Der Euphorie folgt Ernüchterung - Deutsche Grüne vor Wahlparteitag

Die Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock, gibt eine Presseerklärung in Berlin ab. Foto: epa/Mika Schmidt
Die Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock, gibt eine Presseerklärung in Berlin ab. Foto: epa/Mika Schmidt

BERLIN: Deutschlands Grüne sind stärker als je zuvor. Ob es nach der Bundestagswahl fürs Kanzleramt reicht, ist aber eher fraglich. Vor der heißen Phase des Wahlkampfes streiten sie auch über ihren politischen Kurs.

Bekommt Deutschland eine grüne Kanzlerin? Kaum hatte der Grünen-Vorstand die Co-Vorsitzende Annalena Baerbock am 19. April als Kanzlerkandidatin nominiert, schossen die Umfragewerte der Ökopartei in die Höhe.

Für mehrere Wochen lagen die Grünen meist vor den Christdemokraten von Kanzlerin Angela Merkel, die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht mehr antritt. Dass eine Frau auf eine Frau im Kanzleramt an der Spree folgt, schien denkbar.

An diesem Wochenende wollen die Grünen bei einem weitgehend digitalen Bundesparteitag die erst 40-jährige Baerbock offiziell als Kanzlerkandidatin aufstellen. Es wird die erste Kanzlerkandidatur in der Geschichte der Partei, die in Baerbocks Geburtsjahr 1980 gegründet wurde. Außerdem soll das Wahlprogramm verabschiedet werden, um das es noch heiße Debatten geben dürfte.

Die Euphorie bei den Grünen ist inzwischen einer gewissen Ernüchterung gewichen. In den Umfragen liegen sie seit der zweiten Maihälfte wieder hinter der CDU/CSU mit Kanzlerkandidat Armin Laschet. Die Landtagswahl im Bundesland Sachsen-Anhalt vom Sonntag endete mit 5,9 Prozent für die Grünen enttäuschend.

Mit deutschlandweit zuletzt 20,5 bis 22 Prozent stehen die Grünen allerdings immer noch weit über ihrem Bundestagswahlergebnis von 2017 (8,9 Prozent). Noch nie präsentierten sie sich vor einer Bundestagswahl so stark. Sie haben die Sozialdemokraten als zweitstärkste Kraft im deutschen Parteiengefüge abgelöst. Lange her sind die Zeiten der bisher einzigen Grünen-Regierungsbeteiligung auf Bundesebene (1998-2005), als ihnen der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder als Chef einer rot-grünen Koalition den Unterschied zwischen «Koch und Kellner» klarmachte.

Seit dem Ende des Höhenfluges in den Umfragen lief es auch sonst nicht gut für Baerbock. Zuerst machte die Bundestagsabgeordnete, die über keine Regierungserfahrung verfügt, Negativschlagzeilen, weil sie Sonderzahlungen ihrer Partei an sie verspätet dem Bundestag meldete. Dann gab es mehrfach Unstimmigkeiten in ihrem offiziellen Lebenslauf - etwa zu Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen oder einer angeblichen Tätigkeit in Brüssel -, die die Kandidatin nachträglich korrigieren musste. Auch Co-Parteichef Robert Habeck agierte ungeschickt, als er für Waffenlieferungen an die Ukraine plädierte.

Bei der Bundestagswahl im September, die die Ära Merkel nach 16 Jahren beschließt, wird es gleich drei Kanzlerkandidaten geben: Neben Baerbock (Grüne) und Laschet (CDU/CSU) ist das der bisherige Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz für die SPD. Die älteste deutsche Partei, die mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Schröder immerhin drei Bundeskanzler stellte, dümpelt in den Umfragen derzeit bei 14 bis 16 Prozent.

Dass Baerbock vom Parteitag als Kanzlerkandidatin bestätigt wird, steht außer Frage. Spannend dürfte aber die Debatte um das Bundestagswahlprogramm werden. Zum Programmentwurf des Bundesvorstands liegen weit mehr als 3000 Änderungsanträge vor. Hier zeichnet sich ein Konflikt zwischen einer realpolitisch orientierten Parteiführung und einer weiter linksstehenden und radikalökologisch geprägten Basis ab. Ein zu linkes Programm, so die Sorge der Führung, könnte potenzielle Wähler der bürgerlichen Mitte abschrecken.

Viele Antragsteller, unter ihnen auch Fridays-for-Future-Aktivisten, fordern radikalere Maßnahmen in Sachen Klimaschutz. Manche wollen einen «grundsätzlichen Neu- und Ausbaustopp» für Autobahnen, oder sie verlangen nach dem in Deutschland bereits beschlossenen Atom- und Kohleausstieg auch ein Ende der Erdgasverstromung. Es gibt auch Forderungen, die Außengrenzen für Flüchtlinge «durchlässig» zu machen oder keine abgelehnten Asylbewerber mehr nach Afghanistan abzuschieben. Die Grüne Jugend fordert einen «verbindlichen Mietenstopp auf Bundesebene». Und dann ist da noch das in der deutschen Linken weit verbreitete Ressentiment gegen alles Nationale: Ein von mehr als 300 Mitgliedern gestellter Antrag fordert, aus dem Titel des Wahlprogramms - «Deutschland. Alles ist drin» - das Wort «Deutschland» zu streichen.

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Ling Uaan 10.06.21 23:20
Stimme allen meinen Vorredner 100% zu, Danke.
Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus.
Ist nicht von mir, stammt vom ex Bundespräsidenten Johannes Rau.
Volker Picard 09.06.21 17:10
Die "Grünen-Kanzler-Kandidatin"
hat sich mit großem Erfolg aus dieser Position verabschiedet, nachdem ihre Strategie und Unfähigkeit bekannt wurde. Es wäre auch schlimm, wenn die nächste Kanzlerin für ihre Anerkennung die nächsten Fehlentscheidungen gegen das Interesse unserer Bürger realisieren könnte und wir dann weiter absinken würden.