «Man hofft darauf, dass der Schutz mit jeder Impfstoffgabe besser wird», sagt Eckerle.

Wenn das Virus weiter zirkuliert, muss die Menschheit nun dauerhaft mit Masken, Hygienemitteln und Abstand leben?

«Die Hoffnung ist, dass die Menschheit durch Impfungen einen gewissen Grad an Immunität erreicht», sagt Ziebuhr. Diese Immunität werde den Krankheitsverlauf bei einer Infektion deutlich mildern. «Man wird sich mehrmals infizieren können, aber das wird nicht zu schweren Krankheiten führen.» Das sei ähnlich wie bei Grippeviren. Geimpfte erlebten in aller Regel bei einer Infektion einen milderen Verlauf.

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