Die 68er

Die 68er

Vor 50 Jahren begann der Kampf gegen den Muff unter den Talaren. Viele Gruppen aus den verschiedensten Bereichen machten sich auf zu Demonstrationen, und einer ihrer Ziehväter war – meiner Ansicht nach – der spätere Kanzler Willi Brandt mit seiner Sicht auf den Osten unseres Landes, auch wenn viele Menschen das bis heute anders sehen.

Ich war auch dabei, oft in der ersten Reihe. Es ging gegen den Vietnamkrieg der USA, gegen die geplanten Notstandsgesetze, gegen die Ermordung von Benno Ohnesorg während der Demo gegen den Schah-Besuch oder das Attentat auf Rudi Dutschke. Und nicht zuletzt ging es gegen das Spießertum mit dem wir erzogen worden sind. Wer heute behauptet, all diese Demonstrationen hätten nichts gebracht, der verkennt die Veränderungen, die damals eingeleitet wurden. In einer kürzlich von der ARD ausgestrahlten Diskussionsrunde sagte ein zufällig gefragter Mann auf der Straße: „Hören Sie mir nur auf mit den 68ern. Das waren alles Gammler, die hätte man zum Friseur schi­cken sollen. Besser noch, gleich an die Wand stellen.“

Ich frage mich, wie solche Typen heute wohl auf die Asylanten blicken. Genauso? Ich befürchte es. Zugegeben, es ist nicht zu bestreiten, dass viele der damals angeblichen Reformer sich heute selbst große Orden anhängen lassen, die, sobald es möglich war, den Gang durch die Institutionen angetreten haben. Beispielsweise Joschka Fischer, heute ein wohlproportionierter Kapitalist. Für viele seiner damaligen Mitkämpfer, die alle überzeugte Idealisten waren, wurde er zum Verräter.

Ich bin stolz darauf, damals auf der richtigen Seite gestanden zu haben. Wenn ich an all die Veränderungen denke, die damals von uns angestoßen wurden, dann verstehe ich die Menschen nicht, die in diese alte, bürgerlich vermiefte Vergangenheit zurück wollen. So wenig ich das Weltbild der AfD- oder NPD-Anhänger verstehe, kann ich mir den konservativen Rückwärtsgang der CSU erklären. Natürlich weiß ich, dass diese Politik reiner Populismus ist, mit dem Ziel, Wähler anzulocken.

Als im Jahr 1937 Geborener habe ich nicht nur den 2. Weltkrieg bewusst miterlebt, sondern auch nach dem Krieg Nazi-Lehrer, die im Unterricht behaupteten, angewachsene Ohrläppchen seien typisch für Lügner, Betrüger und Verbrecher. Niemand stand damals dafür auf, um dieser irrsinnigen Rassentypisierung der Nazis entgegenzutreten. Als betroffenes Kind musste ich damit leben. Übrigens wurde dieser Lehrer, der im Religionsunterricht gerne von der Kameradschaft im Krieg schwärmte, später Gründer der NPD auf der Insel Fehmarn.

Ich hingegen kam 1966 zum ZDF. Klar, ich war damals – so wie heute noch – überzeugter Sozialdemokrat, konnte dort trotzdem Karriere machen und gründete nebenbei und ehrenamtlich ein politisches Kabarett, das ich „Die Poli(t)zisten“ nannte (die Klammer im Namen war vom „Kom(m)ödchen entlehnt). Wir zogen junge Leute von der APO an, bezogen immer eine klare Haltung und unsere Einrichtung wurde in bürgerlichen Kreisen als „Kommunisten-Keller“ bezeichnet. Bis dann Künstler wie Jürgen von Manger, Hanns Dieter Hüsch oder Herbert Bonewitz, die bei uns gastierten, unser Image veränderten, so dass sich auch die braven Bürger zu uns trauten. Man darf nicht vergessen, dass damals noch viele Alt-Nazis in der Regierung Verantwortung trugen, deren Gene immer noch vom alten 1.000-jährigen Reich geprägt waren.

Inzwischen hat der Kompass sich gedreht. Heute sind es die Rechten, die wieder versuchen –teilweise sogar recht erfolgreich – die Entwicklung in eine vergangene Zeit zurückzudrehen. Es gibt viele Gründe dagegen anzugehen. Hass und Intoleranz bringen uns nicht weiter, ebenso wie die gegenseitigen Bedrohungen von Trump und Kim Jong-un oder die Abschaffung der Pressefreiheit durch Erdogan in der Türkei. Eine Liste dieser Beispiele ließe sich beliebig verlängern.

Vielleicht müssen die Alt-68er noch mal ran, um die Verantwortlichen daran zu erinnern, was ihre Aufgabe ist. Wir haben ein Zukunftsbild von einer kriegsfreien und toleranten Zukunft vor Augen. Wir wollen keine Spalter wie Erdogan, Urban, Putin oder Trump. Wo sind die Helden der Zukunft, die unser Weltbild realisieren? Die sich dafür einsetzen, dass Länder kritisch miteinander umgehen, aber trotzdem human bleiben, hilfsbereit und tolerant. Es gibt diese besonderen Menschen, aber die zögern, sich in den Streit einzumischen zwischen Politiker und Parteigenossen, die in Deutschland kürzlich den zuvor hochgelobten Kanzlerkandidaten Martin Schulz verzwergt haben.

Tatsache ist, dass heute viele in die Politik drängen, deren Hauptanliegen offensichtlich die Karriere ist. Wofür? Egal, solange es gut honoriert wird. Damit werden wir nie wieder in die Situation kommen, die uns damals angestachelt hat, als wir noch Illusionen und Visionen von einer gerechten Welt hatten. Nein, es gibt sie nicht. Wahrscheinlich wird es sie auch nie geben. Aber ohne ein Gegengewicht wird es noch schlimmer als es jetzt schon ist. Deshalb plädiere ich dafür: Auch wenn wir als Einzelne den Lauf der Geschichte nicht ändern können, müssen wir nach Mitstreitern Ausschau halten, uns verbünden und der scheinbar unaufhaltsamen, fehlgeleiteten Richtung ein Bein stellen. Sich für eine bessere Welt zu engagieren lohnt sich immer. Nicht nur für Träumer und Illusionisten. Jeder wird davon profitieren. Deshalb sind auch Sie gefordert.

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Jürgen Franke 12.09.18 11:16
Es ist davon auszugehen, Herr Krüger,
dass Sie auch zu denen gehörten, die 1999 für den ersten deutschen Kriegseinsatz gestimmt haben. Das man dafür ein UN Mandat benötigen würde, hat offensichtlich keinen interessiert. Schon damals wurde das Volk über die Gründe des Einsatzes, um die Nato nach Osten zu erweitern, belogen.