Demos gegen Netanjahu

«Coronavirus-Brutkästen»

Die Leute protestieren gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Foto: epa/Abir Sultan
Die Leute protestieren gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Foto: epa/Abir Sultan

TEL AVIV: Die Demonstrationen gegen Netanjahu und seinen Kurs in der Coronavirus-Pandemie reißen nicht ab. Die Proteste treiben einen Keil in die Regierung. Der Premier geißelt die Medien.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Sonntag die «linken» Demonstrationen gegen seine Politik als «Coronavirus-Brutkästen» verurteilt. In den frühen Morgenstunden hatte die Polizei vor seiner Residenz in Jerusalem eine stundenlange Kundgebung gewaltsam aufgelöst und zwölf Demonstranten festgenommen.

«Ich sehe einen Versuch, die Demokratie im Namen der Demokratie zu zertrampeln», sagte Netanjahu nach einer Kabinettssitzung. Die Demonstranten würden weder Masken tragen noch den Sicherheitsabstand einhalten. Die meisten Medien seien einseitig. «Sie berichten nicht über die Proteste; sie nehmen an ihnen teil» und machten sogar für sie Werbung, sagte der Regierungschef. Dagegen würden die Medien tägliche Morddrohungen gegen ihn und seine Familie verschweigen.

Netanjahu erklärte, er habe nicht zu den Demonstrationen Stellung nehmen wollen. Er tue dies nur, weil sein Verteidigungsminister Benny Gantz vom Koalitionspartner Blau-Weiß im Kabinett das Demonstrationsrecht als «Lebensblut der Demokratie» bezeichnet habe. Netanjahus rechter Likud hatte im Mai mit dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, um der Pandemie Herr zu werden und erneute Neuwahlen zu vermeiden.

Am Samstag hatten mehr als 10.000 Menschen vor Netanjahus offizieller Residenz demonstriert. Gegen 2.00 Uhr am Sonntagmorgen trieb die Polizei die verbliebenen Demonstranten auseinander. Dabei hätten die Sicherheitskräfte «angemessene Gewalt» eingesetzt, erklärte ein Polizeisprecher. Dagegen sagt eine Demonstrantin der dpa, die Polizei sei «übermäßig aggressiv» vorgegangen.

Zu einer Kundgebung an der Privatresidenz Netanjahus in der Küstenstadt Caesarea kamen am Samstag nach Angaben der Polizei weitere 1000 Menschen. Demonstriert wurde auch in Tel Aviv und anderswo. Die Polizei war mit Hunderten Beamten im Einsatz, nachdem am Dienstag bei einem Anti-Netanjahu-Protest in Tel Aviv Demonstranten von mutmaßlichen Rechten angegriffen worden waren.

In der Corona-Krise werden Netanjahu unter anderem vorschnelle Lockerungen und eine mangelnde Vorbereitung auf eine zweite Welle vorgehalten. Die Arbeitslosigkeit in dem Land liegt wegen der Folgen der Pandemie bei mehr als 20 Prozent. Gegen Netanjahu läuft zudem ein Gerichtsverfahren wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit. Viele Israelis wollen nicht akzeptieren, dass Netanjahu trotz des Prozesses weiter im Amt ist. Der Ministerpräsident streitet alle Vorwürfe ab.

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