Die Ergebnisse des Corona-Krisengipfels

BRÜSSEL: Um den massiven Wirtschaftseinbruch abzufedern, haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Sondergipfel in Brüssel ein Hilfspaket verabschiedet. Dazu soll auch gezielt Geld in die Bereiche Klimaschutz und Digitalisierung fließen. Ein Überblick:

DIE SUMMEN: Insgesamt umfasst das Paket 1,8 Billionen Euro - davon 1074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Pandemiekrise. Das 750-Milliarden-Programm setzt sich aus 390 Milliarden Euro an nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen und 360 Milliarden Euro Krediten zusammen.

DIE VERTEILUNG: Knapp 219 Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket sollen in den kommenden beiden Jahren für Ausgaben eingeplant werden. Weitere knapp 94 Milliarden Euro sollen 2023 gebunden werden. Ein Kriterium für die Aufteilung der Mittel auf die Mitgliedstaaten soll bei der ersten Tranche die Arbeitslosigkeit im Zeitraum 2015-2019 sein, bei der zweiten Tranche soll das Kriterium durch den Verlust der Wirtschaftsleistung in der Corona-Krise ersetzt werden.

MEHR STEUERMITTEL DIREKT FÜR DIE EU: Die EU will in den nächsten Jahren neue Einnahmequellen für den Haushalt erschließen, um zu starke Steigerungen der nationalen Beiträge zu verhindern. In einem ersten Schritt wird zum 1. Januar 2021 eine Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffabfälle eingeführt.

GELD GEGEN AUFLAGEN: Die Hilfsgelder sollen an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gekoppelt werden, also daran, dass die Regierungen im Rahmen bestehender Gesetze und nicht willkürlich handeln und es etwa unabhängige Gerichte gibt. Bei Verstößen soll die EU-Kommission Maßnahmen vorschlagen können, die von den EU-Staaten mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden müssen. Wie dieser hoch umstrittene Mechanismus aussehen soll, blieb noch unklar.

EXTRAGELD FÜR DEUTSCHLAND: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat beim EU-Gipfel eine Sonderzahlung von 650 Millionen Euro für Regionen in Ostdeutschland ausgehandelt. Eine weitere Sonderzahlung in derselben Höhe wird es für den Landwirtschaftssektor geben.

RABATTE: Erkauft wurde die Einigung über die Corona-Hilfen auch mit weiteren finanziellen Zugeständnissen an die «Sparsamen Vier». Sie bekommen deutlich höhere Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt als ursprünglich vorgesehen. So wurde die jährliche Rabattsumme für Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben, was einer Steigerung um 138 Prozent entspricht. Bei Dänemark steigt sie um 91 Prozent, bei Schweden um 34 Prozent und bei den Niederlanden um 22 Prozent. Nur die Rabattsumme für Deutschland blieb während der Verhandlungen konstant bei rund 3,8 Milliarden Euro jährlich.

Viele andere Staaten hatten eigentlich dafür plädiert, dass die im Zuge des Britenrabatts eingeführten Ermäßigungen abgeschafft gehören - vor allem da Großbritannien kein EU-Mitglied mehr ist. Deutschland, Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden lehnten dies allerdings ab, da sie ihre jeweiligen Beiträge zum EU-Haushalt ohne Korrektur als zu hoch erachten.


«Das waren die 100 Stunden allemal wert»: Leyen verteidigt EU-Gipfel

BRÜSSEL: Von einer Achterbahn der Gefühle hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Verhandlungsmarathon beim EU-Gipfel gesprochen, denn auch das Scheitern war nah. Jetzt sagt sie der Deutschen Presse-Agentur: Der Streit hat sich gelohnt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Ergebnisse des Sondergipfels zum Corona-Milliardenpaket verteidigt. Kritik an Schwächen beim Klimaschutz und beim Schutz von Rechtsstaatlichkeit weist sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur strikt zurück.

Frage: Frau von der Leyen, die Aktivistin Greta Thunberg sagt, das Klima sei bei diesem Haushaltsdeal ignoriert worden. Wie konnte das passieren?

Antwort: Ich sehe das anders. Wir haben einen gewaltigen Erfolg erzielt mit 750 Milliarden für den Wiederaufbau und dazu noch das Europäische Budget. Die Klimaziele - wie viel Geld muss dem Klima dienen - sind gestiegen von 25 auf 30 Prozent. Und für die Wiederaufbaupläne der Mitgliedstaaten ist der European Green Deal eine der Hauptprioritäten. Der Just Transition Fund wird im Vergleich zum ursprünglichen Plan sogar verdoppelt. Hier ist ein deutlicher Schwerpunkt beim Klima.

Frage: Aber Polen bekommt EU-Gelder, auch ohne sich zum Ziel der Klimaneutralität 2050 zu bekennen. Wie kam Polen damit durch?

