Die Briten gehen, ihre Sprache bleibt

Kleine Flaggen des vereinigten Königreichs stehen auf den Tischen von Abgeordneten der Brexit-Partei im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Foto: Philipp von Ditfurth/Dpa
Kleine Flaggen des vereinigten Königreichs stehen auf den Tischen von Abgeordneten der Brexit-Partei im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Foto: Philipp von Ditfurth/Dpa

BRÜSSEL (dpa) - Deutsch ist in Europa die verbreitetste Muttersprache, vor Französisch. Englisch werden nach dem Brexit nur noch gut 5 Millionen der dann 447 Millionen EU-Bürger von Hause aus sprechen. Man könnte glauben, das wirke sich auch auf die Sprachwahl der EU-Beamten aus.

Wenn die Briten der Europäischen Union Ende Januar den Rücken kehren, lassen sie in Brüssel etwas zurück: ihre Sprache. «Nach der Brexit-Entscheidung haben manche insgeheim gehofft, dass nun das Deutsche und das Französische an Bedeutung gewinnen», sagt ein Dolmetscherin in der EU-Hauptstadt. «Aber da wird wohl nichts draus.» Zu übermächtig ist das Englische dort seit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 1973 geworden.

Zwar hat die EU 24 Amtssprachen - jeder Bürger kann sich in seiner Sprache an die Brüsseler Behörden wenden und bekommt Antwort in seiner Sprache. Zwar sorgen Dolmetscher im Europaparlament dafür, dass alle Abgeordneten den Debatten in ihrer Muttersprache folgen können. Zwar sind Deutsch und Französisch dem Englischen als Arbeitssprachen in der mächtigen EU-Kommission gleichgestellt - theoretisch zumindest. Doch in der Praxis dominiert Englisch.

Die EU-Broschüre «Translation in figures 2019» - nur verfügbar auf Englisch - belegt die Vorherrschaft mit Zahlen. «Wir übersetzen alle offiziellen EU-Sprachen», erklärt der Übersetzungsdienst der Kommission darin - und zwar 1 937 002 Seiten aus dem Englischen, 74 725 Seiten aus dem Französischen und 38 535 Seiten aus dem Deutschen. Es folgen Spanisch, Polnisch und Griechisch. Schlusslichter sind Maltesisch mit 237 und Irisch mit 0 (null) Seiten.

Auf Malta und in Irland wird auch Englisch gesprochen - dort leben zusammen knapp 5,3 Millionen der nach dem Brexit noch 447 Millionen EU-Bürger. Beide EU-Länder setzten einst durch, dass genauso das Maltesische und das Irische offizielle Amtssprachen in der EU wurden. In der Praxis benutzen sie meist das Englische. «Ich denke nicht, dass es irgendeine Änderung geben wird», sagt ein Brüsseler Diplomat, der nicht genannt werden will.

Das sieht der Historiker Kiran Patel ähnlich: «Großbritannien und Irland traten gleichzeitig am 1.1.1973 bei, und allein schon aus dem Grund, dass Irlands Mitgliedschaft durch den Brexit unberührt ist, wird sich an Englisch als Amtssprache nichts ändern», erklärt der Professor, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Europäische Geschichte lehrt. «De facto mag es zu kleineren Verschiebungen kommen, aber das würde ich kaum erwarten.»

Das bedeutet: In 99 Prozent aller Sitzungen bei Kommission, Rat, EU-Ausschüssen und EU-Agenturen mit Dolmetschereinsatz würde weiterhin ins Englische übersetzt, in 75 Prozent ins Französische und in 60 Prozent ins Deutsche. Ins Slowakische, das nach dem Brexit etwa ebensoviele Muttersprachler in der EU zählt wie das Englische, wurde 2018 in lediglich 12 Prozent dieser Sitzungen simultan gedolmetscht.

«Der Brexit wird keinerlei Einfluss auf das rechtliche Regelwerk und die bewährten institutionellen Praktiken der Kommission haben», stellt die Brüsseler Behörde entsprechend fest. Für viele Nord- und Osteuropäer scheint das Englische im täglichen Gebrauch einfacher zu sein als Deutsch oder Französisch. Und wenn Lobby-Gruppen in Brüssel neue Mitarbeiter suchen, ist fast immer ein exzellentes oder muttersprachliches Englisch gefordert.

Ein Wandel allerdings könnte sich mittel- bis langfristig bemerkbar machen: Wenn es beim Brexit und der Übergangsfrist bis Ende 2020 bleibt, wird Großbritannien laut EU-Kommission nur noch bis August 2021 Lehrkräfte für die vier Europäischen Schulen in Brüssel abstellen. Wenn künftig weniger britische Beamte ihre Kinder in die englischsprachigen Klassen schicken, schrumpft dort die Zahl der Schüler. Irgendwann fehlt dann einfach der Nachwuchs.

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