Der Schleier des Nichtwissens

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Neulich erreichte mich eine Leser E-Mail mit nachfolgend sinngemäß verkürztem Inhalt: Diese Kolumne beschäftigt sich kritisch mit aktuellen politischen und wirtschaftlichen Themen wie beispielsweise Notenbankpolitik und Euro. Die Bürger werden als Zahlmeister einer nicht besonders rosigen Zukunft dargestellt. Das kann doch alles gar nicht sein, sonst würden unsere Politiker doch eingreifen…

Auf den ersten Blick ein logisch erscheinendes Argument. Im Folgenden daher der Versuch einer kurzen Ausleuchtung von Hintergründen:

Das Hauptproblem unserer Zeit dürfte sein, dass es zwar eine Weltwirtschaftsordnung, aber keine Weltregierung gibt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die UNO (United Nations Organisation) nicht weiterentwickelt. Ansonsten gibt es keine Institution auf der Welt, die ansatzweise die Aufgaben einer Weltregierung übernehmen könnte. Jüngere Versuche wie der G-20-Gipfel sind kläglich an den unterschiedlichen Interessen der beteiligten Staaten gescheitert (Klima- und Finanzpolitik sind gute Beispiele). Auf der anderen Seite gibt es allerdings ein im Vergleich ausgezeichnet ausgeprägtes Weltwirtschafts- und Weltfinanzsystem, das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln seinen Einfluss - unter anderem durch hervorragende Lobby-Arbeit - stetig weiter ausdehnt. Dies ist zunächst legitim, ob es langfristig klug ist, steht auf einem anderen Blatt.

Auseinandersetzung zwischen den Blöcken

Um es griffig zu machen, werfen wir den Blick auf einige Beispiele: Die geopolitische Auseinandersetzung zwischen den Blöcken wird härter. Die Bedeutung der USA gegenüber China nimmt Jahr für Jahr ab und wird auch in Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiter abnehmen. Ist es in dieser Situation nicht mehr als verständlich, den „alten“ Westen unter Kontrolle zu halten, und wenn möglich, die Grenzen der eigenen Einflusssphäre soweit wie möglich nach Osten ausdehnen zu wollen? Der einflussreiche US-Berater Brzezinski hat bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wiederholt von der Notwendigkeit gesprochen, die Ukraine „herauszubrechen“. Diese Zielsetzung wurde auch eifrig und erfolgreich betrieben, bis hin zu einem Assoziierungsabkommen mit der EU sowie dem geplanten Nato-Eintritt der Ukraine. Hatte man erwartet, Russland würde dem Treiben so lange zusehen, bis die Schwarzmeerflotte auf Nato-Gebiet stationiert gewesen wäre? Wohl kaum. Dies rechtfertigt zwar keineswegs die völkerrechtswidrige Annektion der Krim, erklärt sie aber. Interessant ist dabei, dass sowohl der Westen wie auch Russland kompromiss­los ihr jeweiliges Maximalziel verfolgt haben (die Ukraine wurde von beiden Blöcken vor die Wahl gestellt: die oder wir). Bedauerlich ist, dass Europa scheinbar nicht hinreichend erkennt, dass seine Interessen nicht immer deckungsgleich mit denen der USA sind. Den USA ist dabei kein Vorwurf zu machen, denn jenseits des Atlantiks hat man einfach andere Interessen und sieht es vielleicht gar nicht so ungern, wenn Europa an den Rändern ausfranst und der Euro nicht zur zweiten Weltleitwährung aufsteigt. Der Vorwurf geht wie bei der Abhöraffäre oder der Lieferung von europäischen Zahlungsdaten an die europäische Politik, die uneinig, zaghaft und oft auch unentschlossen erscheint.

