Der Glaube versetzt Berge

Der Glaube versetzt Berge

In Thailand ist der Geisterglaube (Animismus), die Urform aller Religionen, mit dem toleranten Buddhismus, der sich ab dem 3. Jahrhundert vor Christus über das Gebiet des heutigen Landes ausbreitete, eine volksnahe Mischform eingegangen.

Der Farang, der erstmals Thailand besucht, ist über manche Denk- und Lebensweise hierzulande höchst verwundert. Die Geister, gute wie böse, die im Glauben der Thais überall um sie herum leben, sind für sie so real wie ihre Familie. Um sie zu beschwichtigen oder um ihre Hilfe zu erbitten, errichtet man für sie Geisterhäuschen, in denen sie mit Opfergaben wie Reis, Obst, roter Limo oder Süßigkeiten versorgt werden.

Amulette, die mit spiritueller, übernatürlicher Energie aufgeladen sind, erfreuen sich großer Beliebtheit. Viele Thais tragen zum Schutz vor Unheil von Mönchen gesegnete bunte Zwirnsfäden am Handgelenk oder lassen sich heilige Motive in die Haut ritzen. Sie glauben daran, durch dieses Tattoo unverwundbar zu sein. Der Geisterglaube verlangt von den Thais – für uns unüberschaubar – viele Rücksichten und Besonderheiten, die im Laufe der Jahrhunderte ihre Charaktereigenschaften geprägt haben. Deshalb treten die Farangs auch unbewusst immer wieder in neue Fettnäpfchen. Großzügig sehen die meisten Thais darüber hinweg.

Viele Farangs halten den hier praktizierten Aberglauben für hinterwäldlerisch, und bedenken in ihrem Hochmut nicht, dass auch in ihren Köpfen tausend Unsinnigkeiten ste­cken: Sie bekreuzigen sich, wenn eine schwarze Katze vor ihnen über den Weg läuft, und sie glauben daran, dass ein Schornsteinfeger ihnen Glück bringt. Unglück wäre die Folge, wenn sie an einem Montag zum Friseur gingen, zwischen Weihnachten und Silvester Wäsche aufhingen und am Freitag den 13. droht große Gefahr. Sie richten sich nach Horoskopen, auch wenn die darin beschriebenen Prophezeiungen und Warnungen noch so abstrus klingen.

Für eine satirische Zeitschrift („Eiermann“) habe ich selbst mal aus lauter Übermut solche angeblich aus dem Stand der Sterne errechneten Albernheiten aufgeschrieben und veröffentlicht: Steinbock-Geborene warnte ich beispielsweise vor Krankheiten, sofern sie sich im Winter nicht warm anziehen, Zwillingen sagte ich eine unerwartete Begegnung mit einem wichtigen Menschen aus ihrer Vergangenheit voraus und Jungfrauen Liebe, Geld und Glück. Tatsächlich erreichten mich daraufhin Briefe, in denen die Schreiber sich für meine erfundenen Verheißungen bedankten: Alles sei so eingetroffen, wie ich es in meiner Voraussage angekündigt hätte. Deshalb wundert es mich auch nicht, wenn Fakes heutzutage überall für Wahrheiten gehalten werden und unzählig viele Menschen den Rattenfängern jeglicher Couleur hinterherlaufen.

Natürlich gibt es auch hier in Thailand Heilsversprechungen von Ganoven, die sich dadurch bereichern. Es gab in der jüngeren Vergangenheit sogar Mönche, die ihre hochangesehene Stellung ausgenützt haben, um Gutgläubigen ihren Besitz abzuschwatzen. Sie wurden ihrer Ämter enthoben oder setzten sich ins Ausland ab. Wahre Buddhisten kann das nicht davon abhalten, Tham-bun für ein besseres Karma im nächsten Leben zu verrichten.

Ich bin davon nicht überzeugt, auch wenn ein immer wieder zitierter Satz sagt:

„Der Glaube versetzt Berge.“

Ich weiß nur, diese Berge warten seit Ewigkeiten vergeblich darauf.

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