​Drohnenangriffe: Krieg in Russland

Arbeiter reparieren ein beschädigtes Wohnhaus nach einem gemeldeten Drohnenangriff in Moskau. Foto: epa/Maxim Shipenkov
Arbeiter reparieren ein beschädigtes Wohnhaus nach einem gemeldeten Drohnenangriff in Moskau. Foto: epa/Maxim Shipenkov

MOSKAU/KIEW: Seit Monaten bombardiert Russland in der Ukraine zivile Ziele. Nun bekommt Moskau die Folgen des Kriegs selbst zu spüren: In der russischen Hauptstadt werden Wohnviertel von Drohnenangriffen erschüttert. Die Schäden sind klein, doch die Verunsicherung groß.

Lange schien der Krieg gegen die Ukraine für viele Moskauer weit weg zu sein - jetzt ist er da. Am frühen Dienstagmorgen meldete die russische Hauptstadt verschiedene Drohnenangriffe. Mehrere Wohngebäude werden geringfügig beschädigt, zwei Menschen leicht verletzt. Russlands Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich und spricht von «Terror». Die Führung in Kiew weist die Beschuldigungen zurück.

«Heute Morgen hat das Kiewer Regime einen Terrorakt mit unbemannten Flugkörpern auf Objekte der Stadt Moskau verübt», hieß es vom russischen Militär. Verteidigungsminister Sergej Schoigu lobte die eigene Flugabwehr. Insgesamt seien acht Drohnen zerstört worden. In sozialen Netzwerken hingegen vermuten viele, dass in Wirklichkeit viel mehr der kleinen Apparate - die optisch etwas wie Mini-Flugzeuge aussehen - auf Moskau zuflogen.

Seit Wochen schon häufen sich Attacken auch in Russland - meist jedoch in der unmittelbaren Grenzregion zur Ukraine und nicht auf zivile Objekte. Es war aber nicht das erste Mal seit Beginn des Kriegs vor mehr als 15 Monaten, dass Drohnen bis in die Hauptstadt flogen. Erst Anfang Mai wurden zwei Flugkörper unmittelbar über dem Kreml abgefangen. Das brachte spektakuläre Bilder.

Damals wurde aus Sicht der Moskauer aber nicht das Dach des eigenen Gebäudes getroffen, sondern der Amtssitz von Präsident Wladimir Putin - und der war zum besagten Zeitpunkt nicht zuhause. Nun aber ist die Verunsicherung in der Riesenmetropole mit mehr als 13 Millionen Einwohnern groß. Die sozialen Netzwerke quellen über.

Fotos zeigen Rauchsäulen am Himmel und über einem Feld. In einem Video ist die Stimme eines Mannes zu hören: «Sie kommen immer näher und näher», sagt er, während er die anfliegenden Objekte offenbar aus dem Fenster seiner Wohnung filmt. «Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wahrscheinlich sollte ich mich verstecken.» Was mit ihm dann geschah, weiß man nicht. Mehrere Gebäude wurden sicherheitshalber evakuiert. Kremlsprecher Dmitri Peskow nutzte den Vorfall, um einmal mehr den Angriffskrieg - in russischen Worten: die «militärische Spezialoperation» - gegen den Nachbarn zu rechtfertigen.

Auch Putin selbst meldete sich am Abend zu Wort: Die Arbeit der eigenen Flugabwehr nannte er zufriedenstellend, forderte aber eine weitere Verbesserung. Die Flugabwehr solle verdichtet werden. «Wir werden das tun», versprach der Kremlchef. Den Angriff bewertete er als Provokation, damit Russland ebenso gegen ukrainische Zivilisten losschlage. Er drohte auch mit einer Reaktion.

In der Ukraine wiederum sind Angriffe mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen auf Wohnviertel seit Monaten brutale Realität. Mehr als 8700 getötete ukrainische Zivilisten haben die Vereinten Nationen seit Kriegsbeginn registriert, in Wirklichkeit dürften es noch deutlich mehr sein. Das übersteigt die Opferzahlen auf russischem Staatsgebiet um ein Vielfaches. Erst in der Nacht auf Dienstag bombardierte Russland erneut die Hauptstadt Kiew. Getroffen wurde auch ein Wohnhaus, eine Frau wurde getötet. Noch nie seit Februar vergangenen Jahres gab es in Kiew innerhalb eines Monats so viele Drohnen- und Raketenangriffe.

So ist wenig überraschend, dass sich das Mitgefühl der Ukrainer mit den betroffenen Hausbewohnern in Moskau in Grenzen hält. «Wir betrachten das mit Freude», sagte ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Mychajlo Podoljak. Er betonte aber zugleich, dass die ukrainische Führung nichts damit zu tun habe. «Ihr wisst, dass wir uns der Ära der Künstlichen Intelligenz nähern», fügte er spöttisch hinzu. «Möglicherweise sind nicht alle Drohnen bereit, die Ukraine zu attackieren, und sie wollen zu ihren Schöpfern zurückkehren.»

Wie nach dem Vorfall am Kreml wird im Internet auch jetzt gerätselt, ob die Angriffe eine so genannte False-Flag-Aktion Moskaus sein könnten, um eine weitere Eskalation im Krieg zu rechtfertigen. Andere weisen darauf hin, dass die im Westen und Südwesten von Moskau gelegenen Angriffsziele durchaus einen Start der Drohnen in der Ukraine nahelegen könnten.

Einige Experten sehen die Angriffe und Sabotageakte auf russischem Gebiet als Vorbereitung auf die erwartete ukrainische Gegenoffensive. Sie könnten den Kreml zwingen, die Flugabwehr über Moskau auf Kosten strategisch wichtiger Frontabschnitte zu stärken.

Die Pläne zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete sind nach Angaben von Selenskyj mittlerweile fertig. «Die Entscheidungen sind getroffen», sagt der ukrainische Präsident. «Es gibt keine Alternative als die komplette Befreiung unseres Landes.» Inklusive der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim halten Russlands Truppen derzeit rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt.

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