Debakel in Afghanistan befeuert Diskussion über neue EU-Truppe

NATO C-17 Flugzeug evakuiert Ausländer aus Kabul. Foto: epa/Zurab Kurtsikidze
NATO C-17 Flugzeug evakuiert Ausländer aus Kabul. Foto: epa/Zurab Kurtsikidze

KRANJ/KABUL: Befreit sich die EU nach den Ereignissen in Afghanistan ein Stück weit aus der Abhängigkeit von den USA? Zumindest ein Teil der Mitgliedstaaten scheint dazu fest entschlossen. Deutschland wirbt für «Koalitionen von Willigen».

Die militärische Abhängigkeit von den USA beim Evakuierungseinsatz in Afghanistan befeuert in der EU die Diskussion über den Aufbau einer schnell einsatzfähigen Eingreiftruppe. Bei einem Verteidigungsministertreffen in Slowenien warben am Donnerstag zahlreiche Teilnehmer dafür, Konsequenzen aus den Ereignissen der vergangenen Wochen zu ziehen und die europäischen Verteidigungsfähigkeiten auszubauen. Unter anderem geht es eine Initiative für eine mindestens 5000 Soldaten starke Interventionseinheit.

«Die nüchterne Wahrheit zu Afghanistan ist: Wir Europäer haben gegen die Entscheidung der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeiten keinen leisten konnten», kommentierte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Aus der Abhängigkeit von den USA müssten nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan sei eine «schwere Niederlage».

Zugleich warnte die CDU-Politikerin davor, nur über eine neue Militäreinheit zu reden. «Die europäische Debatte darf nicht in der Frage stehenbleiben, ob wir eine 'europäische Eingreiftruppe' wollen oder nicht», kommentierte sie. Die Frage sei gar nicht, ob man eine extra EU-Truppe aufbaue, sondern wie man vorhandene militärische Fähigkeiten endlich gemeinsam nutzen könne. Konkret schlug Kramp-Karrenbauer vor, dass «Koalitionen von Willigen» nach einer gemeinsamen Entscheidung aller EU-Staaten vorangehen könnten. Diese wäre nach Artikel 44 des EU-Vertrags möglich.

«Wir werden diese Option prüfen», versprach der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bei der Abschlusspressekonferenz. Zugleich betonte der Spanier, dass auch die Aktivierung des bislang nie genutzten Artikels eine einstimmige Entscheidung aller 27 EU-Staaten erfordere. Sollte ein Land grundlegende Einwände gegen einen Militäreinsatz haben, könnte es ihn damit im Alleingang verhindern.

Staaten wie Polen und Litauen halten die Initiative angesichts der existierenden Fähigkeiten der Nato für überflüssig und befürchten eine mögliche Schwächung des transatlantischen Verteidigungsbündnisses. Kramp-Karrenbauer reagierte mit ihren Vorschlägen offensichtlich auf den Widerstand gegen die von Frankreich stammenden Eingreiftruppen-Pläne.

Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks sagte am Donnerstag: «Es geht nicht um Truppen, es geht um politischen Willen.» Auf EU-Ebene sollte man erst einmal die Frage beantworten, wo denn die Battlegroups zuletzt gewesen seien.

Pabriks spielte damit darauf an, dass die EU schon lange Krisenreaktionskräfte hat, die allerdings noch nie eingesetzt wurden. Die bisherigen Überlegungen zu der neuen Einheit sehen vor, die Battlegroups in die neue Truppe zu integrieren. Sie bestehen in der Regel aus zwei Einheiten mit je mindestens 1500 Soldaten, die wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Die neue Eingreiftruppe könnte nach Angaben des slowenischen EU-Ratsvorsitzes auch deutlich größer werden und bis zu 20.000 Soldaten umfassen.

Auf jeden Fall soll sie so stark sein, dass sie theoretisch einen Militäreinsatz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte. Die Vereinigten Staaten hatten nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August mit rund 6000 US-Soldaten Evakuierungsflüge ermöglicht. Wegen ihres Abzugs mussten die Europäer dann allerdings ihre Rettungsflüge für schutzbedürftige Menschen früher als eigentlich gewünscht einstellen.

Die Notwendigkeit zusätzlicher europäischer Verteidigungsfähigkeiten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte Borrell in Slowenien. Im Idealfall könnten Beschlüsse bereits in der ersten Hälfte des kommenden Jahres im Rahmen eines neuen Strategie-Konzepts für die EU-Verteidigung gefasst werden, hieß es aus dem Auswärtigen Dienst der EU.

Aus Afghanistan kamen derweil am Donnerstag Berichte über neue Gefechte zwischen einer Widerstandsgruppe und den Taliban im Pandschirtal. Ein Sprecher der Widerstandsgruppe sagte, die Taliban hätten zuvor erklärt, dass Verhandlungen keine «positiven Ergebnisse» gebracht hätten. Den Angaben zufolge ging es nur um eine Kapitulation - zu der sie nicht bereit seien.

Die Taliban teilten unterdessen mit, dass die Beratungen für eine neue Regierung abgeschlossen seien. Ein Datum sowie den Ort für die Verkündung nannten sie zunächst nicht.

Dringend benötigtes Geld soll aus Peking kommen. «China ist unser wichtigster Partner und bedeutet für uns eine grundlegende und außergewöhnliche Chance, denn es ist bereit zu investieren und unser Land neu aufzubauen,» sagte Sprecher Sabiullah Mudschahid in einem Interview der italienischen Tageszeitung «La Repubblica».

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