Antwort: Das Ziel ist klar verankert. Auch Polen weiß, dass Gelder aus dem Just Transition Fund auf die Hälfte runtergeschnitten werden, wenn das Bekenntnis zur Klimaneutralität 2050 nicht erfolgt. Das macht deutlich, dass sich jetzt alle bewegen müssen.

Frage: Ungarns Regierungschef Viktor Orban und die polnische Regierung freuen sich sehr öffentlich, dass die Koppelung der EU-Gelder an die Rechtsstaatlichkeit gestrichen worden sei. Können Sie konkret zusagen, dass Ländern wie Ungarn und Polen ab 2021 Mittel gekürzt werden können, wenn sie Justiz oder Pressefreiheit weiter einschränken?

Antwort: Der Text hat sich während der Verhandlungen deutlich verbessert. Wir haben hier ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat und zum Prinzip, dass die finanziellen Interessen der EU effektiv gewahrt werden müssen. Das ist die Aufgabe der Kommission, und bald bekommen wir die Instrumente dazu. Der Europäische Rat hat grünes Licht gegeben, dass das europäische Budget im Lichte der Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden soll. Diese Arbeit werden wir jetzt gemeinsam angehen.

Frage: Wie können Sie sichersein, dass der Rat der EU-Staaten das mitmacht, wo solche Vorschläge oft versanden?

Antwort: Über unseren Gesetzesvorschlag wird im Rat der Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit entschieden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die gemeinsame Position aller 27 Staaten Wirkung zeigt.

Frage: Das Europaparlament will jetzt mitreden und hat an diversen Punkten mit Veto gedroht. Haben die gewählten Vertreter der Europäer unter enormem Zeitdruck überhaupt die Chance, noch Einfluss auf das Haushaltspaket zu nehmen?

Antwort: Ohne das Parlament geht gar nichts. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments ist entscheidend und die Arbeit mit den Abgeordneten beginnt jetzt, zusammen mit der deutschen Präsidentschaft. Für das Parlament ist es ein großer Erfolg, dass neue eigene Einnahmequellen kommen, zum Beispiel eine Abgabe auf nicht wiederverwertetes Plastik. Das ist wichtig für Bezahlung der großen Investitionen in der Coronakrise, aber es ist auch wichtig, dass die europäische Ebene dauerhaft eine eigene Einnahmebasis bekommt.

Frage: Das «Historische» an diesem Deal ist die Umverteilung von Mitteln aus EU-Schulden über den EU-Haushalt an Krisenstaaten. Was bringt es dem deutschen Steuerzahler, Milliarden nach Italien und Spanien zu pumpen?

Antwort: Der Erfolg der deutschen Wirtschaft beruht zum großen Teil auf einem gut funktionierenden gemeinsamen Markt. Es ist im deutschen Interesse, dass zum Beispiel die Zulieferbetriebe in Norditalien wieder funktionieren, damit Produktion in Deutschland stattfinden kann. Der Gedanke hinter dem Wiederaufbauprogramm Next Generation EU ist aber größer. Die Europäische Union ist mehr als der gemeinsame Markt, sie ist vor allen Dingen eine Wertegemeinschaft. In einer Welt, in der die Unsicherheiten zunehmen und Respekt vor gemeinsamen Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit abnimmt, ist es umso wichtiger, dass die Europäische Union als Ganzes eine starke Stimme bleibt. Auch das ist im deutschen Interesse.

Frage: Zum Eindruck nach dem knapp 100-stündigen Gipfel: Kann sich die EU künftig ein derartiges, viertägiges Geschacher noch leisten?

Antwort: Ich habe volles Verständnis dafür gehabt, denn es ging um unfassbar viel. Zum ersten Mal nimmt die Europäische Kommission am Markt Milliardensummen auf, die sie investiert in Modernisierung. Dass da viele unterschiedliche Interessen in eine Balance gebracht werden müssen, ist nachvollziehbar. Aber entscheidend ist: Alle wollten den gemeinsamen Erfolg. Das ist gelebte Demokratie. Das ist eine Sternstunde gewesen. Alle sind geblieben, alle haben gerungen, alle wollten den gemeinsamen Erfolg. Und jetzt haben wir ein Ergebnis, dass sich weltweit sehen lassen kann. Zeigen Sie mir eine Region auf der Welt, wo das so möglich ist. Das waren die 100 Stunden allemal wert.

Zur Person: Ursula von der Leyen (61) ist seit dem 1. Dezember 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Zuvor war die CDU-Politikerin lange Bundesministerin, zuletzt der Verteidigung. Der Haushaltsentwurf, über den beim Gipfel gestritten wurde, kam aus ihrer Behörde.

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