Der Sinn des Lebens

Der Sinn des Lebens

Das Leben ist kein Märchen mit Happy-End und kein Wunschkonzert. Aber wer, wie Carlos, inzwischen ein Senior geworden und dabei gesund geblieben ist, hat doch einigen Grund froh und dankbar zu sein. Zumal in diesen Tagen, zwischen Volkstrauertag und Totensonntag, wenn die Gedanken zu jenen Freunden, Verwandten und Bekannten wandern, die nicht mehr da sind, außer in unseren Vorstellungen, Erinnerungen und Träumen, Menschen, mit denen wir eine Lebenszeit verbracht haben, mit denen wir gelebt und geliebt haben. Da wird sogar Carlos ernst und nachdenklich, was eigentlich gar nicht seiner Art entspricht.

Carlos lebt hier in Thailand als gut situierter Ausländer. Hier und da schreibt er etwas, hier und da spendet er etwas, aber eigentlich lebt er nur in den Tag hinein. Okay, er hat dafür viele Jahre lang hart arbeiten müssen, hat gespart und für sein Alter vorgesorgt, wie viele andere Senioren auch, die hier ihren Lebensabend verbringen. Aber heute fragt er sich manchmal: Wofür war das alles? Was mache ich jetzt? Was ist jetzt mit meinem Leben?

Was ist jetzt mit meinem Leben?

Mal an den Strand zu gehen, mal ein paar Freunde zu treffen, gemeinsam essen zu gehen, das kann doch nicht alles gewesen sein – oder? Es kommt der Tag, an dem man sich fragt: Wofür lebe ich, warum und weshalb? Carlos glaubt, dass diese Frage vielen älteren Farangs vertraut ist, denn sie alle haben ein Alter erreicht, an dem sie vor der Frage stehen: Was war? Was wird? Die erste Frage ist schnell beantwortet. Aber was wird? Noch leben wir als ältere Menschen hier in einem angenehmen Umfeld. Aber was passiert, wenn wir morgen umfallen? Wenn wir nicht mehr über uns selbst bestimmen können? Haben wir vorgesorgt? Gibt es vertraute, ehrliche Menschen, die sich um uns kümmern werden, auf die wir uns verlassen können?

Es ist ein ernstes Thema und wirklich wichtig. Vorsorge heißt die Antwort auf alle Altersängste. Es beginnt mit einem Testament und mit Verfügungen, die allen juristischen Anforderungen genügen. Am besten lässt man sich dabei von einem deutschsprachigen Juristen beraten und hinterlegt seine Verfügungen bei der jeweils zuständigen Botschaft. Und wenn es denn soweit ist…: Wie werde ich beerdigt, wer kümmert sich um meinen Nachlass? Carlos denkt, der Sinn des Lebens besteht sicher nicht darin, etwas zu hinterlassen, auf das Angehörige schon zu Lebzeiten gierige Blicke geworfen haben. Er war schon immer der Meinung, lieber schenke ich zu Lebzeiten und mit warmer Hand…

Inzwischen werden überall Kurse angeboten, die den Sinn des Lebens erklären wollen. Carlos misstraut ihnen, denn er ist sich ganz sicher, dahinter stecken jene religiösen Alleswisser oder Fundamentalisten, die ihm erklären, dass er als mit der Erbsünde geborener Wurm nun die Verdammnis vor sich hat, es sei denn…Halleluja! Nicht mit mir! Carlos hat den Sinn seines Lebens längst für sich selbst gefunden, und der heißt: LEBEN, leben mit allen Fasern unseres Seins, mit allen Möglichkeiten, die uns geschenkt sind, mit aller Liebe, mit aller Nächstenliebe und mit dem Versuch, möglichst viele unserer Träume zu verwirklichen. Und danach? Wenn alles vorbei ist?

Trauriges Ende oder Nirwana?

Er hat lange darüber nachgedacht. In der christlichen Welt ist der Tod das traurige Ende des Lebens, ein Unglück, oft eine Tragödie, ein furchtbares Desaster und nach langer schwerer Erkrankung vielleicht eine Erlösung. Hier in Thailand geht man mit dem Tod anders um. Das irdische Elend ist überwunden. Die Thais glauben, der Verstorbene geht, vorausgesetzt, er hat entsprechend gelebt, einer höheren, besseren Lebensstufe entgegen, um letztlich irgendwann ins Nirwana einzugehen.

Der Tod ist aus der Sicht der Christen der Einzug zum jüngsten Gericht, wo darüber geurteilt wird, wer dem Himmel und wer der Hölle zugeteilt wird – ein Verfahren mit ungewissem Ausgang. Carlos, der Freigeist, kann und will sich damit nicht abfinden. Er hat schon an vielen buddhistischen Totenfeiern teilgenommen und in glückliche Gesichter der Angehörigen gesehen. Der Verstorbene geht in ein besseres Leben ein. Carlos hat sich in den letzten 25 Jahren mehr und mehr auf die buddhistische Philosophie zubewegt. Er ist zwar nicht mit allen Thesen einverstanden, aber vor allem glaubt er an das völlige Verlöschen, an das Nichts, das man auch Nirwana nennen kann. Das heißt nichts anderes, als das Ende von Not und Qual, das Ende von allen Schmerzen und Problemen. Könnte man sich denn etwas Besseres wünschen? Einschlafen und nie wieder aufwachen. Christen mögen damit ihre Probleme haben, Carlos erlaubt sich, anderer Meinung zu sein: Sein Ende wird der Anfang eines wunderbaren Nicht-Lebens sein.

Ein Gedicht seines Freundes Ce-eff Krüger liebt er besonders. Es entspricht seiner Vorstellung, seiner Hoffnung und seiner Philosophie.

Mit der Erlaubnis des Autors dürfen wir es hier abdrucken.

Trost und Abschied

Es mag ja sein,
ich schlafe ein
und bin im Nichts,
im Nirgendwo.

Es mag ja sein,
ich gehe ein
ins Seelenmeer
im Irgendwo.

Und da ist nichts,
das mich noch stört.
Und da ist nichts,
das mir gehört.
Das Nichts ist nichts
als Frieden.

Denn meinem Schlaf
hat eine Macht,
die ich nie traf
und nie bedacht,
ein Lächeln noch
beschieden.

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