Wirtschaftlich gesehen profitieren derzeit vor allem und immer mehr kapitalmarktfähige Firmen und Sperreiche, die ihren Einfluss, verständlicherweise und legitim, weiter auszubauen versuchen. Verlierer sind dann eben Bürger und Mittelstand (was dieser allerdings erst beginnt zu begreifen). Eine Umkehrung dieses bedauerlichen Trends ist allerdings nicht in Sicht, da das Interesse an Politik in Europa mehr und mehr sinkt (die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Bremen vor wenigen Tagen erreichte ein Rekordtief). Wenn es nicht gelingt, die politische Diskussion in der Breite wieder anzuheizen, wird es den verhältnismäßig wenig politisch interessierten und engagierten bedauerlicherweise kaum gelingen, maßgebenden Einfluss auf die Entwicklung der nächsten Jahre zu nehmen. Ein Schleier des Nichtwissens und des zunehmend auch Nichtwissen-Wollens legt sich über die noch finanziell einigermaßen gesunden Länder Europas.

Mitdenken und kritisch nachfragen wird man aber dem mündigen Bürger nicht ersparen können.

Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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Jürgen Franke 08.06.15 22:09
Herr Rasp
wie immer ein super Artikel. Insbesondere der letzte Absatz. Es wird nach wie vor viel gemeckert, aber zur Wahl gehen die wenigsten So kann Demokratie eben nicht funktionieren.
Michael Hellwig 08.06.15 16:57
Freiheit ohne Werte?
Es ist aber auch nicht einfach.
Bereits innerhalb Europas gibt es eine einheitliche Politik immer weniger.  Die EU ist für eine Wirtschaft zuständig, die von immer mehr Bürgern nur noch als bedrohlicher Angriff auf ihre Besitzstände empfunden wird. Von den nationalen Regierungen wird erwartet, dem Einhalt zu gebieten und gefälligst Sozialpolitik zu betreiben. Da man natürlich nur das verteilen kann, was erwirtschaftet (also erarbeitet) wurde, gelingt den nationalen Politiken die "Sozialintegration" immer weniger. Brennende Asylantenheime mögen ein Warnzeichen dafür sein, was passiert, wenn Sozialpolitik durch Panik der an den Rand Gedrängten ersetzt wird.  

Machen wir uns nichts vor.  Die Länder Westeuropas (allen voran Deutschland und England) sind überbevölkert, die Grenzen des Wachstums sind erreicht, und es werden immer mehr Migranten auf den Arbeitsmarkt drängen, nicht nur im Niedriglohnsektor. Fremde Kulturen bringen fremde Wertesysteme mit sich, und genau diese werden zunehmend zum Knackpunkt der Integration gemacht. Wer öffentlich dem Islam etwas abgewinnen kann, steht zunehmend bereits in Verdacht, mit "Terroristen" zu sympathisieren. Wer als Farang die thailändische Sperre des Landerwerbs für Ausländer unterstützt, stößt auf Unverständnis ausländischer Investoren. Und wer gar noch das Verhalten thailändischer Frauen als rationalen Beitrag zur Familien- und Bildungspolitik ansieht, gilt schnell als moralisch untragbar (Stichwort "Sexarbeit"). 

So viel Ökonomie in sozialpolitischen Fragen ist dann wohl auch nicht erlaubt, "christlich-abendländische Werte" gelte es auch noch zu beachten. Denn diese seien unhinterfragbar.
Wenn sich dies nicht ändert, werden (nationale) Sozialpolitiken und (internationale) Wirtschaftspolitik immer weiter auseinanderdriften, mit der Folge ideologisch oder religiös verklärter Verteilungskriege (gerne auch unter dem Schlagwort der "Terrorismusbekaempfung") Wenn dann dabei die Hälfte der Weltbevölkerung elendig krepiert, kann man das natürlich als eine Lösung des Überbevölkerungsproblems ansehen. Rein ökonomisch, versteht sich.  
Oder man muss halt davon wegkommen, die "Freiheit" der freien Marktwirtschaft als letzten Wert ("an sich") zu betrachten, und die Frage stellen: Freiheit wofür?