Davos sucht Lösungen für «Globalisierung auf Steroiden»

Foto: epa/Gian Ehrenzeller
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DAVOS (dpa) - Das Motto der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos dürfte den Leuten auf der Straße wenig sagen. Aber was verstehen Politiker und Manager unter «Globalisierung 4.0»?

Es ist eine bei Teilnehmern fast schon liebgewonnene Tradition, dass Klaus Schwab der Jahrestagung seines Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos ein recht sperriges Motto vorgibt. Diesmal ist es die «Globalisierung 4.0». Was das aber genau bedeutet? Nicht alle Teilnehmer des Treffens in den Schweizer Alpen sind sich da so sicher. «Das ist ziemlich schwammig», meint ein deutscher Top-Manager. Und auch viele WEF-Mitarbeiter können mit dem Begriff nicht viel anfangen, wie zu hören ist.

Im Grunde geht es - da sind sich vor allem die Spitzenpolitiker einig - darum, dass in einer Zeit des wachsenden Nationalismus gemeinsame Anstrengungen vonnöten sind. «Weil», so sagt Kanzlerin Angela Merkel, «alles andere uns ins Elend führen wird.» Das Problem der «Globalisierung 4.0», einer neuen Ära der Globalisierung, in der es um digitale Angebote und Dienstleistungen geht: Waren es in der vorigen Phase besonders Arbeiter, sind nun auch Büroangestellte in ihren Jobs bedroht. «Zwei Drittel der Gesellschaft haben Angst, ihren Arbeitsplatz an einen Roboter zu verlieren», sagt SAP-Chef Bill McDermott.

Wir lebten in einer «ganz, ganz entscheidenden Zeit», in der es nicht viele Grauzonen gebe, heißt es in Davos auf einem Abendessen mit EU-Politikern und Konzernchefs. Auch wenn es sich keiner habe vorstellen können: Die systemische Frage werde wieder gestellt.

WEF-Gründer Schwab fordert «einen neuen sozialen Pakt zwischen den Bürgern und ihren Anführern, damit sich jeder zu Hause sicher genug fühlt, um für die Welt insgesamt offen zu bleiben». Denn die nächste Stufe der Globalisierung sorgt für große Unsicherheiten.

Ein wichtiger Faktor dabei: Künstliche Intelligenz. «Künstliche Intelligenz könnte Menschen, die normale Arbeiter sind, die nicht computeraffin sind, in die Armut stürzen», warnt US-Star-Ökonom Robert Shiller. «In den nächsten 10 bis 20 Jahren könnten wir all unsere Taxifahrer, unsere Lkw-Fahrer, selbst Matrosen ersetzen», sagt der Yale-Professor mit Blick auf Roboter und autonomes Fahren.

Marc Benioff, Chef des US-Softwareriesen und SAP-Rivalen Salesforce, warnt noch deutlicher vor einer «Tech-Spaltung»: «Diejenigen ohne Zugang zu Künstlicher Intelligenz werden schwächer und ärmer sein, ungebildeter und kränker. Also müssen wir uns fragen: Ist dies die Art von Welt, in der wir leben wollen?»

In San Francisco, wo Salesforce zu Hause ist, könne man schon gut beobachten, wozu Technologie eben auch führen könne: zu Ungleichheit und Vertrauensverlust. In der Stadt und Region sorgen die hohen Einkommen der Tech-Ingenieure aus dem Silicon Valley für horrende Mieten und Häuserpreise, die sich kaum ein Durchschnittsverdiener mehr leisten kann.

Australiens Finanzminister Mathias Cormann mahnt daher, niemanden zurückzulassen. «Wir befinden uns in einer Phase der Globalisierung auf Steroiden, die in Teilen der Gemeinschaft Druck auf uns ausübt, auf die wir achtgeben müssen.» Deshalb, sagt Schwab, müsse der Mensch im Mittelpunkt stehen. «Wir sind in gewisser Weise in einem Kampf zwischen Robotern und Menschen. Wir wollen keine Sklaven der neuen Technologien werden.»

Star-Investor George Soros - in Davos seit Jahren mit pikanten Meinungen vertreten - warnte vor den Auswirkungen moderner Technologien in den Händen autoritärer Regime wie China. Algorithmen als Instrument der Unterdrückung - «das kann gut in einem Netz totalitärer Kontrolle enden, das sich nicht einmal George Orwell hätte vorstellen können», meinte der jüdische 88-Jährige, der nach eigenen Angaben die Nazi-Herrschaft in seinem Geburtsland Ungarn überlebte, weil sein Vater gefälschte Papiere besorgt habe.

Angebracht wären grenzüberschreitenden Lösungen, doch denen stehen derzeit viele Egoismen im Weg. «Wir haben in den letzten beiden Jahren in vielen Bereichen der Welt einen Rückschritt hin zu mehr Protektionismus, mehr Abschottung, weniger offenen Märkten und weniger multilateraler Zusammenarbeit erlebt», sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). «Und deshalb muss die Antwort auch hier in Davos sein, dass wir nicht weniger, sondern mehr internationale Kooperation brauchen. Dass wir nicht mehr Abschottung, sondern mehr Öffnung brauchen.»

Davos biete die Chance, einen internationalen Konsens darüber zu schaffen, «dass wir um offene Märkte und internationale Zusammenarbeit kämpfen und dass wir einen Rückfall in Isolationismus und Nationalismus nach Möglichkeit verhindern», appellierte Altmaier.

Ob die Aufrufe zünden, bleibt ungewiss. Aktuell sind viele mit ihren eigenen Problemen beschäftigt: Brexit, Shutdown, Gelbwesten - viele Staatschefs, die ein Wörtchen mitzureden hätten und deren Wort wichtig gewesen wäre, fehlten diesmal in Davos.

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