Der Stern von Baht-lehem

Weihnachtslieder im Supermarkt, die ewig gleichen Ohrwürmer verfolgen mich in jedem Winkel wie ein hartnäckiger Tinnitus und setzen mich schon nach Minuten derart in Trance, dass ich wahllos in die Regale greife und am Ende mit einem Thai-Gugelhopf, statt mit der Currysauce nach Hause komme. Die Verantwortlichen in den Chefetagen wissen um die destruktive Magie des Gedudels und sagen sich:

„Egal womit der Trottel von dannen zieht, wenn er nur nicht die Kasse verfehlt.“

Der Algorithmus, mein Freund und Helfer

Im trauten Heim bemerke ich dann den Irrtum - wenn ich Glück habe - bevor meine Frau ratlos vor dem exotischen Gebäck steht und mir einen Blick zuwirft, der Bände (inklusive Diagnose) spricht. Eine halbe Stunde später bin ich wieder zwecks Umtausch im Markt. Inzwischen hat der Algorithmus der Company herausgefunden, dass ich mich geirrt habe, denn er kennt mein Kaufverhalten besser als ich selbst. Deshalb steht ein unübersehbares Schild vor dem Eingang: Heute große Aktion: Wir tauschen Gugelhöpfe beim Kauf von fünf Kilo Curry-Pulver!

Damit wird auch plausibel, wieso schon im Oktober „Jingle Bells“ die Synapsen der Kunden verklebt, welche mit einem seligen Lächeln Schlange an der Kasse stehen und tonnenweise Plastikschrott auf das Laufband legen. „Jingle Bells“, gezwitschert von den immergleichen, schrillen Kastratenstimmen, wirkt wie ein Joint auf den leeren Magen: Du taumelst, fummelst die Baht aus dem Portemonnaie und du suchst schwankend das Weite, die Einkäufe lässt du auch gleich liegen. Der Supermarkt macht so den Reibach des Jahres - there is no business like Xmas business.

Selfie auf dem Mount Garbage

Man hat einst einen berühmten Bergsteiger gefragt, wieso er den Mount Everest besteigen wolle. Er antwortete lakonisch: „Weil er da ist.“ Würde man die Verbraucher fragen, wieso sie dies und das gekauft haben, würden sie auch sagen:

„Weil es da war.“

Sie häufen damit gewaltige Abfallberge, kraxeln zur Übung schon mal darauf herum, damit sie es auch auf den Mount Garbage (früher: Everest) schaffen, um dort ein Selfie zu machen. Sie folgen damit bloss einem Trend, den wir angestoßen haben. Ex occidente lux.

In der Vorweihnachtszeit wird im Vorhof des erwähnten Supermarktes von einem Dutzend Arbeiter in orangenen Overalls ein riesiger Christbaum aufgestellt. Das Gestänge ist aus Leichtmetall und wächst vor meinen Augen rasch in die Höhe. Hier ist ein eingespieltes Team am Werk, ich bewundere das Geschick der Männer und frage mich ob Christbaumingenieur in einem buddhistischen Land ein Beruf ist und wo man dazu ausgebildet wird. Dann wird das Ganze mit aufgerauhten Plastikbahnen überzogen und sieht nun aus, als hätte es Feuer gefangen und sei von der Betriebsfeuerwehr mit Löschschaum eingedeckt worden. Bei näherem Hinsehen lässt sich aber eine bestimmte Struktur ausmachen, die Metallteile schimmern durch die Hülle und können mit viel Fantasie als stilisierte Tannenäste durchgehen. Das wird vom Künstler wohl so gedacht sein. In Kombination mit den goldenen und silbernen Kugeln muss die Absicht jedermann klar sein: Das ist ein Christbaum made in Thailand. Wer jetzt noch Zweifel hat, der darf ganz nach oben schauen: Dort steht der Stern von Baht-lehem, sorry: Bethlehem. Er ist aus grünem Plastik. Immerhin hat er kein rotierendes Cola-Schild drauf.

Jesus würde sich im Grab umdrehen, wenn er es nicht in weiser Voraussicht rechtzeitig verlassen hätte.

Bitte leise rauchen!

Alles in allem bewundere ich die Integrationsfähigkeit der Thais hinsichtlich der Festivitäten. Sie haben kein Problem damit, Feste jeder Art in ihrem Kalender unterzubringen. Es beginnt mit der christlichen Weihnacht, dann folgt Neujahr nach westlicher Zeitrechnung, dann im Februar das chinesische Neujahrsfest und endlich im April Songkran, das thailändische Neujahr. Es ist immer ein bisschen Neujahr hier, man kann mehrmals hintereinander gute Vorsätze fassen und die Umsetzung aufschieben bis zum nächsten Neujahrsfest ein paar Wochen später. Mein persönlicher Vorsatz: ganz mit dem Rauchen aufhören. Ich habe es beinahe geschafft. Ich rauche nur noch am Sonntag und so leise, dass es die Familie nicht hört.

PS: Das russische Neujahr habe ich leider vergessen zu erwähnen. Sorry, liebe Russen. Bitte teilen Sie Ihren Thaifreunden mit, dass es am 6. Januar gefeiert wird. Die Spritzpistolen für die Wasserschlachten an Songkran einfach mit Wodka füllen und los gehts. Sawasdee Nastrowje!


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Khun Ten 09.12.19 21:13
Russisch orthodoxes Neujahr am 13. Januar
Hallo Kollege, Das Neujahr im orthodoxen Kalender ist am 13. Januar. Der 6. Januar entspricht dem Heilig Abend und am 7. Januar ist Weihnachten. Gewiefte Russen feiern aber 2x. Einmal nach unserem Kalender, einmal nach dem alten.
Heinz Dick 09.12.19 13:03
Auf den Punkt gebracht
Danke für diese treffende humorvoll geschriebene Satire. Ich fühle genau so wenn ich jetzt in den Tesco gehe. 55555
Kann es nur nicht so treffend beschreiben.
Henning Gutschke 09.12.19 10:19
Absolutely treffend
Ick freu ma über derart nett geschriebene Kritik an westlichen Bräuchen in östlicher Kultur. Man kann auch diverse Sachen mit Humor nehmen. :