Der Knaben Bettelgang

übersetzt von Dr. Christian Velder

Der Knaben Bettelgang

Als die Abenddämmerung hernieder sank, kamen Vater und Mutter aus dem Walde zurück. Die Mutter betrat die Küche und entdeckte die Schalen der vier Krabben. „Wer hat diese Krabben hier

hereingebracht“, fragte sie. Suriyakhat antwortete: „Oh Mutter, wir Kinder sind heute in den Fluss gewatet und haben dabei die Krabben gefangen. Ich habe sie mitgenommen, um meinem Bruder eine,euch Eltern je eine zu geben und mir selbst die letzte zu nehmen. So habe ich Djanthakhat die seine gebraten. Als er sie gegessen hatte, weinte er und jammerte über seinen Hunger. Da gab ichdie Krabben hin, eine nach der anderen, und so hat er sie alle vier verspeist.“

Die Eltern ergrimmten über die Rede und riefen: „Unsere Verdienste gegen euch Kinder haben wir vergeudet. Um die Bande des Blutes, um die Tugenden eurer Eltern kümmert ihr euch nicht! Da gehtihr hin und bringt Essbares in Hülle und Fülle heim, aber ihr verschlingt es alles selbst und lasst uns nichts! Das haben wir nicht um euch verdient!“

Sie hatten sich immer mehr in Zorn geredet. Nun schwangen sie die Peitsche, um ihre Kinder zu züchtigen. Suriyakhat nahm den Bruder bei der Hand, und so schnell sie ihre Füsse tragen konnten,eilten sie davon. Suriyakhat rief nur noch: „Oh, Mutter und Vater, seid nicht zornig, ich habe ja selbst nichts abbekommen, der Kleine hat alles allein verzehrt!“

Doch die Eltern wurden nur noch zorniger und riefen: „Holla, ihr Raubgesindel, fort mit euch und kommt uns ja nicht wieder ins Haus!“

So lautete ihr letztes Wort. Die Peitsche schwingend eilten sie den Kindern nach, um sie endgültig zu vertreiben.

Suriyakhat und Djanthakhat rannten davon und suchten Schutz im Schatten der Dachtraufe ihres Nachbarhauses. Sie umarmten einander und weinten: „Wohin sollen wir nun gehen Wer wird uns einObdach geben, wer wird uns Mutter sein, wer für uns sorgen, wer uns speisen Grosseltern haben wir nicht mehr und keine Verwandten. Die Eltern haben wir heute verloren. Wer wird uns von nun anbeschützen Andrer Kinder Eltern sind für uns fremd. Wenn Vater und Mutter sonst in Liebe für ihre Kinder sorgen, unsere Eltern haben nur Bosheit und Falschheit genährt wider uns. Wer wird sichnun unser erbarmen, wer wird uns einlassen in sein Haus“

Der Kinder Wehklagen schallte weit hin durch die Dunkelheit. Ihre Eltern vernahmen die Worte und brüllten: „Ihr Räuberbrut! Hört auf mit dem Geheul!“

Die Kinder fürchteten sich und eilten weiter, um schliesslich an die Wand eines anderen Hauses gelehnt zu ruhen. Am Morgen wagten sie sich nicht mehr nach Hause zurück und wanderten bettelndfort. Menschen, deren Herz verhärtet und ohne Güte war, verjagten sie von ihrer Schwelle mit Schelten und Schlägen. Wessen Herz aber tugendhaft war und voll Erbarmen, der empfand Neigung undLiebe zu den Knaben und gab ihnen Reis, Fisch und Speisen nach bestem Vermögen. Die Knaben assen, was ihnen geboten wurde, und wo sie bleiben durften, da blieben sie auch, bis ihnen gesagtwurde: „Ihr Kinder, geht doch auch zu den anderen Häusern im Dorf, auch dort wird man euch willkommen heissen!“

Dann zogen die beiden weiter und bettelten vor andrer Leute Türen. Morgens waren sie hier, abends dort, bis schliesslich kein Haus und kein Dach im Dorfe übrig war, wo sie noch nicht gewesen.Dann wanderten sie weiter zu einem anderen Dorfe. Die Bauern sahen die Knaben an, und voll Mitleid gab der eine ihnen Reis, Fisch und Speisen, der andre eine Feuerstelle, wieder ein andrerrohen Reis, manch einer schenkte ihnen Obst oder essbare Birnen, Zehrwurzeln oder Bananenbündel, und alle gaben nach der Kraft ihres Gewissens.

So zogen die Kinder bettelnd umher, bis sie alle Dörfer gross und klein im ganzen Lande kannten. Da gingen sie in den Wald und begannen, sich wilde Früchte zu suchen, wie es den Armen frommt.Hin und her durchstreiften sie den Wald, und wenn sie aus einem Walde herauskamen, gingen sie in einen andren hinein. Wege und Pfade kannten sie nicht. So irrten sie in den Wäldern umher, bisdrei Monate vergangen waren und das Glück sich ihnen wieder zuwendete. Hier endet das Kapitel von der Kinder Bettelgang.

Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tiervon Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der RoyalGarden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

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