Dem Nirwana so nah

Wenn ein Farang in ein buddhistisch geprägtes Land zieht, tut er gut daran, eine Prise Gelassenheit in seinem Gepäck mitzubringen – oder noch besser: Das Leben in all seinen Erscheinungsformen als Illusion zu durchschauen und die eigene Bedeutung bis zur Selbstverleugnung zu relativieren. Der nachfolgende Text soll dem/r geneigten Leser/in vor Augen führen, was damit gemeint ist und zu welcher Meisterschaft ich es inzwischen gebracht habe. Die Herausforderung war enorm: Lin, die beste Thaifrau aller Zeiten, hatte ein Auto gemietet oder was sie zumindest dafür hielt.

Der Händler hatte es am frühen Morgen an unserer Einfahrt abgestellt und sich gleich wieder aus dem Staub gemacht. Das war verdächtig. Die Karre sah auch nicht sehr vertrauenserweckend aus, aber ich hätte nicht gleich sagen können, weshalb. Von Autos verstehe ich etwa so viel wie ein Fisch vom Radfahren, aber das Unbehagen war da (ich setze mich auch nicht mehr ans Steuer, seit ich eine Mineralwasserkur mache, d.h. ich trinke alles, außer Mineralwasser).

Hilfe, ein Poltergeist!

Immerhin war offensichtlich ein Motor darin, wie sich später herausstellte. Allerdings einer mit einem großen Freiheitsdrang, denn er klopfte gleich zu Beginn andauernd und penetrant, wie jemand, der um jeden Preis raus will.

Meine Frau ignorierte dies und ich als Beifahrer ebenfalls. Ich bin entsprechend der Landessitte ein sehr ausdauernder und solidarischer Ignorierer geworden. Nach ein paar hundert Metern problemloser Fahrt ruckelte der Wagen, als würde er von einem betrunkenen Kobold geschüttelt, in die Höhe gehoben und wieder fallengelassen. Nur Plumpsen ist schöner.

Ein Tritt in den Hintern

Lin bremste ab und gab gleichzeitig Gas, das Gaspedal gewann: Der Wagen schoss nun plötzlich nach vorn, als hätte er vom besagten Kobold einen Tritt in den Hintern bekommen.

Ich ergriff die kleine Buddhafigur, die über der Frontscheibe hin- und herpendelte und hoffte auf Beistand. Das Nirwana schien plötzlich so nah.

Jeder andere Mensch auf diesem Planeten hätte nun geflucht, aber meine Frau ist selbstredend nicht jeder andere Mensch, sondern ein Engel und Engel fluchen nicht. Ich bin aber nachweislich keiner, fluchte in Gedanken für zwei, schaute aber dabei gespielt gelassen aus dem Fenster und tat so, als würde ich die Landschaft bewundern. Ich war bemüht, das Bild eines gereiften Stoikers abzugeben, der den Tücken des Alltags null Beachtung schenkt.

Nach einer Weile wagte ich einen Blick zur Seite. Lin hatte das Steuer mit beiden Armen umfasst, um bei weiteren Eskapaden etwas Halt zu haben. Dem Wagen schien diese Umarmung gut zu tun, denn er bewegte sich tatsächlich, wenn auch verhalten störrisch, aber immerhin in die geplante Richtung.

Ich ließ die Buddhafigur los. Sie war schweißgebadet wie ich selbst.

Das war aber ein Fehler. Kaum hatte ich die Hände in den Schoß gelegt, bockte der Wagen wieder. Ich blickte auf den Tacho und prüfte die Tankanzeige. Nach meinen eigenen, unwesentlichen Maßstäben war der Tank leer. Ich wollte Lin auf meine einfühlsame Art darauf aufmerksam machen und sie fragen, ob die Kiste mit einem ausgeleierten Brennstab aus Tschernobyl oder vom Weihwasser ihres Lieblingsmönchs angetrieben werde.

Aber ich sagte wohlweislich nichts.

Kein Fundbüro in Hua Hin

Wenn ich etwas gesagt hätte, hätte sie ihr Gesicht verloren und dann hätten wir das auch noch suchen müssen, mal abgesehen davon, dass ich in Hua Hin noch nie ein Fundbüro gesehen habe.

Stattdessen starrte ich einfach auf den Tacho und fuhr mit der Hand darüber, als würde ich ein Insekt wegwischen. Die Absicht war aber klar: Ich wollte ihre Aufmerksamkeit so diplomatisch wie möglich auf das Corpus Delicti lenken.

Das Manöver gelang. Sie schaute jetzt auch darauf und meinte nach kurzer Verwirrung: „There is no gas...“

Ein paar Minuten später war ich mit einem Kanister unterwegs zur nächsten Tankstelle. Als ich dort endlich ankam, war alles ok, bis auf das Schild „Today closed“. Das war zu erwarten, ich habe aber nicht damit gerechnet, dass Zapfsäulen auch zu den Risikogruppen (Corona!) gezählt werden, auch dann nicht, wenn sie älter als 65 aussehen.

Ja, Leser/in, während du gemütlich beim Bierchen diese Zeilen liest, bin ich immer noch unterwegs mit meinem Kanis­ter. Falls du mich auf der Phetkasem Road um Mitternacht herumirren siehst, erbarme dich, ignorier mich nicht, wie ich es an deiner Stelle täte und begleite mich schonungsvoll nach Hause. Eine solche Gelegenheit, etwas für dein Karma zu tun, kommt so schnell nicht wieder. Deiner Wiedergeburt als Mutter Theresa steht dann nichts mehr im Wege.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Karl Ludwig Drumm 19.05.20 10:57
Charmant und witzig
Selten so eine charmante, mit viel Witz und Humor gespickte Kurzgeschichte gelesen.
Für den Farang darf ich hier eine Lanze brechen. Mir war es bei der Lektuere nie langweilig.
TheO Swisshai 11.05.20 09:39
@Markus Boos / Ui!
Gleich doppelt zu spotten ist auch nicht soooo lustig, vor allem aber ist es unnötig und unangebracht. Ich freue mich allerdings für Sie, da Sie offenbar keine anderen Sorgen haben. Bleiben Sie hoffentlich gesund, denn Medis können die verschiedensten Nebenwirkungen.zeigen.
Markus Boos 10.05.20 21:00
Corona
Nebenwirkung auf Medis? Ui!
Markus Boos 10.05.20 20:59
Ach...
Soooo lustig. Gähn.