Der «Bananenmann» will nicht gehen

Krise in Haiti spitzt sich zu

Foto: epa/Jean Marc Herve Abelard
Foto: epa/Jean Marc Herve Abelard

PORT-AU-PRINCE (dpa) - Milliarden Dollar verschwinden in einem der ärmsten Länder der Welt. Einer der Hauptverdächtigen ist der Präsident. Nach eineinhalb Jahren lähmender Proteste kann er Haiti nun ohne Zustimmung des Parlaments regieren - weil es kein Parlament mehr gibt.

Präsident Jovenel Moïse ist so unbeliebt, heißt es in Haiti, dass er sich kaum vor die Tür trauen kann. Und doch hat er seine Macht gerade gefestigt. Zehn Jahre nach dem verheerenden Erdbeben mit 220.000 Toten erlebt das ärmste Land der westlichen Hemisphäre eine der schwersten politischen Krisen seiner turbulenten Geschichte. «Haiti kurz vor dem Kollaps», betiteln etwa die SOS-Kinderdörfer eine Mitteilung zum Jahrestag des Bebens.

Seit eineinhalb Jahren legen Proteste gegen Moïse mit Gewalt und Straßenblockaden den Karibikstaat immer wieder lahm. Zuletzt blieben Schulen und viele Geschäfte zwei Monate lang geschlossen, und es fiel eine im Oktober geplante Parlamentswahl aus. So gibt es nun zum Beginn der neuen Legislaturperiode nicht genug Abgeordnete für ein handlungsfähiges Parlament. Moïse regiert daher per Dekret.

Der Agrarunternehmer und politische Neuling Moïse hatte sich im Wahlkampf 2016 «Nèg Bannann» - Bananenmann - genannt. Für das Anlegen von Bananenplantagen für den Export nach Deutschland sowie für den Bau einer Straße zu den Plantagen hatte Moïses Unternehmen Agritrans Geld vom Staat erhalten. Es stammte aus einem Fonds aus dem PetroCaribe-Programm, unter dem Venezuela ab 2005 karibischen Ländern Öl zu vergünstigten Konditionen verkaufte.

Als der heute 52-jährige Moïse Präsident wurde, war das Programm schon wieder beendet. Aus dem Fonds fehlten aber mehr als zwei Milliarden US-Dollar, die offenbar veruntreut worden waren. Der Verdacht fiel unter anderem auf Moïse: Der Name Agritrans taucht 69 Mal in einem Bericht des obersten Rechnungshofs zum Skandal auf.

Im Juli 2018 hatte es erstmals größere Demonstrationen gegen Moïse gegeben, nachdem er auf Druck des Internationalen Währungsfonds die Benzin- und Dieselpreise um 50 Prozent erhöht hatte. Das machte er tags darauf gleich wieder rückgängig, doch die Wut ebbte nicht ab. Wenige Wochen später traf der Filmemacher Gilbert Mirambeau einen Nerv, als er auf Twitter ein Foto von sich veröffentlichte, auf dem seine Augen verbunden sind und er ein Pappschild hält, auf dem steht: «Wo ist das PetroCaribe-Geld???»

Es war die Geburtsstunde einer Protestbewegung junger, gebildeter Haitianer, die sich «PetroChallenger» nennen. Sie mobilisierten seitdem viele tausend Menschen bei Demonstrationen gegen die Regierung. Diese sei die korrupteste, die Haiti je hatte, meint die 32-jährige Feministin Pascale Solages von «PetroChallenger».

Moïse müsse zurücktreten, aber das allein sei nicht genug, erklärt Solages. «Der Protest richtet sich auch gegen das gesamte System und all die Akteure, die die Ausgrenzung, die soziale Ungerechtigkeit, die Korruption und die Straflosigkeit aufrechterhalten.»

Die Gewalt bei Demonstrationen und Kämpfen in Armenvierteln der Hauptstadt Port-au-Prince, bei der Dutzende Menschen umkamen, gehe von Gangstern aus, sagt Solage. Politiker - der Regierung wie der größtenteils linken Opposition - heuerten diese für ihre Zwecke an. Hinzu käme unverhältnismäßige Gewalt der Sicherheitskräfte - diese hat auch das EU-Parlament im November verurteilt.

Bei den Protesten entlädt sich auch die Wut über Benzinknappheit und eine Inflationsrate von mehr als 20 Prozent. «In einem armen Land ist das extrem hart für eine Bevölkerung, die ohnehin schon Schwierigkeiten hat, Grunddinge wie das tägliche Essen zu bezahlen», betont Bernard Craan, der Chef der Industrie- und Handelskammer. Nur Geldsendungen von in den USA lebenden Haitianern an ihre Familien - Haitis derzeit wichtigste Devisenquelle - verhinderten, dass das Land explodiere.

Nach Zahlen der Weltbank leben 59 Prozent der Menschen in Haiti unter der Armutsgrenze. Den UN zufolge leiden fast vier Millionen der elf Millionen Haitianer unter Nahrungsknappheit. Die Blockaden und der Benzinmangel haben die Situation noch verschlimmert, weil Landwirte ihre Waren nicht mehr transportieren und verkaufen konnten.

Nach Ansicht vieler ist Moïse vor allem dank der Unterstützung der gut 1000 Kilometer entfernten früheren Besatzungsmacht noch im Amt. «Die USA haben hier wirklich die Fäden in der Hand», meint auch Richard Widmaier, der deutschstämmige Chef des Senders Radio Métropole. Er stimme aber mit der Haltung der USA überein, dass Moïse sein fünfjähriges Mandat erfüllen müsse, da er demokratisch gewählt wurde - wenn auch bei einer Wahlbeteiligung von nur rund 18 Prozent.

Diese Position habe auch die Privatwirtschaft im Interesse der Stabilität lange vertreten, sagt Craan. Aber: «Ehrlich gesagt habe ich persönlich das Vertrauen in diesen Präsidenten völlig verloren.»

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