Schotten sind frustriert über London

Teilnehmer einer Demonstration versammeln sich mit Fahnen zu einer Kundgebung. In Glasgow haben Tausende Schotten für eine Unabhängigkeit von Großbritannien demonstriert. Foto: Andrew Milligan/dpa
Teilnehmer einer Demonstration versammeln sich mit Fahnen zu einer Kundgebung. In Glasgow haben Tausende Schotten für eine Unabhängigkeit von Großbritannien demonstriert. Foto: Andrew Milligan/dpa

STIRLING: An der andauernden Zustimmung für eine schottische Unabhängigkeit von Großbritannien trägt nach Ansicht eines deutschen Experten in Schottland die britische Regierung die Schuld. «Es gibt eine große Frustration mit der Politik aus London, weil sie die schottischen Interessen ignoriert», sagte Holger Nehring von der Universität Stirling der Deutschen Presse-Agentur. Als Beispiel nannte er den Brexit, den London gegen den Wunsch einer deutlichen Mehrheit der Schotten vollzogen hat.

«Der Ansatz, dass es verschiedene Nationen innerhalb dieses Vereinigten Königreiches gibt, wird explizit infrage gestellt und durch ein zentralistisches Durchregieren ersetzt», sagte Nehring. Selbst schottische Anhänger der konservativen Partei des britischen Premierministers Boris Johnson lehnten diese Haltung ab.

In Umfragen spricht sich seit Monaten eine Mehrheit der Schotten für eine Loslösung vom Vereinigten Königreich aus. Als Gründe gelten der Brexit, den die Schotten klar abgelehnt hatten, und das scharf kritisierte Krisenmanagement von Johnson in der Corona-Pandemie. In einem Referendum 2014 hatten die Schotten knapp gegen die Unabhängigkeit votiert. Johnson lehnte eine neue Befragung ab, Befürworter weisen hingegen auf veränderte Voraussetzungen aufgrund des mittlerweile erfolgten EU-Austritt Großbritanniens hin.

Mittlerweile gebe es kein positives Nationalverständnis mehr, nicht nur in Schottland, sondern auch in England, sagte Nehring. Nur wenige Engländer machten Urlaub im nördlichen Landesteil oder studierten dort. In der Unabhängigkeitsfrage verhielten sich zudem viele Engländer arrogant. Sie würden die Loslösung als unmöglich abtun, weil Schottland zu klein sei, um wirtschaftlich zu überleben.

Doch diese Haltung spiele Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon, die für die Unabhängigkeit eintritt, in die Karten, sagte der Historiker. Es reiche völlig aus, Johnson und seine Aussagen auf ein Wahlplakat zu drucken, sagte Nehring. Bei der schottischen Parlamentswahl im Mai peilt Sturgeons Schottische Nationalpartei (SNP) die absolute Mehrheit an. Mit diesem Antrieb will sie die Forderungen nach einem neuen Unabhängigkeitsreferendum verstärken.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.